Der Geliebte der Verlobten. Laura Lippman
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Geliebte der Verlobten - Laura Lippman страница 12

Название: Der Geliebte der Verlobten

Автор: Laura Lippman

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Tess Monaghan

isbn: 9783311701804

isbn:

СКАЧАТЬ diese Worte; sie wurden in der Stadt besonders gerne benutzt. Die meisten Bettler probierten es damit und gingen dann wieder. Doch dieser Mann hier wollte nicht aufgeben, egal, wie sehr ihm die Bullen auch schmeichelten oder drohten. Sie ließ sich von diesem Bild so sehr gefangen nehmen, dass sie fast nicht bemerkt hätte, wie Ava aus dem vorderen Eingang kam. Sie wandte sich in Richtung Galerie, die Aktentasche in der Hand. Aber statt eines ihrer perfekten Kostüme – Tess hatte sie bisher in Grau, Schwarz, Rot und einem erstaunlichen Ton von Olivgrün gesehen – trug sie ein pflaumenfarbenes Kleid, ein seltsames Stück mit hochgeschlossenem Kragen und langen Ärmeln. Seltsam deshalb, weil es bei dieser Länge und diesem Schnitt eigentlich streng und konservativ hätte wirken müssen. Aber dieses Kleid strahlte Sex aus. Wie nannte Kitty diesen Stil? Ein Ausziehkleid, wie geschaffen dafür, mit einer einzigen heftigen Bewegung vom Körper gerissen zu werden.

      In der Galerie machte sich Ava nach einer kurzen Aufwärmphase an ihr Diebstahlprogramm. Tess sah zu, wie sie wieder bei Amaryllis dasselbe silberne Halsband bewunderte, wie sie bei Ann Taylor einen Kaschmirpullover streichelte, wie sie bei manchen Waren abfällig lächelte oder zurückschauderte, bei Sachen, für die zu bezahlen sie sich niemals herablassen würde, obwohl sie sie eventuell für einen Diebstahl in Betracht ziehen mochte. Sie liebte es, Dinge zu berühren. Die Berührung schien ihr sogar mehr Vergnügen zu bereiten als der eigentliche Moment des Diebstahls; wenn wieder ein kleiner, glanzvoller Gegenstand den Weg in ihre ausgehungerte Aktentasche nahm. Tess war gespannt, was sie heute stehlen würde, aber nach einem kurzen Besuch im Coach, wo sie eine tannengrüne Aktentasche streichelte, die ihrer eigenen glänzendschwarzen aufs Haar glich, sah Ava auf die Uhr, verließ sofort den Laden und ging schnurstracks auf die Lobby des Renaissance Park Hotels zu, genau wie am ersten Tag.

      Im Verlauf der vergangenen Woche hatte Tess im Beschatten von Ava ziemlich viel Übung bekommen. Sie blieb mindestens sechs Meter hinter ihr, den Blick auf einen Punkt etwa ein bis zwei Meter vor ihr gerichtet, die Kleidung dunkel und unauffällig. Um ihre Haare machte sie sich überhaupt keine Sorgen mehr, allerdings trug sie als besondere Vorsichtsmaßnahme eine Sonnenbrille. Hauptsächlich verließ sie sich darauf, dass Ava langsam ging und nie jemanden bemerkte, der nicht für sie von Nutzen war.

      Heute aber ging Ava schneller als sonst und gewann einen zu großen Vorsprung. Als Tess die Entfernung wieder einholen wollte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, stieß sie ziemlich heftig mit jemandem zusammen und schaute in das ihr bekannte Gesicht eines Mannes. Schaute auf das Gesicht hinunter, genau genommen, denn der Mann war klein; er reichte ihr nicht einmal bis zum Schlüsselbein. Ärgerlich und verlegen sah Tess in ein Gesicht, dem sie keinen Namen zuordnen konnte, obwohl sie wie wild ihre Vergangenheit durchstöberte. College? Zeitung? Eine unerfreuliche Beziehung?

      Obwohl so klein, hatte der Mann doch einen riesigen Kopf, der auf einem dürren Hals saß. Sein Kopf war so groß und sein Hals so dünn, dass der Kopf zu wackeln schien wie bei diesen Spielzeughunden, die sich manche Leute hinten ins Auto setzen. Tess schenkte ihm ihr wärmstes Lächeln und ihr herzlichstes »Hallo!«, in der Hoffnung, seine Antwort werde ihr einen Hinweis auf seine Identität geben, oder zumindest ein wenig Zeit, sich auf seinen Namen zu besinnen. Aber Großkopf glotzte sie an, als habe er sie noch nie gesehen.

      So war es auch. Als er sich abwandte, wurde Tess klar, dass sie in eins der bekanntesten Gesichter Baltimores geschaut hatte, ein Gesicht, das man so oft sah, dass man sich unwillkürlich einbildete, man sei mit seinem Besitzer bekannt: Michael Abramowitz. Seine eng stehenden Augen blickten jetzt schon seit fast fünfzehn Jahren von Titelblättern und aus Fernsehbildschirmen. Seinen schlechten Ruf hatte er sich erworben, als er noch Pflichtverteidiger war, ein Schreihals, der die Leute verärgerte, weil er viel zu viel Erfolg verbuchen konnte für die angeklagten Mörder und Vergewaltiger, die er verteidigte. Abramowitz gewann gern, und obwohl er als armer Verwandter aufgewachsen war – ein entfernter Cousin eines innerstädtischen großen Vermögens, das auf Möbelschoner aus Plastik beruhte –, behauptete er immer, dass ihm das miserable Gehalt nichts ausmache.

