Название: Ellenbogenfreiheit
Автор: Daniel C. Dennett
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: eva taschenbuch
isbn: 9783863935276
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Zauberkünstler wissen, wie sie Sie mit „psychischer Kraft“ dazu bringen, („aus freiem Entschluss“) genau die Karte vom Stapel zu nehmen, die Sie nehmen sollen. Es gibt viele Methoden, alle subtil und schwer zu erkennen, und ein wirklich guter Zauberkünstler schafft es meistens. Dies ist eine echte Beschneidung Ihrer Agentenschaft, eine Manipulation, die Sie zu einem Werkzeug macht, einem Pfand, einer Verlängerung des Willens des Magiers, nicht zu einem freien Akteur. Ist die Welt demnach bloß ein allumfassender Zauberkünstler, der auf psychischem Wege alle unsere Entscheidungen erwirkt? Das scheinen die „illusionistischen“ Wissenschaftler zu sagen, aber es ist Nonsens. Es braucht echtes Können, um psychische Kräfte auszuüben, und tollpatschige Versuche sind leicht zu entdecken und zu entwaffnen. Wenn Sie eine Karte aus dem Stapel eines Zauberkünstlers nehmen, sollten Sie über die Aussicht informiert sein, dass Ihre Wahl erzwungen wurde, aber wenn Sie eine Muschelschale am Strand aufheben, müssen Sie sich nicht sorgen (außer in bizarren, aber vorstellbaren Szenarien), dass irgendein Akteur Sie manipuliert. Natürlich muss an der Muschel etwas dran sein, das Sie dazu bringt, diese statt einer anderen aufzulesen, na und? Entweder gibt es einen speziellen Grund (Sie suchen nach bläulichen Muscheln, die genau so aussehen, oder diese ist ganz besonders schön, oder sie eignet sich gut als Aschenbecher für Ihre Zigarre), oder es gibt keinen besonderen Grund, und Sie haben es dem Zufall überlassen, für Sie die Wahl zu treffen, was völlig rational ist, wenn Sie bloß eine Muschel haben wollen, aber keine bestimmte. In keinem dieser Fälle ist Ihr Gefühl, dass Sie sich frei entscheiden – in dem Sinne, auf den es ankommt – gefährdet.
Was wir alle wollen, und wollen sollten, ist, dass unsere Handlungen immer auf der Basis guter Information über die besten uns zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten erfolgen. Wenn die Umgebung doch nur herbeiführen würde, dass wir eine ganze Menge zeitgemäßer und relevanter Überzeugungen darüber haben, was um uns herum los ist, und wenn sie doch nur verursachen würde, dass wir immer auf der Basis der vernünftigsten uns möglichen Bewertung der Evidenz handeln! Das würde uns fast alles geben, was wir als Akteure wollen – bis auf Folgendes: Wir würden nicht wollen, dass die Umgebung unsere besten Züge für die anderen Akteure allzu offensichtlich erkennbar macht. Denn dann können sie uns ausnutzen, da sie zu viel darüber wissen, was wir wollen und wie sehr wir es wollen. Also fügen wir der Wunschliste die Fähigkeit hinzu, unsere Gedanken und Entscheidungsprozesse für uns behalten zu können, auch wenn das bedeutet, dass wir hin und wieder nur die zweitbeste Wahl treffen, nur um die anderen fernzuhalten.19 Es gibt eine Menge Belege dafür, dass die Evolution uns mit genau diesen wunderbaren Fähigkeiten ausgestattet hat, nicht perfektioniert natürlich, aber immerhin so gut, dass man sich im Allgemeinen darauf verlassen kann, dass wir verantwortungsvoll handeln und daher billigerweise auch für unsere Handlungen verantwortlich gemacht werden können.
