Название: Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs
Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783961183197
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Ich schauderte bei dem Gedanken an die lange Reihe von Grausamkeiten und Mißhandlungen, die vorangegangen sein mußten, um bei einem solchen Menschen einen solchen Eindruck hervorzubringen. Ich wußte nichts zu erwidern: denn wer konnte dem Verworfenen, den ich vor mir hatte, Hoffnung oder Trost geben?
Ich saß über zwei Stunden bei ihm, während er, vor Schmerzen und Ungeduld ächzend, unaufhörlich seine Arme hin und her warf, und sich immer wieder von einer Seite auf die andere umwandte. Endlich verfiel er in eine Art von bewußtlosem Halbschlummer, in dein der Geist unruhig von Bild zu Bild, von Ort zu Ort wandert, ohne die leitende Hand der Vernunft und ohne die Fähigkeit, sich von einem unbeschreiblichen Gefühle vorhandenen Leidens loszumachen. Da ich aus seinen Delirien entnahm, daß dies bei ihm der Fall, und alle Wahrscheinlichkeit vorhanden war, das Fieber werde sich vorderhand nicht mehr steigern, so entfernte ich mich, indem ich dem bedauernswürdigen Weibe versprach, am nächsten Abende meinen Besuch zu wiederholen und nötigenfalls die Nacht über bei dem Kranken zu wachen.
Ich hielt mein Versprechen. Die letzten vierundzwanzig Stunden hatten aber eine furchtbare Veränderung hervorgebracht. Die Augen, obgleich tief eingefallen und schwer, leuchteten von einem entsetzlichen Glänze. Die Lippen waren vertrocknet und an manchen Stellen aufgesprungen; die trockene harte Haut fühlte sich glühend heiß an, und in dem Gesichte des Kranken lag ein beinahe gespenstischer Ausdruck wilder Angst, der die Verheerungen der Krankheit noch stärker hervorhob. Das Fieber hatte seinen höchsten Grad erreicht.
Ich setzte mich wie gestern abend an sein Bett, und hier vernahm ich stundenlang Töne, die das fühlloseste Herz hätten tief ergreifen müssen – die furchtbaren Phantasien eines Sterbenden. Wie ich vom Arzte vernommen, war keine Hoffnung mehr vorhanden. Ich saß an seinem Sterbebette. Ich sah die abgezehrten Glieder, die noch kurz zuvor zur Belustigung eines rohen Haufens verrenkt worden waren, sich unter den Martern der Fieberglut krümmen – ich hörte das schrille Gelächter des Harlekins, gemischt mit dem leisen Röcheln des Sterbenden.
Es ist ergreifend, den Geist zu den gewöhnlichen Beschäftigungen in den Tagen der Gesundheit zurückkehren zu sehen, während der Körper schwach und hilflos daliegt: aber wenn diese Beschäftigungen von der Art sind, daß sie Zuständen, die eine ernste und feierliche Stimmung in uns hervorrufen, geradezu entgegengesetzt sind, so geht dieser Eindruck noch unendlich tiefer.
Die Bühne und die Schenke waren die Hauptschauplätze, auf denen sich die Phantasie des irren Elenden erging. Es war Abend, bildete er sich ein. Er mußte auftreten: es war spät, und er durfte keinen Augenblick mehr säumen. Warum hielten sie ihn zurück und ließen ihn nicht gehen? – Seine Einnahme stand auf dem Spiel – er mußte gehen. Nein! sie wollten ihn nicht fortlassen. Er barg sein Gesicht in seine glühenden Hände und beklagte seine Schwäche und die Grausamkeit seiner Feinde. Eine kurze Pause, und er keuchte einige elende Reimereien hervor, die letzten, die er auswendig gelernt hatte. Er richtete sich im Bette auf, streckte seine welken Arme in die Höhe, und wand sich in seltsamen Krümmungen hin und her: er spielte – er war auf der Bühne. Ein minutenlanges Stillschweigen, und er murmelte den Schlußreim eines Trinkliedes. Endlich hatte er die Schenke wieder erreicht: wie heiß war es in dem Zimmer. Er war krank gewesen, sehr krank, aber jetzt fühlte er sich wieder wohl und glücklich. Füllet sein Glas auf! Wer schlug es ihm vom Munde weg? Es war derselbe Feind, der ihn vorhin verfolgt hatte. Er fiel auf sein Kissen zurück und jammerte laut. Eine kurze Pause der Vergessenheit, und er wanderte durch ein ermüdendes Labyrinth niedriger, gewölbter Zimmer – so niedrig bisweilen, daß er auf allen Vieren fortkriechen mußte; es war eng und dunkel, und mit jeder Wendung des Weges stieß ihm ein neues Hindernis auf. Er sah Insekten, häßliches Gewürm, die ihn anstierten und den ganzen Raum anfüllten – fürchterlich schimmernd durch die dichte Finsternis. Wände und Decke wimmelten von Ungeziefer – das Gewölbe dehnte sich ins Ungeheure – fürchterliche Gestalten schwebten auf und nieder, und unter ihnen bekannte Gesichter, gräßlich verzerrt: sie brannten ihn mit glühenden Eisen und umschnürten seinen Kopf mit Stricken, bis das Blut heraus spritzte. Er kämpfte fürchterlich um sein Leben.
