Название: Theorie U - Von der Zukunft her führen
Автор: C. Otto Scharmer
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
Серия: Management
isbn: 9783849782559
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Zwei Lernquellen und zwei Lernformen
Als ich am MIT ankam, war ich ein konventioneller, weißer, männlicher, europäischer Akademiker: stark im intellektuellen Reflektieren, eher weniger stark, was die praktische Erfahrung und Umsetzung betrifft. Was mich am MIT gereizt hatte, war die Aktionsforschung, die dort u. a. von Edgar Schein, dem Mitbegründer von Prozessberatung, vertreten wurde. Gemäß dem Gründer der Aktionsforschung, Kurt Lewin (1890–1947), der in Deutschland geboren und zum Zeitpunkt der »Machtergreifung« Hitlers in die Vereinigten Staaten emigriert war, ist der Ausgangspunkt für Aktionsforschung, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen soziale Systeme nur verstehen können, wenn sie sich aktiv an Veränderungsprozessen beteiligen. Aber wann weiß ein Aktionsforscher, dass er etwas weiß? Als ich Ed Schein diese Frage stellte, antwortete er: »… wenn mein Wissen für die Praktiker in den Organisationen hilfreich ist – in diesem Moment weiß ich, dass ich weiß« (vgl. Schein 1987c, 2002).
Diese Idee bestimmt auch meine eigene Forschung. Im Laufe der letzten 20 Jahre habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen in zahlreichen Aktionsforschungsprojekten daran gearbeitet, Führungsteams zu helfen, einen Veränderungsprozess zu durchlaufen. Diese system-, sektoren- und kulturübergreifenden Aktionsforschungsprojekte haben mich sowohl in Unternehmen als auch zu Nichtregierungsorganisationen geführt. Ich habe viele direkte Erkenntnisse über die Welt der Unternehmen gesammelt, aber mein Weg hat mich über etablierte Institutionen hinaus auch in die Welt von Graswurzelaktivisten, Initiatoren von Basisbewegungen und unternehmerischen und revolutionären Erneuerern geführt.29 Was ich in diesen verschiedenen Welten gelernt habe, lässt sich im Kern mit dem folgenden Satz zusammenfassen: Es gibt zwei Ausgangspunkte für Lernprozesse: die Vergangenheit und die im Entstehen begriffene Zukunft.
Lernen von den Erfahrungen der Vergangenheit ist ein bekannter Prozess, der mit der Abfolge Handlung–Beobachtung–Reflexion–Plan–Handlung beschrieben wird (vgl. Kolb 1984). Wie aber lässt sich von einer im Entstehen begriffenen Zukunft her lernen? Das ist das Thema dieses Buches.30
Der blinde Fleck des organisationalen Lernens
Teams und organisationale Einheiten, die versuchen, diesen neuen Lernweg zu beschreiten, geben häufig frustriert wieder auf. Sie erkennen, dass es nicht möglich ist, tief greifende Veränderungen der oben beschriebenen Art zu erreichen, wenn sie die bisher verwendeten konventionellen Lern- und Veränderungsmethoden einsetzen. Das Lernen aus der Vergangenheit funktioniert nicht. Ein Lernen von einer im Entstehen begriffenen Zukunft lässt sich nicht einfach an konventionelle Lernprozesse als zusätzlicher Schritt anfügen, indem man sagt: »Lasst uns jetzt von der entstehenden Zukunft lernen.« Diese Lernform setzt vielmehr voraus, dass wir auf kollektiver Ebene eine Bewegung vollziehen, die dem entspricht, was mit mir geschah, als ich vor dem brennenden Bauernhof stand. Wir müssen den spezifischen Kontext mit neuen Augen betrachten (Weick 1996). Alte, gewohnheitsmäßige Formen des Reagierens müssen losgelassen werden. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit für die Welt vertiefen und uns für das Staunen öffnen. Wir müssen den Strahl unserer gewohnheitsmäßigen Aufmerksamkeit bewusst umlenken und zurück auf ihre Quelle richten – auf den blinden Fleck, aus dem heraus wir handeln. Wir müssen unser Aufmerksamkeitsfeld öffnen, um Anschluss an die Zukunft zu finden, die entstehen will.
Wir müssen uns also auf die Suche begeben. Aber wir verfügen über eine subtile, unsichtbare Dimension – die tiefere Ebene des Quellenbewusstseins –, die uns dabei hilft. Die tiefen Strukturen des sozialen Feldes bestimmen die Qualität unserer Handlungen genauso, wie das Feld des Landwirts die Qualität der Ernte bestimmt. Wir können die Qualität dieser tieferen Feldschichten auf eine Weise verändern und gestalten, die unseren Horizont für höhere Zukunftsmöglichkeiten öffnet. Dann fangen wir an, profunde soziale Erneuerung und Veränderung zu bewirken.
26 Siehe auch Argyris (1993); Argyris a. Schön (1995); Senge (1990); Senge (1994); Schein (1989).
27 Dieses Projekt umfasste Dialoginterviews mit Wissenschaftlern und Praktikern in den Bereichen Management, Veränderungsprozesse, organisationales Lernen, Strategie, Führung. Einige der 150 Interviews sind als E-Zeitschrift veröffentlicht (Society of Organizational Learning 1999). Eine Auswahl der Interviews ist zudem verfügbar unter: https://www.presencing.org/aboutus/theory-u/leadership-inter-view [Zugriff: 13.1.2020].
28 Alle folgenden Zitate stammen aus diesem Interview (Transkription verfügbar unter https://www.presencing.com/dol/senge [Zugriff: 13.1.2020]).
29 Siehe Scharmer und Käufer (2015); Scharmer und Käufer (2013, dt.: 2014).
30 Siehe auch einige frühere Arbeiten zu diesem Thema: Senge et al. (2004); Kahane (2004); Torbert et al. (2004).
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