Nichts von dem, was wir von den Neurowissenschaften lernen, gefährdet diese Art Willensfreiheit. Ja, wir haben erfahren, dass Hirnforscher unter sehr anspruchsvollen Bedingungen manchmal „vorhersagen“ können, welche „zufällige“ Wahl wir ein paar Sekunden später treffen werden. Das hat praktische Folgen, die wir uns zu Herzen nehmen sollten: Spielen Sie mit niemandem Schere, Stein, Papier um Geld, wenn Sie in einem Kernspintomographen liegen!20 Die Tatsache, dass unsere Entscheidungen Ereignisse in unserem Gehirn darstellen, die von vorhergehenden Ereignissen in unserem Gehirn verursacht werden, die wiederum von ihnen vorhergehenden Ereignissen im Gehirn hervorgebracht werden, und selbst die Tatsache, dass diese Ereignisse „prinzipiell“ vorhersagbar sind, auch wenn dies praktisch noch nicht möglich ist – beides hat einfach nicht zur Konsequenz, dass unser freier Wille eine Illusion ist, es sei denn, Sie definieren Willensfreiheit so, dass dies trivialerweise daraus folgt. Aber dann liegt die Beweislast bei Ihnen, zu zeigen, warum Willensfreiheit, so definiert, irgendjemanden interessieren sollte außer Theologen und Philosophen, die zu viel Zeit haben.
Nun noch eine weitere Reise über die fünfhundert Jahre alte Brücke: Die Theologen zu Erasmus’ Zeit machten sich Sorgen über Gottes Vorherwissen und Seine Macht (wenn Er sie nutzte), die Entscheidungsfindungen Seiner Kreaturen zu manipulieren. Wie das praktisch vonstatten gehen sollte, blieb natürlich ein Rätsel, ein bequemes Geheimnis, weil es den Theologen erlaubte, alle möglichen subtilen Unterscheidungen zu erfinden, die – wie sie mit einem gehörigen Grad an Überzeugungskraft behaupten konnten – die Rolle des selbstverantwortlich Entscheidungen treffenden Menschen nicht völlig aufsogen. Diesen theologischen Luxus haben wir nicht mehr; wir gehen den neuronalen Mechanismen auf den Grund, auf denen menschliche Entscheidungsprozesse beruhen, und die Standards für die wissenschaftliche Argumentation sind erheblich anspruchsvoller als in der Theologie, wo man die Regeln mehr oder weniger selbst erfinden kann, während man fortschreitet. Als Luther behauptete, dass Gott unseren Willen kontrolliere, gab es prinzipiell keine Möglichkeit, dies empirisch zu testen, eine Tatsache, die Luthers Behauptung vor der Falsifikation schützte, es aber auch seinen Nachfolgern leichtmachte, ihm seine Schlussfolgerung zuzugestehen und gleichwohl davon überzeugt zu sein, dass sie in Wirklichkeit ihren Willen selbst kontrollierten. Wer vermochte das schon zu entscheiden? Ganz im Gegensatz dazu können Sie, wenn unsere Neurochirurgin Ihnen sagt, sie kontrolliere Ihren Willen, sie einfach entschlossen widerlegen – wenn Sie nicht zu sehr von ihrem weißen Arztkittel und ihren extravaganten Apparaturen beeindruckt sind –, und sollte sie Recht behalten, tun Sie natürlich gut daran, zu hoffen, dass ein paar gute Freunde Sie ihren Klauen entreißen. Aber bis dieser vorstellbare, logisch mögliche, doch außerordentlich unwahrscheinliche Zustand der Neurotechnologie eingetreten ist, können Sie ziemlich sicher sein, dass Ihr freier Wille ganz und gar keine Illusion ist.
2012 Erasmus Prize Lecture, reprinted with the kind permission from the Praemium Erasmianum Foundation
Literaturangaben
Ayer, A. J. (1954). „Freedom and Necessity“, in: ders., Philosophical Essays, New York, S. 3-20.
Clegg, L. (2012). „Protean Free Will“, online unter: http://authors.library.caltech.edu/29887/.
Dennett, D. und L. LaScola (2010). „Preachers Who Are Not Believers“, Evolutionary Psychology, 8, S. 121-150.
Denys, D. et al. (2010). „Deep Brain Stimulation of the Nucleus Accumbens for Treatment-Refractory Obsessive-Compulsive Disorder“, Arch. Gen. Psychiatry, 67, S. 1061-1068.
Ehrman, B. (2005). Misquoting Jesus. The Story Behind Who Changed the Bible and Why, San Francisco, New York.
Erasmus von Rotterdam (1967-1975). Ausgewählte Schriften. Ausgabe in 8 Bänden. Lateinisch und Deutsch, hrsg. von W. Welzig, Darmstadt.
Good, J. J. (2003). The Dishonest Church, Scotts Valley, CA.
Greenblatt, S. (2011). „The Answer Man“, New Yorker, 8. August 2011, S. 28-33.
Greene, J. und J. Cohen (2004). „For the Law, Neuroscience Changes СКАЧАТЬ