Название: Ohne Panzer Ohne Straßen
Автор: Franz Taut
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Zeitzeugen
isbn: 9783475544545
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Ein dreifaches »Sieg-Heil«, dann begab sich alles zu den Fahrzeugen. Die Motoren sprangen an. Die Kolonne setzte sich in Bewegung – zum Marsch in eine ungewisse, bedrohliche Zukunft. Jeder spürte es. Das späte Sonnenlicht schien verdunkelt. Und wehte nicht ein kalter Wind durch die sommerliche Wärme des Juniabends?
Die Abendröte verglomm am Himmel über den polnischen Wäldern. Um sieben Uhr waren die vier Geschütze der Batterie Kern in die erste Feuerstellung des Ostfeldzuges eingefahren. Mit nur geringem Abstand voneinander standen die Haubitzen auf dem sandigen Boden eines weiten Kahlschlages, der von hohen Kiefern umgeben war. Die hochgekurbelten Rohre wiesen nach Süden, denn hier, in der Region zwischen dem San und dem polnischen Bug, die beide der Weichsel zuströmten, verlief die Grenze in einem Knick von West nach Ost.
Rauchend und den mit Rum angereicherten Tee schlürfend, der vor Kurzem von der Feldküche nach vorn gebracht worden war, hockten die Kanoniere bei den Geschützen und blickten den Infanteristen nach, die in endlosen Reihen an der Stellung vorbeizogen. Schweigend trotteten die grauen Gestalten unter der Last ihrer Ausrüstung durch den Sand. Die meisten hatten den Stahlhelm ans Koppel gehängt. Seitengewehr, Spaten, Patronentaschen, Brotbeutel und Stielhandgranaten lasteten schwer am Koppel. Wie Jäger trugen viele die Karabiner am Riemen. Die MG-Schützen hatten ihre Spritzen mit den durchlöcherten Kühlmänteln auf der Schulter. Auf der Brust kreuzten sich die mit messinggelben Patronen gespickten Gurte. Jede Kompanie führte einen leichten Granatwerfer und eine großkalibrige lange Panzerbüchse mit.
Ein Leutnant mit schweißverklebtem und vom Stahlhelm zerdrücktem blondem Haar blieb stehen, musterte die Geschütze, wandte sich ab und folgte wortlos seinen Männern.
Hohberg war im Wagen nach vorn zur B-Stelle gefahren. Von der mit Buschwerk bewachsenen Anhöhe aus bot sich ein weiter Blick auf sanft gewelltes Wald- und Wiesenland, das unter den Schatten der Abenddämmerung versank. Der Batteriechef hatte die Ziele jenseits der Grenze bestimmt. Hohberg erfuhr, dass die gesamte Artillerie der Division auf verhältnismäßig geringer Breite aufgefahren war und im Morgengrauen mit einem gewaltigen Feuerschlag den Angriff eröffnen sollte, sofern nicht Gegenorder käme.
»Gegenorder?«, fragte Hohberg den Chef. »Kann sich denn da noch etwas ändern?«
Hauptmann Kern schüttelte den Kopf. »Nicht so, wie Sie vielleicht meinen, Hohberg. Der Angriff ist befohlen. Aber man hält es für möglich, dass drüben nichts liegt. Jedenfalls nicht in Grenznähe. Leutnant Heise ist mit dem Funker vorn bei den Sturmpionieren. Von ihm werden wir aus erster Hand erfahren, wie es aussieht.«
Hohberg meldete sich ab. Sein Fahrer, der Gefreite Anschütz, wartete beim Wagen. Er hatte bisher Oberleutnant Richert gefahren, der sich seit Anfang Juni auf einem Lehrgang in Frankreich befand.
»Wie schaut’s denn bei den Russen aus?«, fragte er den Leutnant, der erst seit ein paar Stunden die neuen Schulterstücke trug.
»Alles ruhig, nichts zu sehen«, antwortete Hohberg. War diese völlige Stille auf der anderen Seite der Grenze nicht sonderbar?
Der Gefreite Anschütz schien es von einem anderen Gesichtspunkt aus zu betrachten. »Um so besser«, meinte er, »wenn die Russen nichts haben, kann der ganze Rummel ja nicht lange dauern.«
Hohberg widersprach nicht. Es würde sich zeigen. Immerhin schien festzustehen, dass es drüben keinen Aufmarsch gab. Hatte der Chef nicht die Möglichkeit angedeutet, dass die Grenze überhaupt nicht besetzt war? Demnach war der eigene Angriff ein Überfall auf einen nichtsahnenden Gegner. Aber hatte es sich am 1. September 1939 gegen Polen anders abgespielt? Eine regelrechte Kriegserklärung war auch da nicht vorhergegangen.
