Название: Das Tal des Grauens
Автор: Arthur Conan Doyle
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955012281
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»Wenn Sie statt ›fürchten‹ ›hoffen‹ gesagt hätten, käme das wohl der Wahrheit näher, würd ich meinen, Mr. Holmes«, erwiderte der Inspektor mit wissendem Grinsen. »Na gut, ein winziges Schlückchen würde die rauhe Morgenkälte vielleicht vertreiben. Nein danke, so früh rauche ich noch nicht. Ich muß mich gleich wieder auf den Weg machen, weil ja die ersten Stunden eines Falles die kostbaren sind, was niemand besser weiß als Sie. Aber – aber ...«
Der Inspektor hatte plötzlich innegehalten und starrte absolut fassungslos ein Blatt Papier auf dem Tisch an. Es war der Bogen, auf den ich die rätselhafte Botschaft gekritzelt hatte.
»Douglas!« stammelte er. »Birlstone! Was ist denn das, Mr. Holmes? Menschenskind, das ist ja Hexerei! Wo, um alles in der Welt, haben Sie diese Namen her?«
»Es ist eine verschlüsselte Botschaft, die Dr. Watson und ich mal eben entziffert haben. Aber warum – was stimmt nicht mit den Namen?«
Der Inspektor blickte uns nacheinander wie betäubt vor Verblüffung an.
»Nur so viel«, sagte er, »daß Mr. Douglas von Birlstone Manor House heute früh auf schreckliche Weise ermordet worden ist.«
2. Mr. Sherlock Holmes doziert
Es war einer jener dramatischen Augenblicke, für die mein Freund lebte. Gleichwohl wäre es übertrieben zu behaupten, die erstaunliche Mitteilung habe ihn aus der Fassung gebracht oder auch nur aufgeregt. Nicht, daß in seinem einzigartigen Wesen eine Spur von Grausamkeit gelegen hätte; aber die langjährige Überreizung hatte ihn zweifellos abgehärtet. Seine Gefühlsregungen waren abgestumpft; seine intellektuelle Wahrnehmungskraft blieb jedoch außerordentlich rege. Folglich gab es bei ihm keine Anzeichen des Grausens, welches ich bei dieser knappen Erklärung verspürt hatte, sondern seine Miene zeigte eher die ruhige und interessierte Gelassenheit eines Chemikers, der das Ausfallen der Kristalle in einer übersättigten Lösung beobachtet.
»Bemerkenswert!« sagte er; »bemerkenswert!«
»Sie scheinen gar nicht überrascht zu sein.«
»Interessiert, Mr. Mac, aber kaum überrascht. Warum sollte ich auch? Von einer mir als wichtig bekannten Quelle erhalte ich eine anonyme Nachricht mit der Warnung, daß einer bestimmten Person Gefahr droht. Im Verlauf einer Stunde erfahre ich, daß diese Gefahr tatsächlich Gestalt angenommen hat und daß die Person tot ist. Ich bin interessiert; aber, wie Sie bemerken, nicht überrascht.«
In ein paar kurzen Sätzen erläuterte er dem Inspektor, was es mit dem Brief und der Geheimschrift auf sich hatte. MacDonald saß da, das Kinn auf den Händen, und seine dichten, sandfarbenen Augenbrauen zogen sich zu einem gelben Büschel zusammen.
»Ich wollte noch heute früh nach Birlstone runter«, sagte er. »Eigentlich bin ich hergekommen, Sie zu fragen, ob Sie mich begleiten möchten – Sie und Ihr Freund hier. Aber nach dem, was Sie sagen, könnten wir hier in London vielleicht mehr erreichen.«
»Das glaube ich eigentlich nicht«, sagte Holmes.
