Название: Der Klang der Stille
Автор: Haide Tenner
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783701746491
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In dieser Zeit musste ich viel Repertoire lernen, auch für das Konzertpodium im Grazer Stephaniensaal, denn wir verstärkten auch die Konzerttätigkeit des Orchesters. Meine erste Eroica, Fünfte und Neunte Beethoven, die ersten Mahlersymphonien, das Lied von der Erde und vieles andere mehr haben wir damals erarbeitet. Als Operndirigent hatte ich ja schon einige Erfahrung, aber die Konzerte waren für mich eine neue Herausforderung. Es gab vieles zu entdecken und enorm viel zu lernen. Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass ich damals einfach noch nicht »über« den Werken stand. Ich hatte sie gerade so gelernt, dass ich mit den Musikern arbeiten konnte, aber natürlich fällt man zum Beispiel bei seiner ersten Neunten Beethoven in jede nur mögliche Falle. Man weiß noch nicht, wie bestimmte Übergänge gestaltet werden müssen, oder dass die ersten Geigen an einer ganz bestimmten Stelle auf das erste Horn hören müssen oder Ähnliches. Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich diese wichtigen Werke damals in Graz erarbeiten und diese Erfahrungen sammeln konnte.
Ich empfand damals das Grazer Publikum als unglaublich herzlich. Die Menschen kamen mit großer Begeisterung nicht nur in die Oper, sondern vor allem auch in die Konzerte, sodass diese Abende sehr schnell fast schon Kultstatus bekamen. Aber nie werde ich die Worte eines Ersten Klarinettisten vergessen, der, als er in Pension ging, sich bei mir für die Arbeit mit dem Orchester bedankte, abschließend jedoch anmerkte, dass es ihm aber etwas auf die Nerven gegangen sei, dass die Menschen sagten: »Gemma Jordan schauen.« Die Menschen sollten doch in erster Linie wegen der Musik kommen … Er hatte natürlich völlig recht, aber es soll auch nichts Schlimmeres geschehen, als dass ein Publikum neugierig auf junge Künstler ist.
Es waren also sehr produktive und ereignisreiche Jahre, doch dann kam völlig überraschend der Abgang von Karen Stone, was für uns alle ein Schock war. Grund dafür war die Ausgliederung der Oper in eine sogenannte Holding. Davor war Karen Stone Generalintendantin für alle Sparten. Nach der Ausgliederung sollte sie nur noch für den Bereich Oper verantwortlich sein, obwohl ihr Vertrag anders lautete. Es gab Streitigkeiten mit der Politik, sie bekam keinerlei Unterstützung und von einem Tag auf den anderen hieß es dann, dass sie das Haus für die Oper in Dallas verlässt. Plötzlich war ihre schützende Hand für mich weg. Es stand dann auch zur Debatte, ob ich nicht Intendant und Musikdirektor in einer Person sein könnte, aber diese Option war nie ein Thema für mich. Dann wurden diverse mögliche Kandidaten diskutiert und ich brachte den Namen von Roland Geyer ins Spiel, der sehr interessiert war und ein fertiges Konzept präsentierte. Ich selbst hatte einen Dreijahresvertrag, wollte ursprünglich auch länger bleiben, stellte aber Forderungen. Vor allem: mehr Geld für das Orchester, damit bessere Leute zu den Probespielen kämen, wenn die Stellen besser bezahlt würden. Ich lehnte mich weit aus dem Fenster, pokerte auch vielleicht ein bisschen hoch, aber letztlich wäre ich zunächst noch gerne in Graz geblieben. Allerdings musste ich bald erkennen, dass keinerlei ernsthafte Zusagen seitens der Politik kamen, und wollte mich nicht mit leeren Versprechungen abfinden. Auch wollte ich meine weitere Zeit nicht hauptsächlich mit Kämpfen verbringen und so verlängerte ich schließlich meinen Vertrag nicht. Viele dachten, ich sei im Streit gegangen. Tatsache aber war: Ich habe nur einfach nicht mehr verlängert. Da ich nicht blieb und auch Roland Geyer keine wirkliche Unterstützung bekam, sagte auch er ab. Wir wollten ja ein Team bilden. In der Folge übernahm er dann als Intendant das Theater an der Wien, welches unter seiner Leitung nach langer Zeit wieder ausschließlich ein – höchst erfolgreiches – Opernhaus wurde.
Ich merkte auch sehr bald, dass es letztlich richtig war, in Graz die Notbremse zu ziehen. Intendant wurde schließlich Jörg Koßdorff, der technische Direktor des Hauses. Was in Graz immer am besten funktioniert hatte – noch weit besser als meine Arbeit mit dem Orchester –, war die Technik. Alle Regisseure kamen gerne nach Graz, eben weil die Technik dort so gut arbeitete. Ich mochte Koßdorff, sagte ihm aber ganz offen, dass ich mit ihm nicht diese Chemie spürte, die mich mit Karen Stone verbunden hatte.