Sie fuhren zurück. Als sie die Feuerstellung erreichten, war es dunkel geworden. Die Kanoniere kauerten bei den Geschützen und unterhielten sich mit leisem Gemurmel, als fürchteten sie, ein lautes Wort könnte dem Feind ihre Anwesenheit verraten – dem Feind, der zu dieser Stunde nicht ahnte, was frühmorgens um drei Uhr fünfzehn über ihn hereinbrechen würde.
An Schlaf dachte niemand in dieser Nacht. Unerträglich empfand man die Stille, die höchstens von flüchtigem Geraschel oder vom Ruf eines Nachtvogels unterbrochen wurde.
Um Mitternacht klingelte schrill der Fernsprecher. Hohberg nahm ab. Von der B-Stelle, zu der vom Nachrichtenzug eine Leitung gelegt worden war, kamen die Werte für den ersten Feuerbefehl durch. Also doch keine Gegenorder.
Die Zeiger der Uhr rückten vor. Der 22. Juni 1941 war angebrochen.
Um zwei Uhr rief der Chef erneut an.
»Drüben ist alles unverändert«, sagte er. »Kann noch nicht sagen, ob sich ›Weinrebe‹ erübrigt.«
»Weinrebe« war der Tarncode für den beabsichtigten Feuerschlag, mit dem die Artillerie den Sturmpionieren und der Infanterie den Sprung durchs Niemandsland erleichtern sollte.
Alle warteten, aufs Äußerste gespannt. Im Osten breitete sich ein Schimmer fahler Helligkeit am Himmel aus. Flackernd verblassten die Sterne. Die Stille, die über dem Grenzgebiet lag, war so vollkommen, als hielte sogar die Natur den Atem an. Kein Lufthauch regte sich. Farblos dehnte sich das wellige Land mit seinen Wiesen und schattendunklen Wäldern im ungewissen, sacht sich aufhellenden Schein der Dämmerung.
Zwei Uhr dreißig. Vom Tross brachten Essensträger kalte Verpflegung und heißen Kaffee. Es war echter Bohnenkaffee, vom »Spieß« seit Frankreich für besondere Gelegenheiten gehortet. Eine solche Gelegenheit war dieser Morgen, an dem der Feldzug gegen Russland beginnen sollte.
Mit schräg nach oben gerichteten Rohren standen die vier Geschütze der Batterie bereit. Die Erdsporen mit ihren scharfen Schneiden, die tief in den Boden gerammt waren, sicherten die gespreizten Holme gegen die Wucht des Rückstoßes. Hinter jedem Geschütz waren Granaten in ihren Körben aufgeschichtet. Daneben stapelten sich die Kartuschkästen. Die Kanoniere tappten unruhig umher. Kein Wort wurde gesprochen, als schnüre die Erregung allen die Kehle zu.
Drei Uhr. Der Funker hockte vor seinem Gerät, die Kopfhörer aufgestülpt. Der Fernsprecher hielt die Hand griffbereit über dem Feldtelefon.
Unbemerkt war es auf einmal Tag geworden. Fast schmerzhaft war die immer noch anhaltende Stille. Alle lauschten gespannt. Nichts regte sich. Der Feind schien zu schlafen. Der Feind! Tags zuvor zur gleichen Stunde hatte noch niemand daran gedacht, die Russen Feinde zu nennen.
Drei Uhr zehn. Kein Gegenbefehl war gekommen. Fast erleichtert rief Leutnant Hohberg mit vollem Stimmaufwand, ohne vom Megafon, der Flüstertüte, Gebrauch zu machen: »Ganze Batterie! Vierte Ladung Aufschlag …« Es folgten die Werte für die Zieleinrichtung und die Rohrerhöhung. Und dann: »Feuerbereitschaft melden!«
Die Geschützführer beorderten die Kanoniere und Munitionskanoniere an ihre Plätze und riefen fast gleichzeitig Wachtmeister Binder die Meldung zu.
Gelassen trat Binder vor Leutnant Hohberg.
»Batterie feuerbereit.«
Hohberg blickte auf seine Uhr. Jetzt hob er das Megafon.
»Batterie Feuer!«
Sekunden später brüllte der Donner der Abschüsse auf. Auch zur Linken und zur Rechten hallte es krachend wie überlautes Echo.
Das СКАЧАТЬ