Название: Einer der auszog, um reich zu werden
Автор: Kanghan YUAN
Издательство: Автор
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783939366041
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Das freut mich natürlich sehr, hoffentlich wird es wahr.
Nun deutet sie auf einen kleinen Kuchen aus Reis.
»Das ist Nian Gao. ›Nian‹ bedeutet ›Jahr‹ und ›gao‹ bedeutet ›Kuchen‹, aber auch ›hoch‹, was man auf das Gehalt beziehen kann. Du wirst also noch reicher.«
Ich liebe chinesisches Essen zu CNY.
Hong fährt fort: »Auch die mit Hackfleisch gefüllten Eier, die wir Dan Jiao nennen, tragen zur Vermehrung deines Reichtums bei, wenn du viele davon isst. Man sagt, man bekommt dann viele ›Jin Yuan Bao‹, das war unsere Währung während der Jin-Dynastie.«
Jetzt wird es mir langsam unheimlich, wohin mit dem vielen Geld?
Hong deutet auf eine mit gelben Bohnensprossen gefüllte Schüssel, deren Form an »Ru Yi« erinnere, einen Glücksbringer für Gesundheit. Na den werde ich nach dem üppigen Mahl sicher brauchen.
»Die kennst du aber doch, oder?«, stellt mich meine Frau mich auf die Probe. Ich folge ihrem Finger und erkenne »Rou Yuan«. Diese Fleischbällchen sind ein Zeichen für die Zusammenkunft der Familie am Frühlingsfest, ein weiterer Name für das chinesische Neujahr.
Ich bediene mich großzügig, doch Wu Meilan ermuntert mich, noch mehr zu essen, und befördert ungeniert immer mehr der Reichtum bringenden Speisen in meine Reisschüssel. Es gibt zwar unzählige Sorten Reis, doch in China wird immer der Klebereis verwendet, der mit Wasser in Reiskochern zubereitet wird.
Während des Abendessens dreht sich das Gespräch um die alljährlichen Familienfeierlichkeiten und um die Massenwanderung der Chinesen, die zu diesem Zeitpunkt einsetzt. Es gibt sogar eine eigene Bezeichnung hierfür: »Chun Yun«. »Chun« bedeutet Frühling, »Yun« steht für Transport, nicht sehr poetisch, aber es drückt genau das aus, was es ist. Während der Tage vor und nach dem chinesischen Neujahrstag drängeln sich um die achthundert Millionen Menschen in Chinas Züge, um in ihre meist weit entfernten Heimatstädte und Dörfer zurückzukehren. Für die Koordination und die Logistik ist das eine wahre Herausforderung.
Fahrkarten für diese Zeiten sind online schon innerhalb weniger Sekunden nach Erscheinen ausverkauft, so dass Wanderarbeiter ohne Internetzugang meist schlechte Chancen auf ein Ticket haben. Manche ergattern noch offizielle Fahrkarten ohne Sitzplatz, aber man sollte die Entfernungen hier nicht unterschätzen, die um ein Vielfaches größer als in Deutschland sind. Da kann eine Zugfahrt auch mal vierzig Stunden dauern, was ohne Sitzplatz nicht besonders bequem sein dürfte. Aber zum Glück blüht auch hier der Schwarzmarkt und die sogenannte »Gelbe-Ochsen-Gruppe« bietet Restfahrkarten an, allerdings zu überteuerten Preisen, aber was tut man nicht alles für die Familie.
Nach dem Frühlingsfest entspannt sich die Preispolitik um die Fahrkarten wieder, trotzdem bleibt die Lage während der Stoßzeiten vor allem für die vielen Leute mit wenig Geld dramatisch. Sie kommen meist nicht rechtzeitig heim, um mit der Familie zu Abend zu essen, und schaffen es auch nicht, wieder rechtzeitig zurück in die Stadt, in der sie arbeiten.
Nach dem Festessen bekommen Hong und ich von ihren Eltern ein kleines Goldstück mit einem Pferdekopf geschenkt, mit dem Hinweis, auch Hongs Kinder würden einmal so ein Goldstück erhalten. Es scheint ein Lockmittel zu sein, damit wir doch endlich Nachwuchs zeugen mögen und Hongs Eltern Enkelkinder großziehen können. Hong hat ihren Eltern vor einiger Zeit erzählt, dass Kinder bei dieser Luftverschmutzung nicht gesund aufwachsen könnten und sie lieber im Ausland Kinder haben möchte. War das der Grund für die neue Lockmittelstrategie ihrer Eltern?
Am ersten Neujahrstag bleiben die Chinesen meist zuhause, denn der Aberglaube behauptet, wer andere Familien besucht, dem fließt das Geld ab und geht zu diesen über. Und wer gibt schon gern Geld an andere ab? Bleibt man dagegen zuhause, wird das »Shou Cai« genannt, das Vermögen schützen und halten.
