Die Wiege des Windes. Ulrich Hefner
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Название: Die Wiege des Windes

Автор: Ulrich Hefner

Издательство: Автор

Жанр: Триллеры

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isbn: 9783839264225

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СКАЧАТЬ Spalt des Kuverts rieselten noch immer kleine Kristalle.

      Der Postbote fuhr vorsichtig mit dem Finger über die Tischplatte. Dann hob er ihn unter die Nase. »Das riecht irgendwie … chemisch.« Er schaute auf das Kuvert. Neben einem maschinengeschriebenen Adressatenaufkleber prangten drei Briefmarken. Ein Absenderfeld fehlte. Vorsichtig schob er den grauen Briefumschlag zu sich heran. Drei kleine blaue Delfine waren links oben neben der Falz zu erkennen. »Woher stammt das?«

      Die Dunkelhaarige schaute ihn entgeistert an. »Ich habe das Kuvert heute Morgen aus unserem Hausbriefkasten geholt.«

      »Das ist komisch«, sagte der Mann nachdenklich. »Es sind Briefmarken drauf, aber kein Poststempel. Also, von uns ist es nicht.« Der Brief war an den stellvertretenden Direktor der Bezirksregierung Doktor Thomas Esser gerichtet. Persönlich war unter dem Namen zu lesen.

      »Sollen wir Esser anrufen?«, fragte die Blonde.

      »Ich denke, ihr solltet besser die Polizei anrufen«, entgegnete der Postbote.

      Betroffen schaute die dunkelhaarige Frau auf. »Du meinst, das könnte eine Bombe sein?«

      Der Postbote zuckte mit den Schultern.

      *

      Rike hielt sich mit aller Kraft an den Seilen fest, während ihr Schlauchboot in halsbrecherischer Fahrt über die Wellen schoss. Der große Walfänger blieb unbeeindruckt von der rauen See. Bald würden die grauschwarzen Körper wieder durch den tiefblauen Vorhang aus Wasser an die Oberfläche stoßen. Der Walfänger befand sich in Schussweite. Das zweite Schlauchboot hatte Position vor seinem Bug bezogen und versuchte den Steuermann zu ständigen Kursänderungen zu nötigen, damit der Kanonier an der Bugharpune keinen gezielten Schuss anbringen konnte.

      Gestern hatten sie das japanische Walfangschiff südlich der Kerguelen-Inseln ausgemacht und die Verfolgung aufgenommen. Die Arctic Sunrise war ein ehemaliger Robbenfänger und eigens für den Zweck umgebaut, Walfänger südlich des 40. Breitengrades ausfindig und ihnen ihren Fang so schwer wie möglich zu machen. Die Japaner waren gestern Abend auf eine Gruppe Minkwale gestoßen, die westwärts auf die Südatlantische Schwelle zuhielten. Den ersten Abschussversuch heute Morgen hatten die Männer und Frauen an Bord der Schlauchboote noch verhindern können, aber der Walfänger hatte die gemächlich nach Westen schwimmende Gruppe Wale bald wieder eingeholt. Nun setzte er erneut zum Abschuss an und wieder riskierten die Umweltschützer in den wendigen Schlauchbooten ihr Leben.

      Rike hatte beinahe zwei Wochen im Camp bei Bremen für diesen Einsatz geübt, bevor sie vor einer Woche in Perth an Bord der Arctic Sunrise gegangen war, doch dass es so hart werden würde, hatte sie nicht gedacht.

      »Come on, closer!«, rief Bob, der aus Wellington stammte und schon zum achten Mal mit von der Partie war. Bob führte das Boot, das sich zwischen den Walfänger und die Tiere schieben sollte, falls die anderen den Japaner nicht zur Kursänderung zwingen konnten.

      Jean, ein Belgier aus Gent, hielt mit beiden Händen das Ruder des 240 PS starken Außenbordmotors umklammert. Harry aus dem amerikanischen Newport und Rike stabilisierten das Boot. Sie hatten sich angeleint und versuchten, nicht über Bord zu fallen. Das alleine war schon schwierig genug. Plötzlich durchstießen direkt neben ihnen die grauen Körper der Minks die Oberfläche.

      »Slow down … slow down!«

      Eiskaltes Wasser spritzte in Rikes Gesicht. Jetzt war der Walfänger direkt hinter ihnen. Die aufgewirbelte Gischt nahm ihr zeitweise die Sicht. Dann ertönte ein Donnern. Ein Rauschen überlagerte den gedrosselten Motorenlärm, doch es war nicht das Rauschen der Wellen. Es steigerte sich zu einem immer höher werdenden Sirren, dann schoss der Pfeil an ihnen vorbei und bohrte sich mit einem lauten Klatschen in den Leib eines Tiers. Der Luftzug des Seiles klang wie ein hilfloser Aufschrei.

