Название: Zeitlose Geschichten aus aller Welt
Автор: Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter
Издательство: Автор
Жанр: Развлечения
isbn: 9783937701929
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„O mein Bruder“, sprach er, „wenn du glücklich leben willst und den Thron dieser schönen Insel Lanka behalten willst, gib die liebliche Sita zurück, denn sie ist die Gemahlin eines anderen. Geh zu Rama, bitte ihn um Vergebung, und er wird sein Gesicht von dir nicht abwenden. Sei nicht anmaßend und tollkühn.“
Malyavan, ein weiser Mann, vernahm diese Worte und war froh darüber. Er rief dem Dämonenkönig zu:
„Nehmt die Worte eures Bruders zu Herzen, denn er hat die Wahrheit gesprochen.“
„Ihr beiden führt Übles im Schilde“, erwiderte der König, „denn ihr stellt euch auf die Seite meiner Feinde.“
Und die Augen seiner zehn Köpfe blitzten vor solcher Wut, dass Malyavan mit Entsetzen aus dem Raum flüchtete. Der tapfere Vibhishan aber blieb.
„Herr“, sprach er, „im Herzen eines jeden Menschen gibt es sowohl Weisheit als auch Dummheit. Wenn Weisheit in seiner Brust wohnt, dann verläuft sein Leben gut; wenn es Dummheit ist, geht alles daneben. Ich fürchte, dass du Torheit in deiner Brust beherbergst, O mein Bruder, denn du leihst dein Ohr jenen, die dir einen schlechten Rat geben. Diese sind nicht deine wahren Freunde.“
Dann schwieg er und küsste die Füße des Königs.
„Elender!“ schrie Ravana. „Auch du bist einer meiner Feinde. Sprich nicht mehr solchen Unsinn zu mir. Rede mit den Einsiedlern in den Wäldern, aber nicht mit jemandem, der über alle Feinde siegreich blieb, mit denen er gefochten hat.“
Und während er schrie, versetzte er seinem tapferen Bruder Vibhishan einen Tritt.
Schweren Herzens erhob sich dieser und verließ den Palast des Königs.
Da er keine Angst kannte, hatte er offen zu Ravana gesprochen; weil der Zehnköpfige nicht zuhören wollte, hatte Vibhishan keine andere Wahl, als zu gehen.
Vibhishan Tat zeigte körperlichen Mut, denn er fürchtete nicht die Schläge seines Bruders. Aber es war auch eine Tat geistigen Mutes, denn er zögerte nicht, Worte auszusprechen, die die anderen Hofleute, die körperlich genauso tapfer wie er waren, nicht über ihre Lippen brachten. Diesen Mut des Verstandes nennt man moralischen Mut.
*
Von solcher Art war der Mut von Moses, dem Führer Israels, der vom Pharao Ägyptens die Freiheit für das unterdrückte jüdische Volk verlangte.
Von solcher Art war der Mut von Mohammed, des Propheten, der seinen Glauben unter den Arabern verbreitete und sich selbst dann weigerte zu schweigen, als sie ihn mit dem Tod drohten.
Von solcher Art war der Mut von Siddhartha, des Erhabenen, der dem indischen Volk einen neuen und edlen Pfad lehrte und der nicht vor den bösen Geistern zurückschreckte, die ihn unter dem Bo-Baum bedrohten.
Von solcher Art war der Mut von Christus, der den Menschen predigte: „Liebet einander“, und der sich weder von den Hohepriestern Israels einschüchtern ließ, die ihm das Predigen untersagten, noch von den Römern, die ihn kreuzigten.
Wir haben also drei Arten, drei Stufen des Mutes:
Körperlichen Mut um unserer selbst willen.
Mut für den Nächsten, den Freund, den Nachbarn in Not, für das bedrohte Mutterland.
Schließlich den moralischen Mut, der einen befähigt, sich gegen ungerechte Menschen zu erheben, wie mächtig sie auch immer sein mögen, um sie die Stimme von Recht und Wahrheit vernehmen zu lassen.
*
Der König von Almora musste Eindringlinge zurückschlagen, die in sein Gebirgsland eingefallen waren. Dazu warb er eine Anzahl von Männern für ein neues Regiment an und stattete jeden mit einem guten Schwert aus.
„Vorwärts Marsch!“ befahl der König.
Sofort zogen die Männer mit lautem Rasseln ihr Schwert aus der Scheide und schwenkten es mit heftigem Geschrei.
„Was soll das?“ fragte der König.
„Herr“, erwiderten sie, „wir wollen bereit sein, damit der Feind uns nicht überraschen kann.“
„Ihr könnt mir nichts nützen, wenn ihr nervös und aufgeregt seid“, meinte er zu ihnen. „Geht alle nach Hause.“
Ihr seht, dass der König von all dem Lärm und Säbelrasseln nicht beeindruckt war. Er wusste, dass wahrer Mut keines Geschreis und Getöses bedarf.
*
In der folgenden Geschichte werdet ihr andererseits sehen, wie ruhig und gefasst Menschen einer Todesgefahr auf See ins Auge geblickt haben.
Ende März 1910 fuhr ein schottisches Passagierschiff von Australien zum Kap der Guten Hoffnung. Es war nicht die Spur einer Wolke am Himmel zu sehen, und die See war ruhig und blau.
Plötzlich, sechs Meilen vor der Westküste Australiens, lief das Schiff auf ein Riff.
Sofort war die gesamte Besatzung auf den Beinen, jeder beeilte sich, als die Pfeifen ertönten. Diese Aufruhr war jedoch nicht das Ergebnis von Verwirrung und Panik.
Ein Befehl erschallte: „Alle Mann in die Boote!“
Die Passagiere legten ihre Rettungswesten an.
Ein blinder Mann wurde von einem Diener über das Deck geführt. Jeder machte ihm Platz. Er war hilflos, und alle wollten, dass er als erster gerettet wurde.
Kurze Zeit später war das Schiff evakuiert und bald darauf sank es. Auf einem der Rettungsboote fing eine Frau zu singen an. Und trotz des Rauschens der Wellen, das manchmal ihre Stimme übertönte, konnten die Ruderer den Refrain hören, der ihren Armen Kraft verlieh:
Bringt uns zum Ufer, Matrosen,
Bringt uns zum Ufer.
Die Schiffbrüchigen erreichten schließlich das Ufer und wurden von gutherzigen Fischern aufgenommen.
Nicht ein Passagier hatte sein Leben verloren. Auf diese Weise waren vierhundertfünfzig Menschen durch ihren ruhigen Mut gerettet worden.
*
Ich will euch mehr über diesen ruhigen Mut erzählen, der ohne viel Aufsehen und Zurschaustellung nützliche und edle Dinge vollbringt.
Ein tiefer Fluss floss entlang eines indischen Dorfes mit fünfhundert Häusern.
Die Dorfbewohner hatten bis dahin noch nichts über die Lehren Siddharthas vernommen, und so beschloss der Erhabene, sie aufzusuchen und zu ihnen über den Edlen Pfad zu sprechen.
Er setzte sich unter einen großen Baum, der seine Zweige über das Ufer streckte, und die Dorfbewohner versammelten sich am gegenüberliegenden Ufer. Dann begann er zu sprechen und predigte seine Botschaft von Liebe und Reinheit. Und tatsächlich wurden seine Worte wie durch ein Wunder über das fließende Wasser getragen. Die Bewohner des Dorfes jedoch weigerten sich, das zu glauben, was er sie lehrte, und murrten über ihn.
Nur einer von ihnen wollte mehr wissen und wünschte, dem СКАЧАТЬ