Fahlmann. Christopher Ecker
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Название: Fahlmann

Автор: Christopher Ecker

Издательство: Автор

Жанр: Современная зарубежная литература

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isbn: 9783954620906

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СКАЧАТЬ glitt sie über seine Brust, und hier, in seiner Brust, schlug sein Herz! Mit geheucheltem Interesse hörte er Bilderbeck zu, der anekdotenähnliche Begebenheiten aus dem Lindier Leben zum Besten gab. Sonnenbrände auf Glatzen, defekte Eismaschinen und bunte Abende im Bezirksamt. «Es gibt Lieder», behauptete Bilderbeck unvermittelt, «die begleiten einen, wohin man geht. Auch wenn man sie nur ein einziges Mal in seinem Leben gehört hat. Kennen Sie die Suleikalieder?» Bahlow gestand, sie nicht zu kennen. «Es gibt die Suleikalieder von Mendelssohn und die von Schubert. Die Mendelssohn-Vertonungen gefallen mir, ehrlich gesagt, besser. Darin muss der Sopran nicht so trällern.» Bilderbeck lachte laut auf. «Der Insekten frohes Völkchen! So heißt es im ersten Suleikalied! Der Insekten frohes Völkchen!» Bahlow lächelte vorsichtig. «Ah, Musik!», schwärmte Bilderbeck. «Musik! Das ist die wahre Sprache der Seele!»

      Bahlow, der nicht wusste, wie er auf diese Offenbarung reagieren sollte, nippte am Tee; eine Eidechse huschte über die Holzveranda; fast gleichzeitig flog zwischen den Palmen ein exotisch bunter Vogel auf; und wieder erklang die Schiffsglocke. Nun löste man die Leinen, nun wurde das Fallreep eingezogen, und unaufhaltsam glitt die letzte Verbindung zu einem leidlich alltäglichen Leben auf den flirrenden Wassern der Bucht von Lindi davon – glitt hinaus auf den Indischen Ozean. Wie um Bahlows wehmütigen Gedanken das Pathos zu nehmen, stieß ihm der Tee auf.

      «Möchten Sie vielleicht etwas anderes trinken?», fragte Bilderbeck, dem die unbehaglichen Schmatzer, mit denen sein Gast den gallig-sauren Geschmack in seinem Mund analysiert hatte, nicht verborgen geblieben waren. «Der arme Valdsky hat mir vor einer Weile mal eine Kiste exzellenten weißen Sherrys geschenkt.» Bilderbeck klatschte nach seinem Boy. In der Tat! Bahlow hatte selten einen so guten Sherry getrunken. Vermeintlich kennerhaft hielt er das funkelnde Glas gegen die Sonne und bemerkte großspurig: «Ich habe selten einen so guten, trockenen …» Er brach ab. Bilderbeck hörte nicht zu, sondern grinste selbstvergessen ins Leere. Dabei zupfte er in unangenehmer Weise an einem obszön großen Hautzipfel, der sich in der Mitte seiner Oberlippe befand. Fortwährend befingerte er diesen Zipfel. Er wirkte wie besessen davon, ihn langzuziehen, durchzukneten, anzunagen, und jedes Mal, wenn dies geschah, wandte ein peinlich berührter Bahlow den Blick ab. «Doktor Bilderbeck?» Besessenes Zupfen. «Doktor Bilderbeck?»

      Wie aus einem Traume erwachend: «Ja?»

      «Der Sherry ist ausgezeichnet.»

      «Trinken Sie nur! Der Bursche wusste, was gut ist. Wenn Sie noch einen wollen – bedienen Sie sich!»

      «Liebend gern!» Bereits der erste Schluck hatte den schlechten Geschmack vertrieben, soweit, so gut, aber das verzweifelte Bemühen, das Gespräch auf die Mission zu bringen, deren Durchführung Bahlow auf deutsch-ostafrikanischem Boden oblag, blieb weiterhin fruchtlos. Bilderbeck tat so, als hörte er die zunehmend ungeduldig werdenden Fragen nicht, und grinste blöde ins Leere, um aus diesen Absencen mit Vorträgen über abseitige Themen zu erwachen. So hatten sie heute schon den Halleyschen Kometen, das Erhebende der Musik und die Vorzüge einer fleischarmen Ernährung durchgenommen. Stellte Bahlow Fragen, vertröstete ihn Bilderbeck auf ein Später, das mit jedem Glas Sherry illusorischere Züge anzunehmen begann. Tapfer nahm der Entomologe einen neuen Anlauf. «In Marseille hat man mir gesagt, Sie gäben mir weitere Instruktionen. Sie haben vorhin einen Namen erwähnt. Valdsky. Ich weiß von Kuider … «

      «Nicht so laut!», zischte Bilderbeck. «Was wissen Sie von Kuider?»

      «Ist dieser Valdsky nicht der Missionar, der …»

      «Was wissen Sie von Kuider?»

      «Das, was ich Ihnen gerade zu sagen versuche. Valdsky soll …»

      «Ach, hören Sie auf mit Valdsky!» Grimmig befingerte Bilderbeck seine Oberlippe. «Sie trinken hier seinen Sherry, also machen Sie ihn nicht schlechter, als er war!»

