Название: Dampfer ab Triest
Автор: Günter Neuwirth
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783839267042
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Fedora schreckte hoch. Auch Bruno hatte es gehört. Das Rufen eines Kindes. Noch in einiger Entfernung, aber unüberhörbar. Fedora eilte zum Vorderfenster und schaute zur Straße hin. Bruno stand hinter ihr.
»Verflixt! Meine Schwiegermutter mit den Buben.«
»Du hast gesagt, sie würden erst abends kommen.«
»Meine Schwiegermutter ist unberechenbar. Sie stattet mir immer wieder Kontrollbesuche ab und schnüffelt hinter mir her. Diese Hexe. Du musst sofort verschwinden!«
»Vielleicht nehme ich sie demnächst in polizeilichen Gewahrsam. Zweimonatige Verwahrungshaft.«
Fedora bugsierte Bruno zum hinteren Fenster. »Ciao, Bruno. Bis bald.« Fedora küsste ihn kurz, aber leidenschaftlich.
»Ciao.« Behände kletterte er aus dem Fenster, schaute sich um und verschwand im Wald hinter dem Haus. Das Bücherpaket unter dem Arm.
*
Fauchend und stampfend zog die Lokomotive die Waggons in den Triester Südbahnhof. Viele Fahrgäste hielten ihre Nasen in den Fahrtwind, um die ersten Eindrücke der Stadt aufzuschnappen. Auf dem Perron standen zahlreiche Menschen und blickten dem einfahrenden Zug entgegen. Hüte wurden geschwenkt. Auch Carolina beugte sich aus dem Fenster. Noch stand die Sonne am Himmel, dennoch war der heranziehende Abend mehr als fühlbar. Die Luft war kühl. Die Bremsen quietschten und der Zug kam zum Stillstand. Sie entdeckte Rudolf in der Menge und winkte ihm. Der Fahrer des Grafen entdeckte sie ebenfalls, winkte und eilte los. Carolina schloss das Fenster. »Rudolf kommt schon.«
»Das will ich auch hoffen.«
»Ich helfe dir mit den Koffern.«
»Lass nur, ich schaffe das schon.«
Der Graf und seine Tochter reisten mit leichtem Gepäck. Maximilian von Urbanau griff nach seinen beiden Koffern und verließ das Coupé, Carolina nahm ihren ebenfalls und den Korb. Auf dem Perron stand bereits Rudolf, der das Gepäck entgegennahm, es auf einen Handwagen hob und Carolina beim Aussteigen half. Der Fahrer des Grafen war mit dem Automobil vor zwei Tagen angekommen. Da die Thalia erst in drei Tagen ablegte, wollte der Graf diese Zeit nutzen, um das Triester Hinterland zu erkunden. Also war der Wagen auf einen offenen Güterwaggon verladen und nach Triest transportiert worden. Rudolf hatte nicht in der dritten Klasse reisen müssen, für die Bahnfahrt hatte er selbstredend eine Fahrkarte zweiter Klasse erhalten. Der Graf ließ sich niemals lumpen und seinen treuen Dienstboten fehlte es an nichts.
»Wo steht der Wagen?«
»Direkt vor dem Bahnhof, Euer Gnaden.«
»Worauf warten wir dann noch?«
Der Graf bot seiner Tochter den Arm, sie hakte sich ein. Rudolf folgte ihnen mit dem Handwagen. So bahnten sie sich den Weg durch das Gewühl. Carolina ließ ihren Blick streifen. So viele Menschen! Sie fühlte sich großartig. Endlich Triest, endlich der große Hafen der Monarchie, Österreich-Ungarns Tor zur weiten Welt. Sie freute sich auf das Schiff und das Meer. In der Menge entdeckte sie ein Augenpaar, das sie unumwunden im Blick hielt. Eine heiße Woge durchflutete sie.
