Übergewicht und Krebs. Prof. Dr. Hermann Delbrück
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СКАЧАТЬ und ein Typ-2-Diabetes (in der Altersgruppe < 50 Jahren) haben einen wesentlich größeren Einfluss zu haben als bislang angenommen (Khan et al 2020). Der Darmkrebs hat in dieser Altersgruppe in den vergangenen Jahren um beinahe ein Drittel zugenommen. Hierfür wird das veränderte Lifestyleverhalten – und hier besonders der Anstieg des Übergewichts und geringere Bewegungsaktivität – verantwortlich gemacht (Zheng, R et al 2018, Marshall et al 2019, Koroukian et al 2019). Je länger man übergewichtig sind, desto größer ist die Gefahr (Schlesinger, S et al 2017). Ein BMI von 24 bis 29 ist bei über 65jährigen Menschen noch akzeptabel, bei Jüngeren hingegen schon ein Risikofaktor (Siegel et al 2010, Yanlei Ma et al 2013).

      Während der Zusammenhang zwischen starkem Übergewicht (BMI > 30) mit Dickdarmkrebs eindeutig ist, lässt sich ein solcher beim Enddarmkrebs (Rektumkarzinom) „nur“ tendenziell feststellen (Laake et al 2010, Zhang et al 2019). Warum das so ist, bleibt unklar. Überhaupt ist der durch Übergewicht zu Krebs führende Wirkmechanismus Gegenstand unterschiedlicher Hypothesen. Als allgemein gesichert gilt jedoch, dass Übergewicht nicht zu Genmutationen führt, sondern - ähnlich wie körperliche Inaktivität und Diabetes - ein Tumorpromotor ist.

      Hypothesen zum Wirkmechanismus von Übergewicht auf die Darmkrebsentwicklung

      • Übergewicht ist ein Tumorpromotor, der nicht etwa strukturelle Erbgutveränderungen (Genmutationen) verursacht, sondern sich „lediglich“ funktionell auswirkt, d. h. die Aktivität und die Aggressivität von Krebszellen und -genen erhöht. Negative Einflüsse auf DNA-Reparaturmechanismen werden diskutiert.

      • Je mehr rotes Fleisch (Rind-, Lamm-, Schweine- oder verarbeitetes Fleisch) konsumiert wird, desto höher ist das Risiko – sowohl für Übergewicht als auch Darmkrebs. Einige Virusforscher – so der Nobelpreisträger Harald zur Hausen – vermuten als Ursache, dass sich im roten Fleisch – speziell im Rindfleisch – virusähnliche Erreger (BMMF) befinden, die das Krebswachstum fördern.

      • Konsumiert man viel Fleisch und zuckerhaltige Produkte, so kommt es zu einer Störung der Darmflora (Dysbiose), die die Entstehung sowohl von Übergewicht als auch Darmkrebs fördern soll (Stallmach et al 2017). Im Mausmodell soll ein Missverhältnis von Bacteroides mit anderen Darmbakterien zu Tumoren im Dickdarm führen (Thomas et al 2019). Für den Zusammenhang mit einer gestörten Darmflora spricht die Beobachtung, dass das Erkrankungsrisiko, nach längerer Einnahme von anaerob wirkenden Antibiotika, im oberen Dickdarmabschnitt, nicht aber im Enddarmbereich, erhöht ist.

      • Man geht davon aus, dass bei Übergewicht – speziell bei ausgeprägtem Bauchfett – Hormone und Entzündungsfaktoren produziert werden, die die Zellbildung im Darm anregen (Siegel et al 2010, Kim et al 2009, Halle und Schoenberg 2009).

      • Es ist bekannt, dass Darmpolypen bei ausgeprägtem Bauchfett häufiger entstehen. Schuld daran sollen im Bauchfett gebildete Entzündungsfaktoren sein. Dies könnte der Grund sein, weswegen Entzündungshemmer, wie Aspirin, das Wachstum von Cox-2-positiven Tumoren hemmen (Schlesinger al 2017). Dass übergewichtige Männer häufiger als Frauen an Darmkrebs erkranken, könnte im Zusammenhang mit dem beim männlichen Geschlecht häufiger ausgeprägten Bauchfett stehen.

      • Insulin und Insulin-ähnliche Wachstumsfaktoren fördern das Zellwachstum. Ein hoher Glykämischer Index – also eine zur Hyperinsulinämie führende Ernährung – gilt als Risikofaktor für eine Wiedererkrankung (Morales-Oyarvide et al 2019).

      • Bestimmte molekulare Subtypen von Darmkrebs (CTNNB1-negative Tumore, KRAS- oder BRAF-Wildtypen) sind bei Übergewicht besonders häufig (Morikawa et al 2013).