      «Ich wollte keineswegs schlecht von …»

      Bilderbeck schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab: Ein schlankes Mädchen mit dunkelblondem Haar hatte die Veranda betreten. Katzengleich strich sie an Bahlows Korbsessel vorbei; ihr leicht süßlicher Schweißgeruch erinnerte an Vanille. Bahlow deutete eine Verbeugung an; sie schwang sich auf das Verandageländer. Der Ägyptologe nahm die Brille ab und fuhr sich mit der Hand über das ölige Gesicht. Das Mädchen gab Bahlows Verbeugung mit spöttisch aufgeworfener Oberlippe zurück. Unter ihrer weißen Bluse zeichneten sich kleine, zart entwickelte Brüste ab; leichter Flaum glänzte über den aufgesprungenen Lippen; und als sie den Arm hob, um einen Pfosten der Veranda zu umschlingen, schimmerte das Haar ihrer linken Achselhöhle durch den Stoff. Bilderbeck hatte sich seit ihrer Ankunft in brütendes Schweigen zurückgezogen.

      Hier in Deutsch-Ostafrika ist scheinbar alles möglich, dachte Bahlow, den am meisten der Umstand verwirrte, dass sie Männerhosen trug. Er leerte das Glas, schenkte wieder nach. Männerhosen! In einem verrufenen Berliner Lokal (sein Freund Nägele überredete ihn zum Besuch) hatte Bahlow zum ersten Mal in seinem Leben Frauen in Hosenröcken gesehen, und einmal, ja, das hätte er beinahe vergessen, also einmal hatte er ein Mannweib in Radlerinnenhosen auf Spiekeroog gesehen. Das Mädchen, Bahlow nahm an, dass sie höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre zählte, lehnte mit dem Rücken an einem der Stützpfosten, die Füße auf das Geländer gelegt, die Beine überkreuz, und als sie einen neugierigen Blick auf ihn richtete, verbeugte sich Bahlow ein zweites Mal. «… läuft nachts unterirdisch», hörte er den Ägyptologen schulmeistern. «Ja, die Sonne! Ja, die Sonne reist in der Nachtbarke Mesektet durch die Unterwelt.» Bahlow sah ihr in die Augen. Trotzig hielt sie dem Blick stand. Er trank einen Schluck. Lecker. Der lange Schatten der Sherryflasche verwandelte den Tisch in das Zifferblatt einer Uhr. Der ferne Bilderbeck sprach weiter, Ägypten, Ägypten, und auf einmal zog die stetig sprudelnde ägyptische Zisterne eine für Bahlow gänzlich unverständliche Parallele zu Mitternachtssonne, Nordkap, Spitzbergen, doch als er höflich nachhaken wollte, was Bilderbeck denn mit diesem groben Unfug bezwecke, stellte er fest, dass er zu betrunken war, um den Trupp davonhastender Wörter (schlüpfte da nicht «Ägypten» unter Bilderbecks Korbsessel?) in einem anständigen Satz zu versammeln. Er erhob sich, ein Glas fiel zu Boden, zersprang.

      «Wir sollten unser Gespräch auf morgen verschieben», sagte Bilderbeck schroff. Er wandte sich an seine Tochter: «Würdest du bitte so freundlich sein, Herrn Bahlow das Gästezimmer zu zeigen?»

      Das ist doch nicht nötig, nicht nötig, hoppsa, nicht so schnell, bitte! Dankbar registrierte Bahlow, dass sie im Salon und im Flur bisweilen innehielt, damit er Anschluss gewinnen konnte. Dann stieg sie vor ihm die Treppe hinauf, bedächtig, den Oberkörper leicht nach vorne geneigt. Sie streckt ihren Hintern raus, dachte Bahlow. Das kleine Luder bietet mir ihren Hintern geradezu an! Mit einer unsicheren Bewegung schob er ihr die rechte Hand zwischen die Beine und bewegte sie langsam zwischen den Schenkeln hin und her.

      Sie stieg die Treppe hinauf, ohne sich umzudrehen, atmete aber schwerer und drückte ihren Unterleib fest gegen seine sägende Hand. Als sie im ersten Stock ankamen, stieß sie mit gerötetem Gesicht hervor: «Das ist Ihr Zimmer!» Bahlow sah ihr betäubt nach. Seine Spucke schmeckte wieder säuerlich, ekelhaft, aber er hätte sie trotzdem auf den Mund geküsst, diesen kleinen Engel. «Hallo?», rief er leise. «Hallo?» Er roch an seiner Handkante. «Hallo?»

      Sie kam nicht wieder. Er irrte eine Weile im Obergeschoss umher, stieß auf eine offene Tür, erschrak, murmelte Entschuldigungen, kicherte, nein, da lag gar kein fremder Herr im Bett, da hatte bloß jemand seinen Pyjama ausgepackt und ihn mit mumiengleich über der Brust gekreuzten Armen (oh, diese albernen Scherze der Ägyptologen!) auf der Bettdecke drapiert. Bahlow übergab sich in die Nachttischschublade und legte sich ins Bett, einem unentwegt zu kentern drohenden Dampfer inmitten eines schwarzen traumlosen Ozeans. Bahlow erwachte in der schaukelnden Gewissheit, sich noch immer auf hoher See zu befinden. In der Nachbarkabine vergnügte sich der schafsgesichtige Witzbold mit einem ordinären Weibsbild, deren Kopf er stöhnend СКАЧАТЬ