Den Kopf hinhalten. Jens Rosteck
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Название: Den Kopf hinhalten

Автор: Jens Rosteck

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783827184009

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СКАЧАТЬ noch zum richtigen Anbringen der Schlinge. Zum Abnehmen des leblosen Körpers vom Seil, den man weiter unten in Empfang zu nehmen hatte, zur andächtigen letzten halben Stunde also, ganz allein mit dem Kadaver des Missetäters, erst recht nicht. Sie hätten kalte Füße bekommen und sofort den Schwanz eingezogen, wenn sie an seiner Stelle gewesen wären. Maulhelden waren sie.

      Obwohl er beide, Stuart wie auch Burt, mochte und ihre Loyalität schätzte. Auch weil er wusste, dass er sich vor ihnen nie rechtfertigen musste – seine Berechtigung zum Hinrichten würden sie zuallerletzt infrage stellen. Darüber hinaus wusste er, wie sehr es ihnen imponierte, dass er sich nie mit seinen Leistungen und Opferzahlen brüstete. Es schmeichelte ihm insgeheim, dass Ivins und Nicholson ihm so ergeben waren, wenngleich er doch in all den Jahren kein Sterbenswörtchen durchsickern lassen, nicht einmal eine Andeutung gemacht hatte. Und dass sie, auch wenn sie diesbezüglich bislang noch nie auf ihre Kosten gekommen waren, allabendlich allein seinetwegen eigens aus Oldham und Hollinwood anreisten. Was bemerkenswert war und ganz schönen Aufwand erforderte.

      An der Qualität seiner Biere konnte es sicher nicht liegen. Die waren nichts Besonderes. Anständig und banal. Nein, seine Boys kamen wirklich gern. Sie mochten, ja liebten ihn, konnten keinen Abend ohne ihn zubringen. Es machte ihnen Spaß, sich als Ruperts Freunde auszugeben, Ruth, ohne es wirklich ernst zu meinen, schöne Augen zu machen und mit dem einen oder anderen jungen Mädchen, das gelegentlich in Begleitung vorbeikam, um im Stehen einen Port oder Sherry zu trinken, möglichst unbemerkt zu flirten. Ganz harmlos war das eigentlich alles.

      Hätte jemand Burt und Stuart interviewt, so hätten sie sich, ohne zu zögern, als seine besten Freunde bezeichnet. Aber so jemand wie Rupert Beaufort hatte, wie er nur zu gut wusste, keine Freunde. Nur Bekannte. Das war auch besser so. Das war ihm wichtig, und das schützte ihn. In die Karten schauen ließ er sich von niemandem, und wenn überhaupt, dann nur von Ruth. Und auch von ihr nur ein ganz klein wenig.

      Wenn sie ihm gar zu sehr auf die Pelle rückten mit ihrer Neugier, wenn Stuart ihn in die Zange nahm und Burt ihn erneut ausfragte, ja auszuquetschen versuchte, beugte Rupert sich über die Spüle, pfiff einen Gassenhauer, tat so, als sei er von einem anderen Gespräch im Raum abgelenkt, hielt ein abgetrocknetes Glas prüfend gegen das Licht oder beschäftigte sich so lange gedankenverloren mit dem Zapfhahn, bis sie von ihm abließen.

      Irgendwann, meist erst zu später Stunde, wenn sie merkten, dass sie wieder nichts aus ihm herausbekommen würden, gaben sie Ruhe, fast zufrieden, dass der Publican nun doch nicht zum Schwätzer geworden war. Dann jedoch trat ihr berühmter Buddy in den Schankraum und war nicht länger zerstreut, wandte sich leutselig einem anderen Gast zu, spazierte von Tisch zu Tisch, ließ joviale, aber folgenlose Bemerkungen fallen und seinen angeborenen Charme spielen. Dass er so gut mit Menschen konnte, die ihm überhaupt nicht am Herzen lagen, die ihm sogar gleichgültig waren, dass er Warmherzigkeit versprühte und mit seinem unverbindlichen Small Talk eine gemütliche Atmosphäre herzustellen vermochte, war der Hauptgrund dafür, dass der Pub immer gut gefüllt war und die meisten Gäste nur sehr ungern von dannen zogen, wenn die Uhr elf geschlagen hatte.

      „Du hast sie wieder über den Tisch gezogen“, pflegte Ruth dann anerkennend zu ihm zu sagen, während sie das Geld zählte und er vor dem Ausfegen die Stühle auf die Tische wuchtete, „du bist einfach ein schlauer Fuchs.“

      Rupert musste sich indessen gar nicht eigens um eine freundliche Taktik bemühen. Diesen Gelassenheitspanzer, diese Rüstung aus Friedfertigkeit und Liebenswürdigkeit hatte er sich schon vor einer halben Ewigkeit zugelegt. Dieser Selbstschutz funktionierte einwandfrei.

