Название: Hockneys Leben
Автор: Catherine Cusset
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Oktaven
isbn: 9783772544149
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Alles konnte zum Sujet eines Bildes werden: ein Gedicht, etwas, das man sah, eine Idee, ein Gefühl, eine Person. Wahrhaftig alles. Das war die Freiheit. Derek hatte ihm einmal geraten, er solle sein Clown-Image abstreifen, wenn ihm daran lag, dass man seine Arbeit ernst nähme. Aber nein: Man konnte beides sein, ein Clown und ein ernsthafter Maler!
Mit sechsundzwanzig Jahren reiste er zu Beginn des Sommers wieder nach New York, diesmal an Bord der Queen Elizabeth. Er wollte die Radierungen zu A Rake’s Progress fertigstellen und Jeff wiedersehen, den Amerikaner, mit dem er im Sommer zuvor nach Italien gefahren war. Eines Nachmittags lernte er bei Andy Warhol, zu dem ihn sein Freund mitgenommen hatte, einen rundlichen, pausbäckigen, bärtigen Typ kennen, der als Kurator für zeitgenössische Kunst am Metropolitan Museum arbeitete und sich als der witzigste, lebhafteste, scharfzüngigste Mensch erwies, dem er je begegnet war. Gleich am nächsten Tag trafen sie sich wieder. Ein homosexueller Jude, wie alle seine amerikanischen Freunde. Henry war 1940 mit seinen Eltern, die aus Brüssel stammten, mit dem letzten Schiff in die USA emigriert. David fühlte sich körperlich nicht von ihm angezogen, aber er hatte noch mit keinem anderen Menschen eine so spontane Vertrautheit erlebt. Die Worte flogen zwischen ihnen hin und her wie Tennisbälle, einer beendete die Sätze des anderen und sie kamen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Sie waren nur zwei Jahre auseinander, liebten dieselben Dichter, dieselben Filme, dieselben Künstler, dieselben Bücher und schwärmten sogar beide leidenschaftlich für die Oper. Jenseits des Atlantiks hatte David eine verwandte Seele gefunden.
Zurück in London, bot ihm ein junger Mann, der einen Handel mit Grafiken aufgebaut hatte, einen Deal an: Er würde fünfzig Serien der sechzehn Radierungen von A Rake’s Progress drucken und sie zu hundert Pfund pro Serie verkaufen. Das ergab insgesamt fünftausend Pfund und war die größte Summe, die David oder sonst ein Künstler aus seiner Bekanntschaft je verdient hatte. Die Herstellung einer Serie kostete höchstens zwei, drei Pfund. Es gab Menschen, die hundert dafür zahlten? Welch ein Wahnsinn! Natürlich würde David nicht die gesamte Summe erhalten, da Kasmins Anteil und der des Händlers abgezogen werden mussten. Aber es war ein hübscher Batzen, und ein Teil davon würde ihm gehören. Endlich konnte er für sich und seine Freunde in seiner Wohnung in Notting Hill eine Dusche einbauen. Und das war erst der Anfang: Bald darauf stellten zwei Londoner Galerien Werke von ihm aus, die Sunday Times of London schickte ihn auf ihre Kosten nach Ägypten, damit er dort für sie Buntstiftzeichnungen fertigte, und das Geld, das er mit den Radierserien verdiente, erlaubte es ihm, sich einen Traum zu verwirklichen: Im Januar flog er nach Los Angeles.
Oft sah er im Geist den Direktor der Bradford School of Art vor sich, der ihn erstaunt fragte: «Sind Sie Privatier?» Über dieses Bild schob sich das des fünfzehnjährigen Jungen, der zitternd vor Angst und Aufregung im Kino saß, wo ein Unbekannter mit seiner Hilfe masturbierte. Er hatte einen weiten Weg zurückgelegt.
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