Название: Fahlmann
Автор: Christopher Ecker
Издательство: Автор
Жанр: Современная зарубежная литература
isbn: 9783954620906
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«Eine Schnecke», stammelte ich, «ein Schweinsohr, ein …»
«Ja?»
«Zwei Schnecken, ein Puddingstückchen …»
Sie half mir: «Und ein Schweinsohr?»
Dankbares Nicken, schöne Brüste, die Kuchenzange griff viermal zu, das Mädchen hatte einen schlanken, sportlichen Körper, nascht bestimmt nie vom Teig, dachte ich verzaubert von der Anmut, mit der sie die Kaffeestückchen in die Papiertüte packte, höchstens achtzehn, schätzte ich, sie hatte die kräftigen, sonnengebräunten Unterarme einer Tennisspielerin. Wie zufällig berührten meine Fingerspitzen beim Zahlen ihre Handfläche, ein verwegenes Geldstück sprang auf die Glastheke, schwebte über den Kuchen, den Zöpfen und rollte davon, als ich danach griff. Verwirrt steckte ich mein ganzes Wechselgeld in eine verplombte Sammelbüchse. «Die armen Kinder», bemerkte ich. «Wenn man dieses Elend sieht», ich tippte an die Büchse, «weiß man erst, wie gut es einem selbst geht.» Die Verkäuferin sah mich befremdet an, und da ich keinen blassen Schimmer hatte, über was ich mit ihr reden sollte, verbreitete ich einige Dummheiten über das Wetter, und als meine Fähigkeiten, charmant über die Wetterlage zu dozieren, erschöpft waren, bezog ich die Kleine kurzerhand ein. «Sie freuen sich wahrscheinlich nicht annähernd so über gutes Wetter wie ich.»
Hinter ihr konnte ich in die Backstube sehen: Der Propeller eines Knetarms über der Metallwanne der Knetmaschine; Siebe und Brotschieber an der gekachelten Wand; ein weiß gekleideter Jemand, der nicht gerade aussah, als hätte er das Rad erfunden, machte die Tür von innen zu. Die Verkäuferin schluckte schwer. «Wieso kann ich mich nicht über gutes Wetter freuen?»
«Mmh», sagte ich im verzweifelten Bemühen, Zeit zu gewinnen. «Sie sind doch den ganzen Tag hier drinnen.» Damit wollte ich es bewenden lassen, aber weil sie mich immer noch verständnislos ansah, musste ich weiter ausholen. «Ich bin den ganzen Tag unterwegs. Verstehen Sie? Zwar mit dem Auto, aber man ist unterwegs. Man, das heißt in diesem Fall: ich. Ich bin also unterwegs, den», bloß nicht «lieben, langen» sagen, «ganzen Tag bin ich unterwegs. Im Freien.» Ich lachte herzlich, bis mir klar wurde, dass ich viel zu lange und viel zu laut lachte. Und worüber lachte ich überhaupt? Damit mir das ohnehin dünne rote Fädchen meiner Rede nicht endgültig zwischen den Fingern davonglitt, begann ich den nächsten Satz mit einem altklugen «Unterwegs zu sein …», doch diese drei Worte hatten es in sich: Sie mündeten geradewegs ins Leere. Unterwegs zu sein, ja was denn, was denn, hilfsbedürftig starrte ich ins Brotregal, unterwegs zu sein ist supergut? toll? fabelhaft? unterwegs auf jeden Fall? ist prima? allererste Sahne? in Biskin gebadet? glänzend? angenehm? gute Titten? unterwegs zu sein, bringt Segen? Ting!, rief die Ladenglocke, ich fuhr herum, kleiner Junge, Sommersprossen, für fünfzig Pfennig Colafläschchen. «Die hab ich früher auch gern gegessen», fand ich meine Sprache wieder, lächelte der Schönen zu, griff die Tüte, ging zur Tür, immer unterwegs, wünschte allen einen schönen Tag, Titten, blieb stehen, voll ins Maul, drehte mich um, denn das Wort «Wegschnecke» hatte sich in meinem Denken quergestellt, wieso Wegschnecke, wunderbare grüne Augen, wunderbare skeptisch dreinblickende grüne Augen, scheiße, warum bleibe ich gerade stehen, ungewöhnlich skeptisch dreinblickende grüne Augen, Wegschnecke, ich wünschte dem Jungen mit verschmitzter Stimme einen guten Appetit. Ting! Treppe runter. Autotür auf. Rein. Autotür zu. Wieso, zum Teufel, Wegschnecke?
«Mann, das hat ja ne halbe Ewigkeit gedauert!»
Ich legte die Tüte auf die Ablage vor mir und schnallte mich an.
«Sie haben ne neue Verkäuferin», sagte ich.
«Und?» Heinz scherte so abrupt aus, dass die Tüte auf den Wagenboden fiel. «Was ist mit der?»
