Inquietudo. Alexander Suckel
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Название: Inquietudo

Автор: Alexander Suckel

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn: 9783954629336

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СКАЧАТЬ davon versprechen. Und was den Stock betrifft, Sie haben ihn in der Straßenbahn liegengelassen, ich hätte ein Gleiches tun können und dann müssten Sie jetzt zusehen, wie Sie ohne ihn zurechtkommen. Bitte sehr, da ist er, Sie können ihn wiederhaben. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Gereizt wandte Kruse sich zum Gehen.

      Wenn Sie ein gutes Lokal suchen, ich kenne eines hier ganz in der Nähe.

      Kruse holte tief Luft.

      Nein, nein, sagen Sie nichts, unterbrach ihn der Alte, bevor er antworten konnte. Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht kränken. Selbstverständlich bleibt es Ihnen überlassen, ob Sie an guten Zigarren Geschmack finden, und selbstredend spielt es keine Rolle, wie alt Sie sind, wenn Sie sie rauchen. Entschuldigen Sie bitte vielmals. Ich habe hier übrigens noch zwei hervorragende Romeo y Julieta bei mir, ein alter Studienkollege aus Schottland hat sie mir mitgebracht. Ich habe sie heute Nachmittag eingesteckt, ohne einen Grund dafür zu haben. Mein Arzt sagt, ich in meinem Alter sollte das Rauchen endlich bleiben lassen, wenn ich noch ein paar Jahre leben wolle. Sie werden das vielleicht noch nicht so kennen, junger Mann, wie es ist, wenn aus einem halbwegs fahrtüchtigen Automobil ein alter Klapperkasten wird, den man weder in Reparatur geben noch umtauschen oder verschrotten kann. Darf ich Sie zu einer Zigarre einladen, wenn Sie die Güte haben wollen, den Wein und den Cognac zu begleichen?

      Vom Redeschwall des Alten überwältigt und des Stehens zwischen den engen Häusern mehr als überdrüssig, willigte Kruse ein, nicht ohne das Unbehagen, einem gerissenen Schnorrer auf den Leim gegangen zu sein. Er beschloss, das Ganze als ein Spiel mit offenem Ausgang, quasi eine Wette, die er mit sich selber abschloss, anzusehen. Er war sicher, der Alte hatte keine Zigarre dabei, und wenn, dann mit Sicherheit keine Romeo y Julieta.

      Sie waren bei der sechsten Flasche Wein angelangt. Der Alte legte ein Tempo im Trinken vor, das in einem merkwürdigen Missverhältnis zu seiner äußeren Erscheinung stand. Doch er schien, im Gegensatz zu Kruse, dem der junge, grüne, heftig moussierende Wein zu Kopf stieg, keineswegs betrunken. Im Gegenteil, seine Ausführungen wurden im Laufe des Abends immer klarer, oder sie erschienen nur klarer, weil Kruse zusehends den Überblick verlor.

      Wissen Sie, junger Freund, ich darf Sie doch so nennen angesichts des fortgeschrittenen Abends und des Quantums Alkohol, das wir beide inzwischen genossen haben, ich spürte schon heute Nachmittag, als ich das Haus verließ, dass dieser Abend ein besonders anregender werden würde. Dass ich ausgerechnet Sie treffen würde und Gefallen daran finde, mit Ihnen zu Abend zu essen, hätte ich nicht zu glauben gewagt.

      Was reden Sie nur für dummes Zeug, Kruse bemerkte, dass er seine Zunge kaum noch unter Kontrolle hatte, Sie kennen mich nicht, sind zufällig in die Straßenbahn eingestiegen, in der ich saß, haben mich mit Ihrem blöden Spazierstock geködert, sich ein formidables Abendessen organisiert, Kompliment. Er ärgerte sich darüber, dass er kaum noch in der Lage war, ganze Sätze zu sprechen.

      Es würde mich sehr traurig stimmen, wenn Sie so von mir denken würden, junger Freund. Glauben Sie im Ernst, ich würde nicht über genügend Barschaft verfügen, um unsere Rechnung zu begleichen. Sie sollten vorsichtiger mit Ihren Urteilen sein, und wenn Sie dieser schon so sicher sind, sollten Sie mehr Rücksicht bei Ihren Formulierungen walten lassen. Und im Übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, gestatten Sie mir diese letzte Anmerkung, dass in dieser Stadt nichts, aber auch gar nichts Zufall ist. Zufälle mag es in Ihrem Land, in Ihrer Sprache geben, dieser Begriff hat für uns keinerlei Relevanz, glauben Sie mir. Wir haben uns eine gewisse Hochachtung bewahrt vor dem, was man das Schicksal nennt. Und das ist etwas gänzlich Anderes … Auch wenn man geneigt ist, den Glauben an Gott zu verlieren, so sind wir uns doch ganz außerordentlich im Klaren darüber, dass jenseits der Mickrigkeit unserer Existenz und jenseits unserer beschränkten Erkenntnisfähigkeit es etwas gibt, dass – wie es in Ihrer Sprache heißt – die Welt im Innersten zusammenhält. Glauben Sie mir, dieses große Andere, es ist wie eine Krankheit, oder die Angst vor dieser Krankheit, die Angst vor dem Wahnsinnigwerden oder auch nur das Bewusstsein, das es wenig gibt, was zu erreichen wert, wirklich wert wäre … Das erklärt vielleicht unseren Abscheu vor jeglichem Prophetentum, jeglicher Eiferei im ideologischen Sinne wie auch unsere ausgesprochen obsessive Vorliebe für Geschichten sonderlicher Art … Sehen Sie, nur der Bankier, der dem Müllmann seinen Reichtum anvertraut, ist ein wahrer Bankier. Gemessen an dieser Einsicht …

      Verzeihen Sie bitte, unterbrach Kruse ihn, wir sollten aufhören, die große Welt heut Abend noch einrenken zu wollen. Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment. Er suchte den Weg zu einem Waschbecken, um den Kopf eine Weile unter fließendes Wasser zu halten, was ihn, so hoffte er, ein wenig ernüchtern würde.

