Название: Mir kann doch nichts geschehen ...
Автор: Marianne Brentzel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: blue notes
isbn: 9783869151120
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Die Kreuzzeitung vom 6. Dezember 1930 schreibt dazu: »Die Erzählung beginnt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts im alten Berlin und schildert die Kämpfe junger Mädchen um ein selbstständiges Wirken außerhalb des engen, häuslichen Kreises. Das Buch ist von so viel sonnigem Humor, von Jugendfreude und Jugendfrische durchweht, dass die Leserinnen mit begeistertem Interesse den Schicksalen der Freundinnen folgen werden.«
Acht Mädchenschicksale werden in einem sozialen Panorama der Kaiserzeit ausgebreitet. Ein Mädchen scheint Else Ury sehr ähnlich zu sein: Fränze.
Genau wie Fränze schrieb Else Ury in der Schule gern Aufsätze und gab im Familienkreis gereimte Verse zum Besten. Im Jugendroman heißt es: »Viel lieber saß Fränze an dem alten Mahagonisekretär mit der hochgezogenen Rollklappe. Dort war ihr Element. Da wurden die besten Aufsätze für die Schule verfasst, da entstand so mancher Vers, der ins Geheimfach des alten Schreibtisches wanderte; denn auslachen mochte sich die poetische Fränze nicht lassen. Nannten sie doch die Brüder (…) schon mit dem Spottnamen ›Rosa Immergrün‹, unter dem sie einmal der Gartenlaube ein Gedicht zum Abdruck eingesandt hatte.«
Obwohl in der damaligen Zeit angeblich ›Glück und Erfüllung der Frau einzig in der Ehe‹ liegen, ist die Ehelosigkeit um die Jahrhundertwende eine Massenerscheinung. Besonders unter jüdischen Bürgern soll großer Mangel an heiratswilligen jungen Männern geherrscht haben. Ein wichtiger Ort für die Anbahnung von Kontakten zwischen Jungen und Mädchen des Bürgertums war die Tanzstunde. Meist erst mit 18 Jahren wurden die jungen Mädchen dazu angemeldet. In dem Jugendroman heißt es: »Tanzstunde bedeutete einen wichtigen Einschnitt im Mädchenleben«. Doch Fränze ist nicht glücklich mit ihrem Dasein: »Ich zerbreche mir den Kopf, was ich tun kann, um mein Leben nützlicher zu gestalten.« Die jüngere Schwester kennt ihre geheimsten Wünsche und sagt: »So dichte!« »Daran habe ich auch längst gedacht«, antwortet sie und fährt fort: »Aber mir fehlt der Mut, es einer Zeitschrift einzusenden. Ich glaube, es ist nicht viel wert. Ja, wenn ich einen Roman wie die Marlitt schreiben könnte! Der wird von Tausenden in der Gartenlaube gelesen. Das lohnt!« Die Schwester ermuntert sie, ihrem Talent zu folgen. Schwer bedrückt sie das Gefühl, im Leben überflüssig zu sein. Vorstellbar ist, dass Else Ury so ähnlich empfunden hatte, bevor sie zu schreiben begann. Fränze lässt sie sagen: »Ist denn Frauenarbeit etwas so Verpöntes, dass man sich ihrer schämen muss? O Gott, in was für einer von Vorurteilen verdunkelten Welt leben wir!«
Offenbar eine Erfahrung, die auch Else Ury machen musste: als unverheiratete, aber berufstätige Frau nichts wert zu sein. Doch ließ sie sich von ihrem Ziel nicht abbringen. Mit dem Schreiben hatte sie endlich eine Aufgabe im Leben und verdiente damit auch noch selbstständig Geld. Das war mehr, als ehelose Frauen üblicherweise erhoffen konnten.
Es gibt ein Familienfoto, das häufig als Verlobungsfoto gedeutet worden ist. Der junge Mann neben Else ist in der Verwandtschaft nicht bekannt und wird für den möglichen Verlobten gehalten. Doch das Ideal der bürgerlichen Liebesheirat, in ihren Büchern oft beschrieben, erfüllte sich bei Else Ury nicht. Als Familiengerücht ist überliefert, dass sie sich eine Zeit lang Hoffnung auf eine enge Beziehung mit ihrem späteren Schwager Hugo Heymann gemacht hat. Er war seit Langem Gast in der Familie und soll mit ihr befreundet gewesen sein, bevor er die jüngere und vielleicht attraktivere Schwester heiratete. Hader unter Schwestern? Dagegen spricht die sehr enge Verbindung der beiden, die fast täglich miteinander telefonierten, sich zahllose Briefe schrieben. Katze an Mieke, Mieke an Katze. Mieke war der Kosename für Else, Katze war Käthe und kein Geheimnis blieb unbesprochen.
Bitter war, dass sie als Unverheiratete auf eigene Kinder verzichten musste. Für ein bürgerliches Fräulein um 1900 war ein uneheliches Kind undenkbar. Doch hielt sie engen Kontakt zu ihren Neffen und Nichten. Besonders die wilden, spontanen, ungebärdigen Kinder fühlten sich bei ihr wohl. Nie schien ein Kind ihre Geduld zu sehr zu strapazieren. Mit liebevollem Interesse beobachtete sie Mädchen wie Jungen, begeisterte sich an ihren kessen Antworten, an ihrer Spontaneität, ihrem Trotz und ihrer Anschmiegsamkeit. Später fanden die Verwandten sich dann stolz in einer Anekdote in der Zeitung – oder noch später – in einem ihrer Bücher wieder.
Else und ihre Schwester Käthe (sitzend),
23 und 19 Jahre alt
Wir werden nie erfahren, welche Gründe Else Urys Ehelosigkeit wirklich hatte, ob sie eigener Wunsch, bewusste Entscheidung oder Ergebnis unglücklicher Liebe, trauriger Verstrickungen war. Aber Else Ury ist keine gewesen, die sich lange bei unerreichbaren Sehnsüchten aufhielt. Sie konnte sich abfinden mit den gegebenen Verhältnissen und sich darin häuslich einrichten. Begabt zum Glücklichsein, ließ sie Unglück einfach nicht an sich heran. Wir wissen nur eins sicher: Die spätere Propagandistin der glücklichen Ehe blieb ledig. Ihre Karriere als Schriftstellerin nahm ihren Anfang.
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