Die Zeit vor dem Tod: Teil 1. Jesper Bugge Kold
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Название: Die Zeit vor dem Tod: Teil 1

Автор: Jesper Bugge Kold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726023954

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СКАЧАТЬ sich nur in oder unmittelbar vor der Baracke aufhalten. Sie haben nichts zu tun. Irgendwann bemerkt Axel sein Spiegelbild in einer Fensterscheibe der Baracke. Der Schrecken fährt ihm in alle Glieder, er hat sich verändert, ist bleich und hohlwangig. Er tut sich leid. Aber dann sieht er hinüber zum Lager der Juden, das hinter der Holzbaracke der Dänen liegt. Sie leben in einem Zeltlager inmitten eines Pfuhls aus Schlamm. Sie haben keine Kojen, schlafen auf der nackten Erde, ohne Decken oder etwas anderes, womit sie sich gegen die Kälte schützen könnten. Er hat kein Recht sich zu beklagen, wenn er sieht, unter welchen Bedingungen die Juden leben. Oder vielmehr sterben. Die Leichen sind zu einem Haufen aufgeschichtet, weggeworfen wie Abfall. Im Laufe des Tages wächst der Haufen weiter an, bevor die Leichen auf einem Holzkarren ins Krematorium gebracht werden.

      Als im Oktober die Rot-Kreuz-Pakete eintreffen, macht Axel das schlechte Gewissen zu schaffen. Die Pakete kommen mit Bussen aus Dänemark und enthalten reichlich Butter, Marmelade, Käse, Salami, Knäckebrot, Kekse und Dosenfleisch. Die Polizisten speisen wie Barone, ziehen sich ihre neuen Wintersachen über und rauchen Zigaretten aus der Heimat, während sie Karten spielen und auf der anderen Seite des Fensters der Haufen aus toten Juden immer höher wird.

      Mit den Monaten wird Axels Mutlosigkeit größer. Nur der Inhalt der Pakete hält ihn am Leben. Die Hoffnung, wieder nach Hause zurückzukehren, schwindet und vergräbt sich wie ein harter Knoten tief in seinem Inneren. Mit jedem Tag, der vergeht, wird sie ein Stückchen kleiner, und bald ist nichts mehr von ihr übrig.

      Manchmal sprechen Axel und Erik über ihre Frauen. Jedes Mal erscheinen sie ein bisschen liebevoller und schöner. Sie sprechen über Dänemark, obwohl das Land am anderen Ende der Welt zu liegen scheint und der Abstand immer größer wird. Sie sprechen über die Zukunft, als gäbe es sie.

      Mitte Dezember werden sie in ein anderes Lager verlegt. Noch eine Fahrt im Viehwaggon, noch eine Demütigung der früher so stolzen Polizisten. Sie sind weniger geworden. Einige sind in Buchenwald gestorben, dem Lager mit dem schönen Namen. Dieser Buchenwald ist ein Massengrab.

      Dann sind sie in Mühlberg. Stalag IV-B wird das Lager genannt, als sei es eine gut laufende Fabrik. Schornsteine ragen auf und die Baracken sind so lang wie Lagerhallen, aber hier werden nur Menschen gelagert und das einzige Produkt, das die Fabrik herstellt, ist der Tod.

      Das Lager hat kein Ende. Es ist so groß wie eine Stadt in der Provinz. Hier sind Amerikaner, Engländer, Franzosen, Russen und Polen. Die Silhouetten der Wachttürme gleichen riesigen Spinnen, die einen Mann mit einem Biss verschlingen können.

      Früher hatte Axel volles Haar, inzwischen fällt es in Strähnen aus und rieselt zu Boden. Er erkennt sich selbst nicht wieder, weder äußerlich noch innerlich. Sogar sein Name ist ihm fremd geworden. Axel Skjold ist jetzt nur noch eine Nummer.

      Dann ist Weihnachten. Entgegen aller Vernunft feiern sie. In Axel wächst der Hass. Anfangs geschah es nur langsam, wie eine Pflanze, die gedeiht, aber heute flammt er ungezügelt auf. Er sollte nicht hier sein. Er sollte zu Hause sein, bei Kamma. Das hatte er ihr versprochen, als sie geheiratet haben. Dass er immer an ihrer Seite sein wird. Wie sie wohl den Weihnachtsabend feiert? Weint sie? Hält sie das Kleine auf dem Schoß und weint?

      Er versucht, sich die Gedanken an Kamma aus dem Kopf zu schlagen und stellt sich in der Reihe für die Essensausgabe an. Mit einer Schale dünner Suppe, in der ein paar Rübenblätter schwimmen, geht er zu Erik. Sein Freund sieht ihn mit verzweifeltem und finsterem Blick an, richtet sich in seiner Koje auf, bricht aber sofort wieder zusammen, als sei sein Rückgrat in Stücke zerbrochen. Er hat keine Kraft mehr und ist dabei, sich der Unvorhersehbarkeit des Grauens zu ergeben. Er kommt nur noch aus seiner Koje, wenn sie ihn dazu zwingen. Früher war er stark wie ein Ochse oder ein störrischer Packesel. Jetzt sieht es so aus, als würde er allmählich verfaulen.