»Zum Henker, Mr. Holmes!« rief der Inspektor. »In ein oder zwei Tagen sind die Zeitungen voll mit Berichten über das Rätsel von Birlstone; bloß, was ist daran rätselhaft, wenn es in London einen Mann gibt, der das Verbrechen vorher schon groß ankündigt? Wir brauchen uns doch nur diesen Mann zu greifen, und alles übrige ergibt sich von selbst.«
»Ohne Zweifel, Mr. Mac. Aber wie haben Sie sich die Ergreifung des sogenannten Porlock vorgestellt?«
MacDonald drehte den Brief um, den Holmes ihm überreicht hatte.
»Aufgegeben in Camberwell – das hilft uns nicht viel weiter. Der Name ist nur angenommen, sagen Sie. Wahrhaftig nicht viel für den Anfang. Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten ihm mal Geld geschickt?«
»Zweimal.«
»Und wie?«
»Banknoten, postlagernd Camberwell.«
»Haben Sie sich nie bemüht zu erfahren, wer sie abgeholt hat?«
»Nein.«
Der Inspektor sah überrascht aus und ein wenig empört.
»Warum nicht?«
»Weil ich mein Wort zu halten pflege. Nach seinem ersten Brief hatte ich versprochen, ich würde nicht versuchen, ihm nachzuspüren.«
»Sie glauben, es steht jemand hinter ihm?«
»Ich weiß es.«
»Dieser Professor, den Sie mir gegenüber mal erwähnt haben?«
»Genau.«
Inspektor MacDonald lächelte, und ein Augenlid zwinkerte, als er mir einen raschen Blick zuwarf.
»Ich will Ihnen nicht verhehlen, Mr. Holmes, daß wir vom C.I.D.6 glauben, daß Sie sich mit diesem Professor eine klitzekleine Grille in den Kopf gesetzt haben. Ich habe in der Sache persönlich einige Nachforschungen angestellt. Er scheint zu einer ausgesprochen ehrbaren, gelehrten und talentvollen Sorte Mensch zu zählen.«
»Es freut mich, daß Sie immerhin sein Talent erkannt haben.«
»Menschenskind, das muß man doch erkennen! Nachdem ich Ihre Meinung über ihn gehört hatte, bin ich von Berufs wegen mal zu ihm gegangen. Wir haben über Sonnenfinsternisse geplaudert. Keine Ahnung, wie wir gerade darauf gekommen sind; aber er hat 'ne Lampe mit Reflektor geholt und einen Globus, und in 'ner Minute hat er mir alles klargemacht. Er hat mir auch ein Buch geliehen; aber das war dann doch ein bißchen zu hoch für mich – trotz meiner guten Aberdeen-Ausbildung; das kann ich ja ruhig zugeben. Er hätte 'n guten Pfaffen abgegeben, mit seinem schmalen Gesicht und dem grauen Haar und der feierlichen Art, wie er spricht. Beim Abschied hat er mir sogar die Hand auf die Schulter gelegt – das war wie Vaters Segen, bevor man in die kalte grausame Welt zieht.«
Holmes kicherte und rieb sich die Hände.
»Großartig!« sagte er; »großartig! Sagen Sie, Freund MacDonald; diese erbauliche und rührende Unterhaltung hat, wie ich annehme, im Studierzimmer des Professors stattgefunden?«
»So ist es.«
»Ein feines Zimmer, nicht wahr?«
»Sehr fein – wirklich, Mr. Holmes, sehr hübsch.«
»Sie saßen vor seinem Schreibtisch?«
»Ganz recht.«
»Sie die Sonne im Gesicht und er im Schatten?«
»Tja, es war Abend; aber ich erinnere mich, daß die Lampe auf mich gerichtet war.«
»Ganz bestimmt war sie das. Haben Sie über dem Kopf des Professors zufällig ein Bild bemerkt?«
»Mir entgeht so leicht nichts, Mr. Holmes. Höchstwahrscheinlich habe ich das von Ihnen gelernt. Ja, ich hab das Bild gesehen – eine junge Frau mit dem Kopf auf den Händen, die einen so von der Seite anguckt.«
»Dieses Gemälde ist von Jean Baptiste Greuze.«
Der Inspektor СКАЧАТЬ