Den Kopf hinhalten. Jens Rosteck
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Den Kopf hinhalten - Jens Rosteck страница 13

Название: Den Kopf hinhalten

Автор: Jens Rosteck

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783827184009

isbn:

СКАЧАТЬ hochzufrieden gewesen. Nun sollte ich im Studio Suiten und geistreiche musikalische Aphorismen von Poulenc für eine französische Plattenfirma einspielen. Und danach die Solowerke von Saint-Saëns. Möglichst beseelt, möglichst fehlerfrei. Jeden Morgen von neun bis halb zwölf. Und, am Nachmittag, von drei bis fünf dafür üben, im stillen Kämmerlein. Das war mein einziges Pflichtprogramm. Für ein Arbeitstier wie mich war das Entspannung pur. Wie Urlaub.

      Brendas Anrufe und Telegramme ließ ich unbeantwortet. Und ich rief sie auch nicht zurück. Kabelte ihr nicht. Ich hatte unbändige Lust, mich abzunabeln. Ihre Stimme am Telefon zu hören, ihre weinerliche und manipulierende Stimme, die sonst so energisch und schneidend, kalt und verletzend sein konnte, hätte ich jetzt nicht ertragen. Sie war fuchsteufelswild gewesen, mich in der französischen Hauptstadt zurücklassen zu müssen. Einem Wutanfall nahe, als sie ihren Koffer packte und keine Handhabe mehr hatte, mich wie gewohnt an die Leine zu nehmen. Aber was konnte sie schon groß tun? Die Plattenaufnahmen gingen vor, die Sessions waren seit Langem geplant, und gegen die Wechselfälle des Lebens war kein Kraut gewachsen.

      Es war unhöflich und grausam von mir, ich wusste es nur zu genau, mich nicht regelmäßig zu erkundigen, wie es ihrem verwitweten Vater in der Zwischenzeit erging, dem von ihr angebeteten Mr Finnegan. Den vor wenigen Tagen in London ein schwerer Schlaganfall ereilt hatte. An dessen Krankenbett im noblen Belgravia Brenda jetzt stand und sich die Augen aus dem Kopf heulte. Seine Brenda, meine Brenda, die meinen Beistand bitter nötig gehabt hätte. Aber diesen Gefallen tat ich ihr nicht – ich verweigerte ihr und meinem Schwiegervater mein Mitgefühl. Sollten sie ruhig ohne mich leiden! Sollte seine Genesung ruhig den Vorrang haben! Meine Bedürfnisse hatten sie bislang auch nur einen feuchten Dreck geschert. In diesen Wochen, die einzig mir und meiner Affäre mit Paris vorbehalten waren, würde ich mich nicht gängeln lassen.

      Einen Stadtplan brauchte ich nicht. Ich wollte gern vom rechten Weg abkommen, mich im städtischen Dschungel verirren. In meinem kleinen Hotelzimmer in der Rue du Faubourg Saint-Honoré verlor ich nur wenig Zeit. Früh stand ich auf, schlüpfte in meine Kleider, machte nur kurze Toilette und sagte dem jungen Tag Bonjour.

      Schnell noch ein schwarzer Kaffee, ein Croissant, ein flüchtiger Blick in die International Herald Tribune, und dann hielt mich nichts mehr in Innenräumen: Ich vertraute mich der Lichterstadt an, der Ville Lumière. Ich fuhr Métro und aß einen Croque Monsieur in einem Bistro nahe der Opéra-Comique, ich erkundete zu Fuß den Père-Lachaise und die Buttes-Chaumont, ich pilgerte zu den Gräbern von Chopin, Berlioz und Oscar Wilde, ich durchstreifte die gigantischen Flohmärkte an der Peripherie, ich begab mich auf Entdeckungsreise.

      Und dann geschah, was geschehen musste: Ich verliebte mich in Paris. Ich hatte einen Tick zu lange hingeschaut, ich hatte mich einwickeln lassen, und jetzt war mir nicht mehr zu helfen: Ich betete Paris an. Jeden Tag ein wenig mehr. „Because my love is near.“