Trotzdem fahren Hong und ich mit der neuen Metrolinie, die zur Wertsteigerung des elterlichen Hauses beigetragen hat, in die Stadt, um dort im herrlichen Sonnenschein am Fluss spazieren zu gehen. Der Weg am Fluss ist eine Fußgängerzone, nur Einheimische fahren dort mit dem Elektro-Moped oder dem Auto in den engen Gassen. Die Bauern verkaufen ihre Waren hauptsächlich an Touristen, aber bei den kleinen Straßenständen können Hong und ich nicht widerstehen und gönnen uns Tofu-Suppe, gegrilltes Lammfleisch am Spies und Fladenbrot. Auf dem Rückweg fahren wir mit dem Boot durch den Kanal, nehmen die Metro und kommen so rechtzeitig wieder heim, wo wir von Hongs Eltern schon zum Abendessen erwarten werden.
Nach einer weiteren Übernachtung bei den Schwiegereltern besuchen Hong und ich ihre sehr alten Großeltern und die Kinder der Cousinen und Cousins und übereichen jedem einen Hongbao, denn es ist Tradition, dass Paare den Verwandten mit Kindern Geld schenken. Zum Glück wohnen alle in der Nähe und es sind nicht viele Besuche, denn die Wohnungen sind ungemütlich kalt.
Hongs Eltern haben bereits die Verwandten väterlicherseits, die bei unserer großen Hochzeitsfeier in China natürlich auch dabei gewesen waren, mit Hongbaos beschenkt, so können wir uns entspannt zurücklehnen. Hong knüpft an den Wink ihrer Eltern an und meint in ihrer überaus hervorstechenden Logik, solange wir keine Kinder hätten, gäben wir nur Geld aus, wenn wir aber welche hätten, bekämen wir auch wieder welches zurück.
Der zweite Neujahrstag hat noch eine weitere Bedeutung: Schwiegersohn-Tag. An diesem Tag sollte ich die Familie meiner Frau besuchen. Glücklicherweise bin ich ja bereits da, so dass dieser Punkt ohne größeren Aufwand schon abgehakt ist.
Am dritten Neujahrstag fährt Hong morgens mit mir und ihren Eltern zum Wetland Park am Taihu Lake. Wir gehen dort wandern und machen eine Bootsfahrt. Es regnet nicht, aber es hängt schwerer, kalter Nebel in der Luft. Nichtsdestotrotz wollen wir unseren Ausflug genießen und fahren weiter zu den heißen Quellen. Dort sind verschiedene Quellen unter einer riesigen beheizten Kuppel untergebracht und man kann in ihnen baden. Wir begeben uns zum Empfang, doch unsere Pechsträhne will nicht abreißen, denn wir erfahren, dass wir ohne Reservierung keine heißen Quellen zu sehen bekommen. Ich schaue meine Begleiter an … wer hatte diese nutzlose Idee?
Uns bleibt nichts anders übrig, als nach Hause zu fahren, ohne das warme Wasser genießen zu können. Aber mir ist das ganz recht, schließlich ist es sehr voll hier und Hong ist auch noch erkältet.
Auf der Rückfahrt am Nachmittag läuft plötzlich ein Hund auf die Straße vor unser Auto. Hong kann diesem Vierbeiner trotz roter Unterwäsche nicht mehr ausweichen und überfährt ihn. Das sei schon der zweite Hund in ihrem Leben, den sie auf dem Gewissen habe, jammert sie. Ihren eigenen Hund hatte sie damals nicht angeleint, deshalb war er weggelaufen und überfahren worden.
»Das kann kein gutes Jahr werden, wenn uns schon kurz nach CNY solch ein Unglück passiert! Wir sollten in diesem Jahr lieber keine Kinder bekommen!«, bemerkt sie mit einem Stirnrunzeln.
Ich muss ein Schmunzeln unterdrücken und werfe einen Seitenblick auf Hongs Mutter, die neben mir auf der Rückbank sitzt. Sie ist sichtlich nicht begeistert.
Wir stellen fest, dass die Plastikteile und Lampen an der Frontseite des Autos stark beschädigt wurden. Hoffentlich übernimmt die Versicherung den Schaden.
Normalerweise stehen in China wie auch auf der ganzen Welt die Frauen in der Küche. In Hongs Elternhaus sind die Rollen seit Jahrzehnten umgekehrt verteilt: Wie immer kocht Li Gengnan ein leckeres chinesisches Abendessen. Nach der Tradition dürfen dabei die kleinen runden Reiskuchen – der aufmerksame Leser kennt sie als Nian Gao – nicht fehlen.
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