      Sie werden noch lange brauchen, bis Sie es verstehen, junger Freund, sehr lange, vielleicht ein halbes Jahrhundert noch, rief ihm der Alte hinterher, während Kruse die Tür erreichte. Als er einigermaßen wiederhergestellt zurückkehrte, war der andere verschwunden. Es können keine drei Minuten vergangen sein, aber der Platz war leer. Er fragte einen Kellner, der bereits die übrigen Stühle zusammenstellte, nach dem Herrn von seinem Tisch. Der Kellner bedeutete ihm, dass die Rechnung beglichen sei und der Herr sich empfohlen hatte. Nein, eine Nachricht hätte er nicht hinterlassen, doch da liege eine Karte auf dem Tisch. Mit trunken-unsicherem Griff langte Kruse nach der Karte. Es stand lediglich ein Name darauf, keine Anschrift, keine Telefonnummer. Der Name lautete: Bernardo Soares.

      Die Lebensgeister kehrten erst am nächsten Nachmittag zurück. Natürlich kannte Kruse Bilder von Soares, Bilder aus den dreißiger Jahren. Das heißt, natürlich nicht Bilder von Bernardo Soares, sondern von dem anderen, seinem Erfinder. Oder war es umgekehrt, war Soares der Erfinder des anderen, wer wüsste das mit Bestimmtheit heute noch zu sagen? Ein kleiner Mann mit Trenchcoat, Hut und Mantel, gebückter Haltung und lethargischem Aussehen. Nein, ein Monokel trug er nicht, das tat heutzutage keiner mehr, aber eine Brille, ein altmodisches Horngestell, daran konnte Kruse sich erinnern. Ein Verrückter, dessen war er sich sicher, einer, der sich für die Wiedergeburt eines Pseudonyms eines Dichters hält, oder der seine eigene Existenz, sprach er nicht von Mickrigkeit?, vertauscht hatte und einer rein literarischen Fiktion endlich eine Daseinsberechtigung gab; ein Hochstapler, der verquast-mystisches Zeug redet, um sich von anderen zum Essen einladen zu lassen. Und der aus Groll, weil man ihn nicht ernst nimmt, beleidigt zahlt und geht; einer, der vielleicht Langeweile hat und anderen auflauert, nur um sie betrunken zu reden. Ein alter Mann, freilich von guten Manieren und geschliffenem Ausdruck. Zum ersten Male spürte Kruse wirkliche Traurigkeit. Marcenda. Alles was geschehen war in den letzten Tagen und Wochen, war in dieser Sekunde des heftigsten Schmerzes wieder so gegenwärtig, als wäre es gestern erst passiert. Er erinnerte sich einiger ihrer markanten Gesten, beispielsweise wenn ihr etwas missfiel. Gesten, mit denen sie die Luft zerteilte, eine Luft, die es daraufhin nicht zu wagen schien, wieder zusammenzufließen und gleichsam in diesem zerteilten Zustand verharrte. Erinnerungen an das dunkle lange Haar, das bei jeder energischen Bewegung peitschenartig durch den Raum zu fliegen schien. Kruse erinnerte sich an so vieles in diesem Moment, an vieles, was war, aber auch an das, was er sich wünschte, hätte werden sollen, und was ihm jetzt so unbarmherzige Gewissheit war, dass es nie hätte sein können. Eine tiefe Wut auf Bernardo Soares stieg in ihm auf. Eine Wut, die doch selber so ohnmächtig und von kurzer Dauer war, weil sie von ihrer Vergeblichkeit wohl wusste und einer Müdigkeit ozeanischen Ausmaßes das Feld überließ. Diese Stimmung hielt die nächsten Tage über an. Kruse verharrte stundenlang in seinem Hotelzimmer, das so klein war, dass darin nicht einmal ein Tisch oder Stuhl Platz fand. Er schob das breite Doppelbett an das Fenster, direkt vor den kleinen Balkon und ließ sich, schon ermattet nach dem ersten morgendlichen Kaffee, auf die weißen Kissen fallen. Sah hinunter auf den Platz mit dem berühmten Reiterstandbild irgendeines alten Königs. Ein Platz, auf dem Myriaden von Tauben sich versammelt hatten, die von Kindern unablässig mit Maiskörnern gefüttert wurden. Den Mais konnte man, in kleine Tüten verpackt, bei einem invaliden Händler für wenig Geld kaufen. Sah auf das Menschenmeer, das sich, wie die Gezeiten des Atlantiks bewegte, morgens gegen sieben nahezu schlagartig den Platz zu überfluten drohte, sich dann im Laufe des Vormittags mit Beginn der ansteigenden Hitze langsam beruhigte, СКАЧАТЬ