      • Glukose-Fruktose-Mischungen verstärken im Mausversuch das Tumorwachstum im Dickdarm, nicht aber im Enddarm (Goncalves et al 2019, Aleksandrova et al 2017, Johnson et al 2019).

      • Eine fettreiche Ernährung hemmt die körpereigene Krebsabwehr. Es kommt zu einer veränderten Aktivität natürlicher Killerzellen.

      • Einige Forscher vermuten, dass Übergewicht und körperliche Inaktivität unabhängige Risikofaktoren sind. Zum Beweis führen sie die Sumo-Ringer an, die trotz erheblichem Übergewicht angeblich nicht stärker krebsgefährdet sind, weil sie körperlich aktiv bleiben. Überhaupt besteht der Eindruck, dass Übergewichtige, die regelmäßig körperlich aktiv sind, kein erhöhtes Darmkrebsrisiko haben (Lee et al. 1992). Bekannt ist auch, dass adipöse Frauen nur dann ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben, wenn sie körperlich inaktiv sind.

      • Die meisten Lebensmittel, die zu einer Gewichtszunahme führen, wirken sich im Darm entzündungsfördernd (proinflammatorisch) aus und bewirken einen chronischen Reiz auf die Darmschleimhaut. Sie sollen das Krebsrisiko bei Männern um 44 % und bei Frauen um bis zu 22 % (relativ) erhöhen (Tabung et al 2018).

      • Beobachtungsstudien zeigen einen gewissen präventiven, jedoch statistisch nicht signifikanten, Effekt des Grüntee-Inhaltsstoffes EGCD hinsichtlich der Adenom-Bildung.

      Kommentar und Empfehlungen: Bekannt sind mehrere krebsfördernde Gensyndrome. Zusätzlich zu dem sehr häufigen Lynch-Syndrom (HNPCC =1/279) und der familiären Adeno Polyposis (FAP) kann man bei vielen Menschen hunderte winzige Genvariationen feststellen (SNPs). Ob sie in direktem oder indirektem Zusammenhang mit einem Krebsrisiko stehen, ist umstritten (Weigl et al 2019). Sicherlich bedarf es zusätzlicher Promotoren, damit sie aktiv werden. Zu ihnen gehören Lifestylefaktoren wie Übergewicht. Unterstützt wird die Hypothese von der Bedeutung der Lifestylefaktoren durch die Beobachtung, dass bei Halbgeschwistern von Darmkrebspatienten das Risiko, selbst zu erkranken, ebenso erhöht ist, wie bei „echten“ Geschwistern.

       Versicherte zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr haben Anspruch auf einen einmaligen Gesundheitstest (Check Up 35). Dieser schließt auch eine Beratung mit ein. Jugendliche Übergewichtige sollten bei dieser Präventionsberatung auf ihre höhere Krebsgefährdung und die Relevanz von Krebsvorsorge-Untersuchungen hingewiesen werden. Schließlich sind sie weit häufiger als allgemein angenommen von Darmpolypen betroffen (Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Sie zählen zu den Risikopersonen – ebenso wie Menschen mit Lynch-Syndrom oder familiärer Adenopolyposis, –, die eine Vorsorge-Darmspiegelung vorzeitig durchführen lassen müssen.

       Interessant und schwer erklärbar ist der krebsschützende Effekt einer Hormonersatztherapie bei Frauen nach den Wechseljahren. Bei anderen Organen erhöht eine Hormonersatztherapie nämlich umgekehrt eher das Erkrankungsrisiko.

       Laien zählen häufig auch den Afterkrebs (Analkarzinom) zu den Darmkrebserkrankungen, obwohl sich Gewebeaufbau, Ursachen, Verlauf und Therapie deutlich unterscheiden. Die letzten Jahre haben weltweit eine dramatische Zunahme von Afterkrebs mit sich gebracht. Hauptursache sind Infektionen mit dem HP-Virus beim Analverkehr. Impfungen gegen HPV-Übertragungen beugen den Infektionen vor.

      Schutzmaßnahmen zur Reduzierung des Darmkrebsrisikos

      • Gewichtabnahme bei Übergewicht. Bariatrische Operationen führen zu einer signifikanten Gewichtsabnahme und einer Reduzierung des Darmkrebsrisikos (Bailly et al 2020) (wahrscheinlich)

      • Dickdarmentfernung bei erblich bedingtem Darmkrebsrisiko (z. B. bei FAP)(gesichert)

      • Verminderung des Anteils tierischer Fette in der täglichen Ernährung (sehr wahrscheinlich)

      • Nur mäßiger Verzehr von rotem Fleisch (vermutet)

      • Stärkung der unspezifischen Immunabwehr (nicht gesichert)

      • Chemoprophylaxe (z. B. mit AspirinR) (gesichert)

      • Chirurgische und/oder endoskopische Polypenentfernung (gesichert)

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