      Doch als er vor einigen Jahren damit aufhörte, war er mit derselben Zielstrebigkeit, die ihn bei der Ausübung des Amts eines Pflichtverteidigers so gut vorangebracht hatte, auf einmal hinter Geld her. Er wurde der Freund von denen, die betrunken Auto fuhren, wurde der König der Versicherungsbetrüger und der Star einer Werbung, die wunderbar im Trend lag und in der vor einem lodernden Kaminfeuer gesagt wurde: »Zwei Fehler addiert ergeben noch nicht ein Richtiges. Sie haben vielleicht einen Fehler gemacht, aber Sie können sich jetzt den richtigen Anwalt nehmen.«

      Mit der Zeit wurden seine Werbungen immer seltsamer, was aber nur noch mehr zu seinem Ruhm beitrug. Er trat zusammen mit einem Dalmatiner vor die Kamera und kurze Zeit sogar mit einer vorgetäuschten Familie. Als aber ein Zeitungsartikel berichtete, dass er nie geheiratet oder Kinder bekommen habe, ging er dazu über, Banjo zu spielen, mit einer Reihe von Revuetänzerinnen hinter sich, die alle nach der Melodie von »Sweet Sue« sangen.

      »Ev’ry star above / Knows when push comes to shove / You’ll sue / Yes, you / Stars up in the sky / Tell you he’s your guy / Michael who?/Will sue.« Sein massiges Gesicht und sein schwerer Baltimorer Akzent machten ihn wenigstens dem Namen nach zu einer Berühmtheit. Und das Geschäft machte ihn, wenn auch nicht reich, so doch auf obszöne Weise zufrieden.

      Doch dann, als man gerade darüber zu spekulieren begann, ob Abramowitz wohl seine ständige Präsenz dazu benutzen würde, für sich eine erfolgreiche Bewerbung für ein hohes Amt auszuhandeln, warf er wieder alle öffentlichen Erwartungen über den Haufen, indem er O’Neal, O’Connor & O’Neill beitrat, dieser gesetzten Kanzlei der Blaublütigen, die die Öffentlichkeit scheuten, außer ein paar gelegentlichen Schnappschüssen bei einem Sinfoniekonzert oder anlässlich des berühmten Triple-Crown-Pferderennens. Abramowitz hatte den Reportern gegenüber den Akzent der Garbo nachgeahmt und sogar wörtlich den Satz benutzt, den sie in Grand Hotel sagte: »Ich möchte einfach nur in Ruhe gelassen werden.«

      Vielleicht hatte er ja die Wahrheit gesagt. Heute jedenfalls eilte er schleunigst davon, als Tess so tat, als würde sie ihn wiedererkennen. Sie zuckte die Schultern und drängte in die Hotelhalle, wo sie nach Ava Ausschau hielt.

      Kein Glück. Sie überflog die Liste der heutigen Veranstaltungen, ob vielleicht eine Konferenz dabei war, an der Ava teilnehmen wollte. Das aber schien zweifelhaft, außer, wenn Ava sich plötzlich in eine Gerichtsmedizinerin verwandelt hätte, was die einzige Berufsgruppe war, die heute hier tagte. Sie rief von einem Haustelefon aus den Empfangsschalter an und fragte nach der Zimmernummer von Ava Hill. Unter diesem Namen sei niemand eingetragen, sagte ein Mann mit zimperlicher Stimme entschieden. Sie wandte sich hastig vom Haustelefon ab und stieß ein zweites Mal mit Herrn Großkopf Michael Abramowitz zusammen.

      Wieder musste Tess sich bremsen, dass sie ihn nicht anlächelte wie einen alten Freund. Es war schon erschreckend, was für eine Intimität das Fernsehen schuf. Diesmal sah Abramowitz sie fest und lange an. Tess fragte sich, ob er sie nicht vielleicht für eine chronisch Prozesssüchtige hielt, die sich gut gekleideten Leuten in den Weg warf und dann auf eine großzügige Abfindung hoffte. Er sagte aber nichts, sondern drehte sich lediglich um und ging zum Aufzug. Es war wirklich absurd, wie klein er aussah, bis auf den riesigen Kopf, und Tess dachte, dass es ihn bestimmt ermüden musste, den immer herumzutragen. Nicht einmal der Körper von Rock könnte einen so gargantuamäßigen Kopf leicht tragen.

      Der Gedanke an Rock entzündete in ihrem Kopf eine ganze Reihe von kleinen Explosionen. Abramowitz. Avas Chef. Ava. Hotelhalle. Abramowitz und Ava. Nicht in der Hotelhalle, aber irgendwo dort oben.

      »Aber er ist doch so hässlich«, sagte sie laut, wodurch sie sich einen bösen Blick von einer jungen Frau zuzog, die in der Nähe saß und ein kleines Kind auf dem Schoß hielt. Das Kind, ein kleiner Junge in einem Gewand aus weißer Spitze und mit einer ebensolchen Mütze, sah tatsächlich nicht besonders hübsch aus. Tess drehte sich rasch zur Seite, damit die Frau ihr Gesicht nicht sah, das vor lauter Verlegenheit und Lachen ganz rot geworden war. Als sie sich wieder gefasst hatte, ging СКАЧАТЬ