Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt. Karl Kraus H.
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Название: Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt

Автор: Karl Kraus H.

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783843806510

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      Ich schlafe nie nachmittags. Außer, wenn ich vormittags in einem österreichischen Amt zu tun hatte.

      Gerne käme ich um die Konzession zum Handbetrieb einer Guillotine ein. Aber die Erwerbsteuer!

      Wenn ich mir die Haare schneiden lasse, so bin ich besorgt, dass der Friseur mir einen Gedanken durchschneide.

      Wenn man vom Raseur geschnitten wird, ist man immer selbst schuld. Ich zum Beispiel zucke zusammen, wenn der Raseur von Politik spricht, und die andern werden nervös, wenn er nicht von Politik spricht. In keinem Falle trifft den Raseur die Schuld, wenn man geschnitten wird.

      Das Malerische und das Musikalische sind Argumente, die mit allen Einwänden fertig werden. Und es gibt Wirkungen auf die Nerven, denen sich der oppositionellste Geist nicht entziehen kann. Wenn alle Glocken läuten, umarme ich einen Gemeinderat.

      Hysterische soll man vorsichtshalber vor einer Operation narkotisieren, die an einem andern ausgeführt wird. Und um ihnen jeden Schmerz zu ersparen, auch vor einer Operation, die an einem andern nicht ausgeführt wird.

      Narkose: Wunden ohne Schmerzen. Neurasthenie: Schmerzen ohne Wunden.

      Nichts kränkt den Pöbel mehr, als wenn man herablassend ist, ohne heraufzulassen.

      Gewiss, der Künstler ist ein anderer. Aber gerade deshalb soll er es in seinem Äußern mit den anderen halten. Er kann nur einsam bleiben, wenn er in der Menge verschwindet. Lenkt er die Betrachtung durch eine Besonderheit auf sich, so macht er sich gemein und führt die Verfolger auf seine Spur. Je mehr den Künstler alles dazu berechtigt, anders zu sein, umso notwendiger ist es, dass er sich der Gewandung des Durchschnitts als einer Mimikry bediene. Auffallendes Aussehen ist die Zielscheibe der Betrunkenheit. Diese, sonst verspottet, dünkt sich neben langhaariger Exzentrizität noch planvoll und erhaben. Über den Mann in der Narrenjacke lacht selbst der Betrunkene, über den der Pöbel lacht. Sich absichtlich verwahrlosen, um sich vom Durchschnitt abzuheben, schmutzige Wäsche als ein Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft tragen, über die Verkehrtheit der Gesellschaftsordnung eine ungekämmte Mähne schütteln – ein Vagantenideal, das längst von Herrschaften abgelegt ist und heute jedem Spießbürger erreichbar. Die wahre Bohême macht den Philistern nicht mehr das Zugeständnis, sie zu ärgern, und die wahren Zigeuner leben nach einer Uhr, die nicht einmal gestohlen sein muss. Armut ist noch immer keine Schande, aber Schmutz ist keine Ehre mehr. »Mutter Landstraße« verleugnet ihre Söhne; denn auch sie ist heute schon gepflegter.

      Die verkommenste Existenz ist die eines Menschen, der nicht die Berechtigung hat, ein Schandfleck seiner Familie und ein Auswurf der Gesellschaft zu sein.

      Familiengefühle zieht man nur bei besonderen Gelegenheiten an.

      Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben.

      Das Wort »Familienbande« hat einen Beigeschmack von Wahrheit.

      Auch ein anständiger Mensch kann, vorausgesetzt, dass es nie herauskommt, sich heutzutage einen geachteten Namen schaffen.

      Ein ganzer Kerl ist einer, der die Lumpereien nie begehen wird, die man ihm zutraut. Ein halber, dem man die Lumpereien nie zugetraut hat, die er begeht.

      Es gibt Menschen, denen es gelingt, die Vorteile der Welt mit den Benefizien des Verfolgtseins zu vereinigen.

      Wenn man nicht weiß, wovon einer lebt, so ist das noch der günstigere Fall. Auch die Volkswirtschaft soll der Fantasie etwas Spielraum lassen.

      Dieser Selbstmord war in einem Anfall von geistiger Klarheit begangen. Die Lebensfrohen überlegen sich’s manchmal; und in solch einem könnten so viele Leben gewesen sein, dass er das eine unbedenklich hingab. Selbstmord kann das Aderlassen einer Vollblutnatur bedeuten. Wer sich so ruhig den Mund von den Genüssen des Lebens abwischt, um ihn für immer zu schließen, hebt sich wohl von den Tafelgenossen ab. Überhaupt werde ich den Verdacht nicht los, dass einer schon ein Kerl sein muss, wenn ihn das heutige Leben zu Fall bringt. Was Feuer hat und einen leichten Zug, verbrennt. Nur Männer ohne Mark und Weiber mit Hirn sind der sozialen Ordnung gewachsen.

      Was für ein Freund der Geselligkeit war doch der bayrische König, der allein im Theater saß! Ich würde auch selbst spielen.

      3Übers Ohr hauen.

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