»Bist du aufgeregt?«
Sie wandte sich schnell ihrem Vater zu. »Oh ja, sehr. Triest ist eine so wundervolle Stadt.«
Sie traten vor das Gebäude des Südbahnhofes. Kutschen, Fuhrwerke, Automobile, die elektrische Straßenbahn, ungezählte Menschen eilten von hier nach dort. Rudolf stellte den Handwagen ab und öffnete dem Grafen und der Komtess die Wagentür, dann verstaute er das Gepäck. Morgen früh würde er die Überseekoffer vom Bahnhof abholen, das eigentliche Reisegepäck des Grafen kam im Postwaggon des Nachtzuges. An Bord der Thalia waren zwei Luxuskabinen reserviert, sodass genug Platz für angemessene Garderobe vorhanden war. Die Direktion des Österreichischen Lloyd hatte dem Grafen auf seine briefliche Anfrage höflich mitgeteilt, dass die Mitnahme von eigenen Möbelstücken aus Sicherheitsgründen nicht gestattet und wegen der bestehenden exquisiten Einrichtung der Kabinen auch gar nicht nötig war, also hatte Maximilian von Urbanau auf weiteres Gepäck verzichtet und sich auf die Garderobe, bestimmte Dokumente, Bücher und Materialien für seinen Aufenthalt auf dem Schiff beschränkt. Selbstverständlich würde er auch Waffen an Bord nehmen, seinen Revolver trug er ohnedies stets bei sich, in den Überseekoffern waren weiter ein Jagdgewehr samt der entsprechenden Munition verstaut, sowie ein Säbel und ein Knicker, sein altes Jagdmesser mit Griff aus kunstvoll bearbeitetem Hirschhorn. Als ehemaliger Offizier und Attaché des Kriegsministeriums musste er auch im Ruhestand stets für den Ernstfall vorbereitet und gerüstet sein.
Das Automobil fuhr los. Ziel war das Grand Hotel Duchi d’Aosta auf der Piazza Grande. Carolina schaute aus dem Wagen hinter sich zum Bahnhof. Wo war das Augenpaar?
*
»Signor Zabini, kommen Sie gar nicht ohne uns aus?«
Bruno schloss die Kanzleitür hinter sich und verneigte sich galant. »Werte Ivana, ein Tag ohne Sie ist ein verlorener Tag.«
»Ich glaube eher, dass Sie ohne Arbeit nicht leben können.«
»Wieder durchschaut, obwohl ich mir Mühe gegeben habe. Ich habe immer gewusst, dass Sie ein erstklassiger Inspector wären.«
Die pausbäckige Frau lachte. Ohne Ivana Zupan würde die Kanzlei des Triester k.k. Polizeiagenteninstituts in heillosem Durcheinander versinken. Die Herren Kriminalbeamten gingen ein und aus, hatten Hunderte Dinge zu tun, waren von Aufträgen, Investigationen und Fahndungen in Beschlag genommen, kratzten eifrig mit den Füllfedern und qualmenden Zigaretten im Mundwinkel auf ihre Papiere und hatten sonst wenig Zeit und Muße, um in der Kanzlei für Ordnung zu sorgen. Das war nun Frau Ivanas Domäne. Sie wusste immer, wo welche Akten lagen, welche Termine anstanden und wer zu Vernehmungen vorgeladen war. Außerdem kochte sie Kaffee für die Herren und brachte deren oft in schlampigem Triestiner Dialekt geschriebenen Notizen in orthografisch einwandfreies Hochitalienisch. Ihre Muttersprache war Slowenisch, sie sprach gut Deutsch und Triestinisch, aber da sie in jungen Jahren als gelehrige Dienstbotin eines Florentiner Professors Dienst verrichtet hatte, beherrschte sie exzellentes Toskanisch in Wort und Schrift. Das Toskanische hatte sich als Hochsprache des Italienischen durchgesetzt, so war es gerade für sie als Slowenin ein enormer Vorteil, sich in den Varianten Toskanisch und Triestinisch ausdrücken zu können. Ivana war vor über zwölf Jahren von der Polizeidirektion als Schreibkraft eingestellt worden und hatte sich in dieser Zeit als tragende Säule des Instituts bewährt. Nur wenn sie umfassende Berichte oder längere Briefe in Deutsch schreiben musste, holte sich Ivana bei Bruno Anleitungen für gute Formulierungen.
»Wollen Sie eine Tasse Kaffee?«
Bruno winkte ab. »Jetzt nicht. Ich muss nur noch einen Bericht fertigstellen, dann gehe ich wieder. Schließlich ist heute mein freier Tag, und später bin ich zum Billard mit Ingenieur Ventura verabredet.«
»Ich habe auch eine Verabredung«, sagte Ivana.
Bruno hielt im Vorbeigehen inne und schaute Ivana mit großen Augen an. »Etwa ein Rendezvous?«
Ivana zwinkerte kokett. »Allerdings.«
»Ivana, ich bin sprachlos!«
»Das hätten Sie mir nicht zugetraut, oder?«
»Was schlummerte da lange in Ihnen und kommt nun zum Vorschein?«
»Abgründe.«
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