Parallel zu dieser am Ende eher unerfreulichen Entwicklung in Graz kamen aber viele interessante Anfragen für mich. Darunter die Wiener Symphoniker, das RSO Wien, die Salzburger Festspiele, die Wiener Staatsoper. Am Ende meiner Grazer Zeit dirigierte ich 2004 in Berlin auch eine Neuproduktion von Hans Werner Henzes Elegie für junge Liebende an der Staatsoper. Zuvor hatte ich dort bereits andere Premieren geleitet, aber da die Elegie ein Werk aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, erregte sie in der Presse viel Aufmerksamkeit. Ich hatte mir das Stück vom neuen Intendanten, Peter Mussbach, gewünscht, der in einer Stadt mit drei Opernhäusern ohnehin lieber neue Werke aufführte, als ständig das herkömmliche Repertoire wieder und wieder zu reproduzieren. Christian Pade, ein damals vielversprechender junger Regisseur, inszenierte. Im Vorfeld gab es Diskussionen über etwaige Kürzungen, ehe sich Henze persönlich einschaltete, der sein Werk natürlich möglichst vollständig sehen wollte. Seinen Wunsch nahm ich mir zu Herzen. Zwei Tage vor der Premiere hatte ich einen Fahrradunfall und musste aufgrund eines riesigen Hämatoms unter Vollnarkose operiert werden. Am Tag der Premiere wurde ich mittags mit zwei Krücken aus dem Krankenhaus entlassen. Zeitgenössische Opern dirigiere ich normalerweise ohnehin sitzend, insofern war das nicht so ein Problem. Die wirkliche Herausforderung erwartete mich dann allerdings beim Schlussapplaus. Ich konnte zwar ein paar Schritte ohne Krücken gehen und mich verbeugen, aber dann kam der schwierigste Moment: Ich musste Hans Werner Henze für den Applaus auf die Bühne bitten. Da er schon Mitte achtzig war, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit und das hatte ich natürlich nicht einkalkuliert. Während er ganz langsam auf die Bühne kam, dachte ich die ganze Zeit: Hoffentlich halte ich noch das Gleichgewicht. Aber Henze zeigte sich angeblich sehr zufrieden mit unserer Arbeit und war auch bei der ganzen Probenarbeit äußerst generös und zurückhaltend. Für mich war es eine wunderbare Erfahrung, den Komponisten bei der Produktion seines Werkes dabeizuhaben.
Die Pionierjahre
Als ich 2004 nach diesen drei Jahren erster Cheferfahrung Graz verließ, war ich zunächst einmal müde und erschöpft. Ich konnte damals einfach noch nicht mit meinen Emotionen und Kräften haushalten und musste erst lernen, an meiner inneren Haltung zu arbeiten oder wie man mit seinen Ängsten und seinem Perfektionsdrang umgeht. Das ist ein langer Weg, aber einer der wichtigsten, den es für junge Künstler zu gehen gilt. Deswegen war mir nach Graz auch klar, dass ich zunächst nicht sofort wieder eine Chefstelle antreten wollte, obwohl es an Angeboten nicht mangelte. Besonders verlockend für mich war jenes von Alexander Pereira für die Oper in Zürich. Aber zurück in meine Heimatstadt zu gehen, hätte damals auch bedeutet, mich dem Vergleich mit meinem Vater auszusetzen, der zu dieser Zeit noch lebte und wirkte. Pereira rollte mir wirklich den roten Teppich aus, aber ein Chefposten war für mich zu diesem Zeitpunkt keine Option. Ich musste schließlich die Welt erst entdecken. Aber abgesehen davon, dass ich Graz erst einmal verarbeiten wollte, und natürlich auch wegen der Bedenken im Hinblick auf meinen Vater war es an der Zeit, unterschiedliche Orchester kennenzulernen und mir international einen Namen zu machen. So wurden die darauffolgenden Jahre bis zu meinem Amtsantritt in Paris eine ganz wesentliche Phase der Erfahrung in meiner weiteren Entwicklung.
Die ersten beiden Jahre nach Graz arbeitete ich dann ausschließlich als freischaffender Dirigent, aber 2006 kehrte ich schließlich in der Position des Ersten Gastdirigenten an die Staatsoper in Berlin zurück. Als solcher hatte ich eine Premiere und zwei Wiederaufnahmen pro Jahr sowie ein Symphoniekonzert zu leiten – es blieb mir also neben diesen Verpflichtungen genug »Luft«. Mozarts СКАЧАТЬ