      Was genau hier meine tiefen Gefühle auslöste, was genau an diesem Ort dafür verantwortlich war, dass meine Schwärmerei in Leidenschaft umschlug – ich konnte es nicht festmachen oder mit zwei, drei dürren Worten sagen. Womöglich die so besondere Luft von Paris. Die fabelhafte Architektur. Die ungeheure Vielzahl der Perspektiven. Schneisen, Säulen, Obelisken, Mahnmale, Statuen. Der Atem der Geschichte. Die Anmut der Frauen aus den feinen Arrondissements und die grobe Erotik der Mädchen aus den Arbeitervierteln und Vorstädten. Die sympathische Arroganz der frechen, smarten Sorbonne-Studenten, die überall am linken Ufer in Grüppchen zusammenstanden, rauchten und die Welt neu erfanden. Die unnahbare Aura der ganz in Schwarz gekleideten, unentwegt rauchenden Existentialisten – die Gurus hielten in Cafés Hof, die nur Intellektuellen vorbehalten zu sein schienen, und ihre Jünger trugen enge Rollkragenpullover und Hornbrillen, diskutierten nonstop und gingen keiner geregelten Tätigkeit nach. Der hiesige Mix aus fremdartigen und dennoch anheimelnden Gerüchen. Das Aroma der Austern, Hummer und Miesmuscheln, die sich, auf gestoßenen Eisstücken lagernd, zu Dutzenden vor den Auslagen der Meeresfrüchterestaurants türmten. Die Anwesenheit der Menschen aus aller Herren Länder, darunter viele Laoten und Vietnamesen, Orientalen, Schwarze und Nordafrikaner. Das ständige Gewusel. Die faszinierenden Lichtverhältnisse während der Blauen Stunde – schon nicht mehr Dämmerung, noch nicht ganz Nacht. Der raue, kehlige Gesang der Straßenmusiker. Das Quietschen der Métrozüge. Die bunten Werbetafeln aus der Vorkriegszeit. Die Streikenden mit ihren Transparenten. Die blasierten Kellner in ihren schwarz-weißen Schürzen, die immer geflissentlich an einem vorbeischauten. Der Geschmack eines Pastis, den man um vier Uhr nachmittags am Panthéon zu sich nahm. Der Qualm der filterlosen Gitanes, der einem an vielen Straßenecken in die Nase stieg. Die Heerscharen von Tauben, die bei jedem Schritt durch die Tuilerien aufflatterten und sich, wie mattes Herbstlaub, woanders wieder niederließen. Der Anblick vieler kaputter Gestalten, Krüppel und Clo­chards, die aussahen, als würden sie ihr jämmerliches Leben jeden Moment aushauchen: in der Gosse gelandet durch zügellosen Absinthgenuss oder durch Mangel an Mitleid. Die Armut von Paris stank zum Himmel, doch es war ein Gestank, der meine Liebe zu dieser Stadt nicht schmälern konnte. „Because my love is near.“

      Daran gewöhnt, von Brenda kurzgehalten zu werden – „eine gute Managerin ist strenger als eine Gouvernante“, pflegte sie zu sagen, „und du weißt, dass ich nur dein Bestes will“ –, kam ich mit wenigen Francs pro Tag aus. Ihr Pech, dass sie bei der Unterredung mit dem Direktor der Salle Pleyel in der Vorwoche darauf bestanden hatte, uns meine letzten Gagen in bar auszahlen zu lassen. Tant mieux – umso besser! Auf diese Weise war meine Brieftasche jetzt prallvoll, und sie konnte nichts dagegen unternehmen. Außerdem war Paris kein teures Pflaster. Aus üppigen Mahlzeiten machte ich mir nichts, die Zigaretten hatte meine Gebieterin mir schon vor Jahren abgewöhnt – „ein erstklassiger Pianist wie du kann nicht mit gelben Fingern herumlaufen“ –, und selbst die Huren in den Elendsvierteln rund um die Rue Saint-Denis verlangten für ihre Dienste kaum mehr, als ein Mittagessen in einer Brasserie kostete.

      Schnell hatte ich heraus, wo die käuflichen Mädchen tagsüber herumlungerten, les putes, le puttane, und ebenso schnell waren meine Besuche bei ihnen auch wieder vorbei. Sie erregten mich nur für wenige Minuten und interessierten mich auch nicht wirklich, ich liebte sie mit der Glut des Südländers, heftig, stürmisch, rücksichtslos, und stieß sie gleich wieder von mir, gewährte ihnen keinen Kuss, keine Zärtlichkeiten, kein freundliches Wort, aber ich hatte es satt, dass Brenda mich seit Monaten am langen Arm verhungern ließ und ich, dank ihrer perfekten Nonstop-Beaufsichtigung, auch anderweitig nicht zum Zuge kam. Und ließ daher an den jungen Dingern, die gar nichts dafür konnten und selbst nichts zu lachen hatten, meine Frustration aus.

      Die leichten Mädchen hier nahmen meine Indifferenz und meine Brutalität nicht schwer. Den Typ Mann kannten sie: geil und emotionslos. Es war ein ehrlicher Deal: Ich brauchte ihre Umarmungen, ihre vorgetäuschte Hingabe, ihr einstudiertes Seufzen und Stöhnen, so wie sie nach dem Akt ihr hart verdientes Geld, eine Fluppe und einen „petit rouge“ benötigten.

      Eines der Flittchen – eine falsche Brünette mit spärlichem roten Schamhaar – entlarvte meine Herkunft, sprach Italienisch und erzählte mir, dass sie aus Taormina sei. Und Flavia heiße. Mir war das herzlich egal. Nie würde sie erfahren, dass sie ihren Körper soeben an Sandro Magazzano verkauft hatte. Für ein unromantisches, hitziges Viertelstündchen.

      „Was für ein hübscher Bursche!“, sagte sie anerkennend, als ich mir die Hose zuknöpfte und die Krawatte wieder umband, „che bel ragazzo che sei ... Was treibst du nur hier?“

      Sie runzelte die Stirn und wies auf meinen Ehering: „Lässt Madame dich nicht ran?“

      Sie angelte sich den großen, zerknitterten Franc-Schein, den ich auf dem Nachttisch deponiert hatte, und tätschelte mir den Rücken. Ich knurrte eine unverständliche Antwort, blaffte zurück und suchte das Weite.

      Es war schon gut so, dass ich mich mit Flavias Konkurrentinnen, den ordinären Französinnen, nicht unterhalten konnte: Ich sprach und verstand kein einziges Wort. Dabei sollte Französisch doch die Sprache der Liebe sein!

      Charmant СКАЧАТЬ