Ich bückte mich nach den Kaffeestückchen, damit Heinz meinen Gesichtsausdruck nicht bemerkte, denn eine gewaltige Detonation hatte soeben mein Hirn in einen Bombentrichter enormen Umfangs verwandelt, aus dessen qualmendem Krater die Erkenntnis kletterte (wir müssen sie uns als abgerissene, ein weißes Fähnchen schwenkende Gestalt vorstellen), dass ich mich nicht gerade wie Don Juan benommen hatte. Wegschnecke, dachte ich. Schnecken aus der Bäckerei, dachte ich. Schnecken unterwegs, dachte ich. Wenn es darauf ankam, konnte auch ich witzig und charmant sein, aber nicht heute, nicht heute Morgen. Nur gut, dass ich in der schwarzen Jeans und dem Rollkragenpullover nicht wie der typische Angestellte eines Beerdigungsinstituts aussah.
«Würdst sie wohl gern mal flachlegen», sagte Heinz.
Ich reichte ihm kommentarlos das Puddingstückchen. Obwohl er nie etwas mitgebracht haben wollte, kaufte ich ihm immer ein Puddingstückchen, und er freute sich jedes Mal drüber wie ein Schneekönig. «Blinker setzen, du Arschloch!» Heinz überholte rechts, die Ampel sprang auf rot, «War orange!», Gas, Hupe, «Mösenalarm!» Er wich der strampelnden Radfahrerin aus und jagte Rivers of Babylon summend den Transit hoch in den vierten Gang, ohne dass das Getriebe ein einziges Mal mit den Zähnen knirschte. Dass Heinz so souverän Auto fuhr, lag eindeutig an seinem engen Verhältnis zu dem Wagen. Dieser Satz gefällt mir nicht. Klingt irgendwie bemüht. Stimmt. Ich bemühe mich. Das darf man ruhig merken. Ich habe keine Geheimnisse mehr. Wer Geheimnisse hat, muss auf seinen Stil achten. Doch mir geht es um mehr. Sprang der Transit nicht an (was im Winter häufig vorkam), redete Heinz ihm gut zu, und jeden Abend, nachdem er ihn in oder vor der Garage geparkt hatte, tätschelte er ihm zum Abschied die schwarz lackierte Flanke, um kurz darauf die Vespa mit einem Klaps auf den Hintern zu begrüßen. «Die fahrn heute wie die allerletzten Schweine!» Heinz leckte ein Puddingklümpchen vom Handrücken und steckte sich eine Zigarette an. Mittlerweile hatten wir die Vorstadt verlassen. Die Gebäude wurden ansehnlicher, Busse und Taxis tauchten auf, die riesigen Schilder von Einkaufsmärkten, Jugendliche mit verkehrtherum aufgesetzten Baseballkappen, Skateboards, Walkmans, Zeugen Jehovas, gut gekleidete Frauen, ich schmunzelte.
«Was gibts denn da so blöd zu grinsen?»
«Mir ist vorhin was Ulkiges passiert!» Ich berichtete vom nackten Onkel Jörg, woraufhin Heinz einen Witz über einen blutigen Tampon erzählte. Ich verzehrte derweil die zweite Schnecke; das Schweinsohr würde ich mir für später aufheben. Heinz trug Kniestrümpfe mit einem unerhörten Muster: Grüne Rauten erschreckten orangefarbene Rauten. Ihm war es egal, wie er rumlief, solange man keine dummen Witze darüber machte. Mein Freund Achim hatte einmal einen Scherz über Heinz’ «modische Kleidung» gerissen, und Heinz langte über den Tisch, packte Achim am Kragen und schüttelte ihn durch, bis ihm (Hörensagen) das Bier hochkam.
«Hast du noch was in deiner Tüte?»
«Ein Schweinsohr.»
Heinz dachte nach. «Halbes Schweinsohr?»
Ich brach das Kaffeestückchen in der Mitte durch.
«Bistn netter Kerl!» Drei heißhungrige Bisse und er wischte die Krümel vom Anzug, den Onkel Jörg, wenn Heinz es nicht hörte, den «Kommunionsanzug» nannte. Der Stoff spannte über der Brust und an den Oberarmen, ein Lederflicken schützte den rechten Ellenbogen, die Taschen waren ausgebeult. Normalerweise ragten überdimensionale, spitze Kragenzipfel über das Revers, aber heute trug Heinz ein Hemd mit diskretem Kragen, wahrscheinlich sogar das Hemd, das ihm Onkel Jörg zu Weihnachten geschenkt hatte. Mich rührte die Art, wie Heinz sich kleidete. So liefen Junggesellen rum, die sich morgens das Erstbeste aus dem Schrank nehmen, was ihnen in die Finger kommt. Die Sache hatte nur einen Haken: Heinz war kein Junggeselle. Als Kind entnahm ich einer Äußerung meiner Mutter, dass er verheiratet sei, ein Umstand, der mich in Erstaunen versetzte. Mir kam es merkwürdig vor, dass der Heinz, der СКАЧАТЬ