      Axel setzt sich zu ihm und spricht mit der Stimme, die er wohl auch benutzen würde, sollte er jemals die Chance bekommen, mit seinem Kind zu sprechen. „Hier gibt es nur zwei Arten von Männern. Die, die aufgegeben haben, und die, die noch Hoffnung haben zu überleben. Die einen sind schon tot, die anderen haben wenigstens eine Chance. Du darfst nicht aufgeben.“

      Erik sieht ihn mit einem entschuldigenden Blick an. Die Suppe, mit der Axel ihn zu füttern versucht, läuft über sein Kinn, ohne dass er es merkt.

      Jeden Tag verlassen sie das Lager und schlurfen müde in einer langen Kolonne zur Elbe. Es ist Schnee gefallen und die Kälte arbeitet sich durch ihre Kleidung.

      Ein Stück vom Flussufer entfernt stehen die Kipploren. Mühsam schaufeln die Gefangenen Schlacke, Schotter und Sand hinein. Sie arbeiten zu langsam und Schläge prasseln auf sie ein. Die Wachen sind noch nicht erwachsen, wohl nicht mal zwanzig Jahre alt, aber ihre gut genährten Körper haben Kraft und die Totenköpfe an den Schirmmützen verleihen ihnen Macht. Ihre Gesichter bleiben für Axel verschwommen. Er will sie auch nicht sehen, sie können nicht menschlich sein.

      Selten treffen die Schläge ihn, aber der Körper braucht keine Schläge, um übel zugerichtet zu werden. Der Gedanke daran kann schon genug sein.

      Axel arbeitet hart. Keinen Blickkontakt und ein konstanter Rhythmus. Als die Lore voll ist, drücken sie mit ihren verfrorenen Händen gegen das kalte Metall, um sie die Schienen entlang zu schieben. Sie ist schwer, die Räder sind verrostet und der Schnee hat den Boden in Schlamm verwandelt. Die Lore rührt sich erst, als Robert die Schulter dagegen stemmt. Erik geht ganz außen neben Axel. Sein Husten verleiht seinen Wangen ein wenig Farbe. Ihr Atem bildet eine kleine Wolke über der Lore. Unten am Fluss kippen sie sie aus, schieben sie zurück, beladen sie erneut und ducken sich unter den Stockschlägen.

      Axel versucht, Wärme in die geballten Fäuste zu pusten. Dann wieder die Schienen entlang hinunter zum Fluss. Die Männer keuchen, die Lore bewegt sich ruckartig. Erik rutscht aus. Auf einmal ist er weg, geht nicht mehr neben Axel her. Ein grässliches Knirschen lässt alle innehalten.

      Eriks Bein liegt unter der Lore auf den Schienen. Die Hose ist zerrissen und das Bein unterhalb des Knies zermalmt. Entsetzt starrt er es an. Der Mund ist aufgerissen, aber er kann nicht schreien. Axel will ihm hoch helfen, ist aber wie gelähmt. Etwas läuft ihm über den Rücken, kalt und klamm wie ein Tropfen. Eine Weile steht er nur da und sieht hinunter auf seinen Freund, bis eine Peitsche ihren Abdruck auf seinem Rücken hinterlässt.

      Am Abend gehen Axel und Robert zurück ins Lager. Sie tragen Erik zwischen sich. Immer wieder verliert der Freund das Bewusstsein, wacht wieder auf. Sollte Axel irgendwann Gelegenheit haben, seine Erlebnisse zu beschreiben, er könnte es nicht. Nie hat er über den Tod nachgedacht und ihn deshalb auch nie gefürchtet. Bis jetzt nicht.

      Geistesabwesend betrachtet der Lagerarzt Eriks Bein. Dann breitet er die Arme aus, schüttelt den Kopf und zündet sich eine Zigarette an.

      Von der Tür zum Krankenrevier aus sieht Axel hinüber zu seinem Freund. In Eriks Augen stehen Tränen, der Stumpf seines Beins zuckt, als habe er seinen eigenen Willen. Wie ein zurückgelassenes Kind wird er auf ein Bett gelegt. Das Bein ist von Schorf bedeckt und mit Blasen übersät. Die Kälte kriecht durch die Wände und gesellt sich zu ihm ins Bett. Er zittert. Jemand schließt die Tür, Axel kann ihn nicht mehr sehen, und am nächsten Tag ist Erik tot.

      Gerüchte machen die Runde, angeblich sollen sie nach Leipzig transportiert werden. Es heißt, diejenigen, die die Deutschen dorthin schicken, dürfen nach Hause gehen, wenn die Arbeit dort erledigt ist. Alle wollen dazugehören. Axel will dazugehören. Er muss nach Hause.

      Die Gefangenen sind vollzählig auf dem Appellplatz angetreten. Wie gewöhnlich genießen die SS-Wachen ihre Macht, prügeln wahllos auf Männer ein, weil sie es können.

      Dann werden die Glücklichen auserwählt. Die Nervosität läuft wie ein Windstoß СКАЧАТЬ