Название: Der Hammermord am Hansering
Автор: Bernd Kaufholz
Издательство: Автор
Жанр: Юриспруденция, право
isbn: 9783963115196
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Gut eine Woche nach dem Verschwinden des Kindes geht es also um einen Sexualmord. Doch wer dafür verantwortlich ist, bei dieser entscheidenden Frage sind die Kriminalisten trotz aller Bemühungen noch keinen Schritt weiter.
Am 16. Oktober taucht in der Aussage einer 58-Jährigen erneut der Name des Mannes auf, der die Ermittler bereits beschäftigt hat – Friedrich Kramer. Pauline Hosang* hatte am 24. September von ihrer Tochter erfahren, dass Kramer auf dem Friedhof von einigen Kindern gesehen wurde, unter ihnen auch ihre Enkeltochter. Kramer habe in Kleinkühnau vor dem Grab seiner Frau gekniet und dabei den Hosenstall geöffnet. Der Rentner soll dann zu den Kindern gesagt haben: „Legt euch da mal drauf.“ Einige Tage später sei Kramer bei ihr aufgetaucht und habe sich beschwert, dass sie Gerüchte verbreite. „Wörtlich hat er gesagt: ‚Wenn das die Polizei erfährt, bin ich dran.‘“ Anschließend habe sie sich mit Kramer über das Verschwinden des Mädchens unterhalten, berichtet Hosang. „Mein Bekannter sagte mir, dass es komisch ist, wenn jemand Eicheln sammelt und dann noch zur Elbe geht. Vor allem, weil dort ein großer Laubwald ist und es für ein Kind nicht einfach sei, da durchzukommen. Und weil es ja schon einen Tag 21zuvor dagewesen ist. Ich wurde stutzig und fragte, ob er das Kind an diesem Tage gesehen hat.“ Kramer sei verlegen geworden, habe überlegt und gestottert: „Das hat mir jemand erzählt.“
„Er hat mir dann noch berichtet, dass er bei der Polizei war und die Kriminalisten mit der Stoppuhr die Zeiten überprüft haben, wo er sich wann aufgehalten hat. Zum Glück habe er am 23. September noch einen Bekannten getroffen, einen ehemaligen Angelfreund, der alles bestätigen konnte. Herr Kramer hat gesagt: ‚Wenn der nicht gewesen wäre, hätten sie mich geschnappt.‘ Bei der Vernehmung habe er sich jedes Wort, was er gesagt habe, ganz genau überlegt“, gibt Hosang Kramers Worte wieder.
Das Verhalten des Mannes sei sehr eigenartig gewesen. „Er war ein regelrechtes Nervenbündel. Ich bekam richtig Angst vor ihm. Mir kam es so vor, als habe er ein schlechtes Gewissen.“
Die Kripo stellt sogenannte Leumundsermittlungen zur Person Kramers an. Dabei werden Personen aus dem Umfeld des Rentners befragt. Eine Frau aus Kleinkühnau berichtet, dass Kramer bekannt dafür ist, dass er „viel klaut, besonders Futter vom Feld“. Die 60-Jährige klärt auch auf, warum er nicht mehr im Anglerverein ist: „Während einer Sitzung des Vereins im Café Föse vermisste jemand sein Portemonnaie. Alle wurden aufgefordert, den Gastraum nicht zu verlassen. Kramer wollte nur schnell aufs Klo. Bei der Durchsuchung wurde die Geldbörse in seiner Unterhose entdeckt.“
Ein weitläufiger Verwandter glaubt den Grund dafür zu kennen, warum der Rentner so menschenscheu ist: „Er hat im Krieg bei der Reichsbahn gearbeitet. Als das Bahngelände bombardiert wurde, wurde ein Eisenbahner getötet. Kramer stand in unmittelbarer Nähe und wurde danach in die Heilanstalt Bernburg zur Beobachtung eingeliefert.“ Kramer selbst sagt später dazu, dass er 1941 einen Bombensplitter in den Rücken bekommen habe.
Die Ermittler wollen auch wissen, ob Kramer einen Hang zu kleinen Mädchen hat. Doch über solche Neigungen weiß niemand Bescheid.
22Jedoch scheint allgemein bekannt zu sein, dass der Invalidenrentner ein „Spanner“ ist. Schon seit Jahren habe er Liebespärchen an den Elbwiesen verfolgt und sie aus der Deckung heraus beim Geschlechtsverkehr beobachtet, sagen gleich mehrere der Befragten aus. Als Kramer mit diesen Aussagen konfrontiert wird, sagt er, dass er „in erster Linie zum Futtersuchen“ fährt. „Nur gelegentlich“, wenn er „unmittelbar auf ein Pärchen stoße“, sehe er ihm „gern beim Verkehr zu“. Als seine Frau noch gelebt habe, sei er danach immer schnell nach Hause gefahren, um mit ihr ins Bett zu gehen. Seit ihrem Tode im Februar 1959 habe er sich nach solchen Beobachtungen selbstbefriedigt. Später räumt er ein, seit „20, 25 Jahren zu spannen“. Begonnen habe diese Obsession, als er noch bei der Bahn gearbeitet habe.