      Rike schlug die Hände vors Gesicht. Die Schaumkronen der Wellen verfärbten sich rot.

      »This crazy guy!«, fluchte Bob.

      Im Todeskampf peitschte die mächtige Schwanzflosse des zehn Meter langen Tieres durch die Luft. Jean riss das Ruder herum und Bob fiel nach vorne. Rike erwischte ein Stück seiner Jacke. Bobs Oberkörper hing im eiskalten Wasser, doch Rike verhinderte, dass er über den glatten Wulst in die Fluten stürzte.

      Jean drosselte den Motor und Harry hechtete zum Bug, um Rike und Bob zu helfen. Gemeinsam zogen sie den Neuseeländer zurück ins Boot. Er fluchte und schüttelte seine Faust, als der Walfänger nur wenige Meter entfernt an ihnen vorüberfuhr. Die Wale waren wieder abgetaucht. Alle, bis auf einen.

      »Manchmal glaube ich, Larsen hat Recht«, murmelte Rike, während sie in einiger Entfernung zusahen, wie der Walfänger seinen mittlerweile leblosen Fang längsseits zog. »Es reicht nicht, sie abzudrängen. Versenkt müssten sie werden.«

      »Was meinst du?«, fragte Jean mit französischem Akzent.

      »Ach, nichts … Ich dachte gerade nur an einen Freund von mir«, antwortete Rike.

      »Okay, there’s nothing more to do, let’s go back«, sagte Bob.

      Mit feuchten Augen wandte sich Rike ab. Die Arctic Sunrise wartete auf sie.

      *

      Dr. Thomas Esser, stellvertretender Direktor der Bezirksregierung Weser-Ems, war Landtagsabgeordneter der Grünen gewesen, bis er bei der letzten Wahl seinen Sitz verlor und an seinen Schreibtisch nach Oldenburg zurückkehren musste. Er hatte noch immer sein Parteibuch und war von den Programmen seiner Partei überzeugt. Vor allem lag ihm der Schutz der Küste und des Wattenmeers am Herzen. Nun stand er der Nationalparkverwaltung Wattenmeer in Wilhelmshaven vor. Vielleicht, so dachte er oft, war es ein Wink des Schicksals, dass er seinen Platz im Landtag hatte aufgeben müssen. Als verantwortlicher Leiter der Nationalparkverwaltung konnte er viel mehr für die Umwelt und seine Überzeugungen tun.

      Obwohl es seit dem gestrigen Abend in Oldenburg regnete, war er wie jeden Tag mit seinem Fahrrad von Bürgerfelde zur Arbeit gefahren. Wenn es auch kalt und ungemütlich war, diesen aktiven Beitrag zum Schutz der Umwelt ließ er sich nicht nehmen. Den Bus benutzte er nur, wenn die geschlossene Schneedecke das Radfahren nicht mehr zuließ.

      Vor vielen Jahren, als er noch jung und ungebunden gewesen war, mit langen Haaren und mit grünem Parka, hatte er Stunden im Wind und im Regen zugebracht. In Camps, in wilden Lagern und Zelten. Vor Gorleben, an der Startbahn West bei Frankfurt oder im Hamburger Freihafen, er hatte keine Gelegenheit ausgelassen, den Regierenden sein klares »Nein« zu ihren Entscheidungen entgegenzuschreien.

      Vielleicht war er reifer geworden – oder vielleicht resultierte die Verlagerung seiner Aktivitäten aus einem längeren Gespräch mit seinem Vater, der ihm unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er kein Geld mehr erhalten werde, wenn er sich nicht endlich selbst um seine Zukunft kümmerte. Natürlich hatte zunächst der Rebell in ihm gesiegt, schließlich gehörte sein Vater als erfolgreicher Zahnarzt dem Establishment an, das er damals zutiefst verachtete. Letztlich siegten die Einsicht, der Hunger und die Vernunft.

      Er hatte Jura studiert – denn »Biologie hat keine Zukunft!«, hatte sein Vater getönt – und gelernt, seine Ideologien in demokratischer und konstruktiver Form zu vertreten. Er heiratete, tauschte den grünen Parka mit einem dunklen Anzug. Machte sein Praktikum am Amtsgericht in Oldenburg, knüpfte Kontakte und begann seine Karriere bei der Bezirksregierung. Und nach dem kurzen Ausflug in die Landespolitik hatte ihm nun der Bezirksdirektor die Aufsicht über die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven übertragen. Eine Aufgabe, die er mit Freude übernahm.

      Sein СКАЧАТЬ