      Besonnenheit war seine große Stärke. Nie über den Durst trinken, nie ungefragt ins Erzählen geraten. Nie die Fassung verlieren. Einfach nur nett sein und gesellig. Zuhören. Nicken und von Zeit zu Zeit beipflichtende, triviale Bemerkungen anbringen. Für jeden ein freundliches Wort überhaben.

      Mit Leuten umzugehen, das lag ihm von jeher im Blut. Und wenn sie, bei seinen musikalischen Darbietungen buchstäblich an seinen Lippen hängend und ihn mucksmäuschenstill anstarrend, nach dem dritten Rausschmeißer, johlend und wie wild klatschend, noch eine weitere Zugabe verlangten, kam er erst richtig in Fahrt, drehte auf und gab seinem Affen Zucker. Ließ seinen sonoren Bariton ertönen und versorgte sie mit noch einem herzzerreißenden Matrosenliedchen, noch einer irischen Volksweise, noch einer schottischen Ballade, noch einer anzüglichen Moritat, noch einem inbrünstig vorgetragenen Love Song.

      Dann tat er ihnen eben den Gefallen. Sein Repertoire – frivole Gassenhauer, Folklieder, bluesige Nummern – war ja unerschöpflich. Sie jubelten. Sie himmelten ihn an.

      Beaufort, der war einfach einmalig.

      Ein Pfundskerl.

      Ein Held noch dazu.

      Ein Glücksfall.

      Wir sind so froh, dass wir ihn kennen.

      Einer von uns.

      So hörte er sie raunen und schwärmen.

      So manches Männerauge wurde feucht, wenn er seine Stammgäste zum Abschied kurz umarmte und sie damit für den Bruchteil einer Sekunde zu Privilegierten machte. Nie zu lange, stets ohne sentimentale Anwandlung.

      Rupert beherrschte die Kunst der richtigen Dosierung von Distanz und Zutraulichkeit. Verfügte – nicht nur beim Hängen – über ein unnachahmliches Timing. Und er wusste, morgen würden sie gleich nach Lokalöffnung wieder zur Stelle sein. Todsicher um Einlass bitten. Zu ihm aufschauen und um seine Gunst buhlen. Das war eine Genugtuung für ihn. Danach konnte er die Uhr stellen.

      Es war auch eine Handvoll Frauen unter seinen Fans, die Rupert vor jeder Hinrichtung anfeuerten wie bei einem Boxkampf. Die ihm schamlose Blicke zuwarfen und ihn anstachelten, die ihm: „Gib’s dem Halunken!“, oder, ärger noch: „Bring’ den Schweinehund zur Strecke!“, zuriefen, bevor er sich anderntags auf die Reise machte.

      Das war ihm immer ein wenig unbehaglich und manchmal richtig zuwider. Er kam sich dann vor wie ein großer halb nackter Bulle, der, von Tausenden Augenpaaren angeglotzt, in den Ring steigt. Wie ein hirnloses Kraftpaket, das sich zum wild gewordenen Affen macht, indem es sich grölend an die Brust schlägt und seinem Gegner einen brutalen, gezielten Faustschlag verpasst. Bis der Getroffene k.o. geht und am Boden liegt. Um dann, noch voller Verachtung, nachzutreten.

      Rupert hasste es, wenn sich Außenstehende an seiner Pflichterfüllung aufgeilten und unverhohlen ihren Rachedurst bekundeten. Denn was er in Pentonville oder in Strangeways, in Wandsworth, in Shepton Mallet oder in Mountjoy mit seinen Verurteilten anstellte, die ihm im Laufe der Jahre immer mehr wie Schutzbefohlene erschienen waren, hatte freilich mit Brutalität und Fertigmachen, mit Plattwalzen und Auslöschen rein gar nichts zu tun.

      Er war kein öffentlicher Auspeitscher, er betätigte keine Guillotine, er schlug niemanden zu Brei. Er nutzte die Position der Überlegenheit, die Amt und Gesetz ihm zuschrieben, nie aus, um zu demütigen oder zu vernichten.

      Er war stark, ohne muskulös zu sein. Mit einer unkontrollierbaren Bestie, der man einen Schwächling zum Fraß vorwarf, hatte er nichts gemein. Und schon gar nicht mit einer Tötungsmaschine.

      Diese armen Menschen, die ihm in ihren letzten Lebensminuten unter die Augen traten, weil sie der Gemeinschaft der Unbescholtenen nicht länger unter die Augen treten durften und für ihre Untaten büßen mussten, waren alles andere als wehrlose Gegner. Rupert hatte vor den zu Hängenden den allergrößten Respekt. Ihm war bewusst, dass sie die Konsequenzen ihrer Straftaten, nach wochenlanger Grübelei in den Zellen und in der Einsamkeit der Kerker, längst akzeptiert hatten, und er wusste um ihr Einverständnis. Er war zutiefst davon überzeugt, dass jede und jeder von ihnen am Todesmorgen mit ihrem oder seinem Ende СКАЧАТЬ