Josef Woitech* aus Kleinkühnau schildert in drastischen Worten die sexuelle Vorliebe Kramers. „Er war besonders in diesem Jahr sehr aktiv dabei, Liebespaaren hinterherzufahren. Wenn er solch ein Pärchen sah, war er wie ein Irrer. Von einer Frau aus Kühnau habe ich gehört, dass er früher sogar unter die Bänke gekrochen ist, auf denen sich Liebespaare vergnügten.“ Kramer verbinde die Suche nach Viehfutter immer mit seiner Jagd nach Paaren, die es miteinander treiben, so der 35-Jährige.
Dass Kramer einmal pro Woche eine 61 Jahre alte Bekannte besucht, erfahren die Ermittler bei der Befragung von Personen, die den Rentner näher kennen. Anuschka Koczinsky* räumt dann auch ein, dass Kramer, den sie seit 1946 kenne, mit ihr „einmal die Woche geschlechtlich verkehrt“. Sie bekomme jedes Mal fünf Mark dafür. Auch am 23. September habe Kramer gegen 7.30 Uhr vor ihrer Tür gestanden und sein „Nümmerchen“ eingefordert. „Er hat mich nach dem Tod seiner Frau gefragt, ob wir heiraten wollen, aber das habe ich abgelehnt.“
Leutnant Köhler wird bei seiner Befragung deutlich: „Sie kennen ja seinen Geschlechtstrieb. Meinen Sie, dass Herr Kramer am Nachmittag erneut sexuelles Verlangen gehabt hat, nachdem sie morgens zusammen gewesen sind?“
Koczinsky winkt ab: „Der ist zwar ein alter Bock, aber der brauchte immer ein paar Tage zum Ausruhen, bis er wieder zu 23mir kam. Wenn er einen starken Geschlechtstrieb hätte, hätte er mich öfter in der Woche besucht.“
Als wichtiger Zeuge hat sich innerhalb des Befragungsmarathons der 66 Jahre alte Otto Lutz herauskristallisiert. „Was der Mann erzählt hat, passt genau zu den Beobachtungen anderer Zeugen am Nachmittag des 23. September“, stellt der Chef der Morduntersuchungskommission bei einer Lagebesprechung fest. „Nur die Darstellungen unseres speziellen Freundes Kramer stimmen damit hinten und vorne nicht überein. Einer der beiden sagt nicht die Wahrheit. Ich glaube, dass Kramer derjenige ist. Wir holen Lutz noch mal ins VPKA zur Nachvernehmung – speziell zur Person Kramers.“
Am 30. Oktober steht Lutz eine Stunde lang Rede und Antwort. Und das Protokoll vermerkt, dass er den Tag, an dem Christel verschwand, genauso schilderte wie zuvor. Es seien keine Widersprüche festzustellen. Der Befragte habe „weder einen unsicheren noch betont sicheren Eindruck gemacht“.
Besonders wichtig ist, dass Lutz es für ausgeschlossen hält, dass Kramer, den er unterwegs getroffen hatte, den Weg genommen hat, den dieser der Kripo geschildert hatte. „Er kann nicht den schmalen Pfad entlanggekommen sein, der von der Schleusenbrücke schräg über die Wiesen in Richtung Pappelallee zum Hauptweg führt. Als ich ihn hinter mir fahren sah, war er an einer Stelle, die auf den nach Kühnau führenden Hauptweg führt, fast rechtwinklig zur Schleusenbrücke.“
Lutz wird mit einem Funkstreifenwagen an den bezeichneten Ort gebracht. Der Zeuge ist sich völlig sicher: „Hier war das. Irrtum ausgeschlossen!“
Um ganz sicherzugehen, fahren einige Kriminalisten mit Lutz drei Tage später erneut die Strecke ab, die der Rentner am 23. September gefahren war. Er weicht keinen Zentimeter von seinen Aussagen zuvor ab.
Am 2. November wird aufgrund der Widersprüche, die sich aus den Schilderungen seines Weges ergeben, ein Ermittlungsverfahren gegen den 63-Jährigen eröffnet: „Kramer wird beschuldigt, 24am 23. September 1959 in dem Naturschutzgebiet bei Großkühnau die Schülerin Christel Kohnert getötet zu haben.“ Der Chef des Polizeikreisamts Dessau, Major Steinke, fügt hinzu: „Kramer befand sich zur fraglichen Zeit in dem Naturschutzgebiet in der Nähe des Tatorts. Seine Angaben über seinen Aufenthalt sind widersprüchlich und decken sich nicht mit den Aussagen von Zeugen. Da der Zeuge Lutz den Kramer aus Richtung Elbe kommen sah, obwohl Kramer behauptet, an der Schleuse gewesen zu sein, besteht der dringende Verdacht, dass Kramer mit der Tat in Zusammenhang steht.“
Bei der ersten Vernehmung Kramers als Tatverdächtiger thematisiert Oberleutnant Wolter auch die Sache mit den beiden Sowjetsoldaten, die angeblich eine Uhr verkaufen wollten. „Bei Ihrer Vernehmung am 24. September haben Sie СКАЧАТЬ