Nach einem solchen Anfalle, während dem ich ihn mit großer Mühe im Bett festhielt, sank er in eine Art von Schlummer. Vom langen Wachen und von der Anstrengung überwältigt, waren mir für einige Minuten die Augen zugefallen, als ich von einem heftigen Schlag auf meine Schulter erwachte. Er hatte sich aufgerichtet und saß im Bett. – Eine fürchterliche Veränderung war auf seinem Gesicht vorgegangen, aber das Bewußtsein war zurückgekehrt, denn er kannte mich augenscheinlich. Das Kind, das durch seine irren Reden lange Zeit eingeschüchtert gewesen, stand von seinem Bettchen auf und lief weinend zu seinem Vater. Die Mutter nahm es eilends auf den Arm, damit er ihm in der Raserei kein Leid zufüge: aber durch die Veränderung seiner Züge erschreckt, blieb sie regungslos stehen. Er krallte sich krampfhaft in meine Schulter ein und machte einen verzweifelten Versuch zu sprechen, während er sich mit der andern Hand vor die Brust schlug. Es war vergeblich. Er streckte die Hände nach den Seinigen aus und machte einen zweiten gewaltsamen Versuch. Noch ein Röcheln in der Kehle – ein Blitzen im Auge – ein kurzer unterdrückter Seufzer – und der Unglückliche sank aufs Kissen zurück. Er war – tot!«
Es würde uns das größte Vergnügen machen, Herrn Pickwicks Ansicht über die vorhergehende Erzählung mitzuteilen, und wir wären zweifelsohne in der Lage, es tun zu können, hätte nicht ein ganz unglücklicher Zufall sein Veto dareingesprochen.
Herr Pickwick hatte das Glas niedergesetzt, das er während des letzten Abschnitts der Erzählung in der Hand gehalten, und war eben im Begriffe, zu sprechen – wirklich hatte er, um uns auf Herrn Snodgraß' Gedenkbuch zu berufen, bereits den Mund geöffnet – als der Kellner eintrat und »Einige Herren« anmeldete.
Es läßt sich denken, daß Herr Pickwick gerade auf dem Punkte stand, etwelche Bemerkungen, die – wenn auch nicht die Themse – doch die Welt erleuchtet haben würden, zum Besten zu geben, als er auf diese Art unterbrochen wurde; denn er starrte dem Kellner ins Gesicht und ließ dann seine Augen die Runde in der Gesellschaft machen, als wünsche er nähere Aufklärung über die Gemeldeten.
»O!« sagte Herr Winkle aufstehend, »einige Freunde von mir – führen Sie dieselben herein. Sehr angenehme Herrschaften,« fügte Herr Winkle hinzu, nachdem sich der Kellner entfernt hatte – »Offiziere vom siebenundneunzigsten Regiment, deren Bekanntschaft ich heute morgen auf eine etwas seltsame Weise gemacht habe. Sie werden mit ihnen zufrieden sein.«
Herrn Pickwicks Gleichmut war rasch wieder hergestellt. Der Kellner kehrte zurück und führte drei Herren ins Zimmer.
»Leutnant Tappleton«, sagte Herr Winkle! »Leutnant Tappleton, Herr Pickwick – Doktor Payne, Herr Pickwick – Herr Snodgraß, den Sie bereits gesehen haben: mein Freund, Herr Tupman, Doktor Payne – Doktor Slammer, Herr Pickwick – Herr Tupman, Doktor Slam–«
Hier verstummte Herr Winkle plötzlich; denn auf dem Gesichte Herrn Tupmans und des Doktors war eine seltsame Erregung sichtbar.
»Ich habe diesen Herrn schon einmal getroffen«, sagte der Doktor mit starker Betonung.
»Wirklich?« versetzte Herr Winkle.
»Und – und, diese Person auch, wenn ich mich nicht irre«, sagte der Doktor, einen prüfenden Blick auf den grüngekleideten Fremden werfend. »Ich glaube, ich ließ an diese Person gestern abend eine dringende Einladung ergehen, die sie ablehnen zu müssen vermeinte.«
Bei diesen Worten warf der Doktor einen stolzen, verächtlichen Blick auf den Fremden und flüsterte seinem Freund Leutnant Tappleton etwas in die Ohren.
»Wie – ist es Ihr Ernst?« sagte dieser, als er das Geflüster vernommen hatte.
»Mein СКАЧАТЬ