Politische Philosophie des Gemeinsinns. Oskar Negt
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Название: Politische Philosophie des Gemeinsinns

Автор: Oskar Negt

Издательство: Автор

Жанр: Афоризмы и цитаты

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isbn: 9783958298217

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СКАЧАТЬ derselben wird. Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Geselligkeit des Menschen; d. i. den Hang derselben, in Gesellschaft zu treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande, welcher diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist. Hiezu liegt die Anlage offenbar in der menschlichen Natur. Der Mensch hat eine Neigung sich zu vergesellschaften; weil er in einem solchen Zustande sich mehr als Mensch, d. i. die Entwicklung seiner Naturanlagen, fühlt. Er hat aber auch einen großen Hang sich zu vereinzelnen (isolieren).56

      Hier ist die Verbindung zu Adam Smith offensichtlich, nicht zu jener invisible hand, von der er spricht, sondern insofern als der Antagonismus der gesellschaftlichen Kräfte etwas wie eine gesetzmäßige Ordnung erzeugt: Ordnungslosigkeit erzeugt Ordnung, und wenn jeder seinen eigenen Triebkräften und Neigungen folgt, entsteht doch etwas zum Vorteil aller. Es gehört zu den merkwürdigsten Phänomenen der bürgerlichen Denkweise, wie Bernard Mandeville (1670–1733) davon auszugehen, dass private Untugend zu öffentlichen Gewinnen führe: privat vices, public benefits.57 Schon in seiner »Bienenfabel« (1714) ist diese Substanz des bürgerlichen Denkens polemisch zusammengezogen, die sich bei Kant unter transzendentalen Gesichtspunkten noch einmal ausdrückt, wenngleich ganz klar ist, dass dasselbe Prinzip in den verschiedenen Theorien auch verschieden gestaltet ist. Was dann bei Hegel auftritt, ist ein absoluter Geist, der durch die Geschichte und die Dinge marschiert, das Allgemeine, das die Besonderheit aufzehrt.

       Geschichte und Naturanlagen

       Vorlesung vom 7. November 1974

      Wir haben gesehen, dass sich in diesen Zusammenhängen bei Kant Momente einer liberalen Weltanschauung und ein Bezug auf Adam Smith ausdrücken. Was dieser, anders als Kant oder auch Hegel und spätere Theoretiker, nicht exakt trifft, ist die bei Mandeville bereits klar beschriebene Annahme, mit der kompletten Realisierung völlig egoistischer Bedürfnisse stelle sich eine Art Gesamtwohlstand automatisch her. Diese Annahme teilt Adam Smith in dieser Weise nicht, auch wenn es eine Rezeptionsgeschichte gibt, die ihm das unterstellt. Doch selbst wenn hier falsche Zuschreibungen stattgefunden haben, prägte jene Auffassung wesentlich das liberale Selbstverständnis, dass sich das Gesamtwohl, das Glück der größten Zahl realisiere im Prozess der rücksichtslos sich abspielenden Durchsetzungen eigener ökonomischer Interessen und Bedürfnisse. Ökonomisch ist, was »Wealth of Nations«58 anbetrifft, ein solcher Mechanismus sehr wohl nachweisbar. Kant hat das als »Maschinenwesen der Vorsehung«59 bezeichnet, hervorgebracht von der Natur, um eine Reihe von Zielen der Menschen gegen deren Willen durchzusetzen.

      Des Weiteren haben wir festgestellt, dass die Französische Revolution ein Hinweis, ein Geschichtszeichen für die Entwicklung von Naturanlagen gewesen sei, wobei zunächst noch offen blieb, was genau das allgemein bedeutet, im spezifischen Fall jedoch eine Anlage zum moralischen Verhalten. Darüber hinaus haben wir den Krieg betrachtet als ein von der Natur installiertes Instrument zur Realisierung, zur Entfaltung und zur Entwicklung von Naturanlagen, die sonst brachliegen würden. Ich habe in diesem Zusammenhang betont, dass sich diese Naturanlagen nur gesellschaftlich in einem Prozess der gesamten Gattung entfalten können. Der Mensch ist bei Kant, trotz aller gegenteiligen Behauptungen, ein durch und durch gesellschaftliches Wesen, das ohne Gesellschaft buchstäblich nicht existenzfähig ist. Das Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse, von dem Marx in der sechsten Feuerbachthese spricht, ist im Kantischen Begriff vom Menschen nicht nur angelegt, sondern der Mensch konstituiert sich erst in seiner Gattung und das heißt, vermittels anderer, durch Kommunikation mit anderen, durch Gesellschaftlichkeit. Um zu erläutern, warum Vernunft nicht ein schlichtes Postulat für Kant ist, sondern dass Vernunft hervorgetrieben wird durch gesellschaftliche Kräfte, haben wir uns das kuriose Beispiel der Hospitalität und der Kugelform der Erde angesehen. Daran wurde deutlich, dass Kant immer auch auf jene Bedingungen reflektiert, unter denen Gesellschaft möglich ist.

      Schließlich haben wir gesehen, dass die Natur für Kant nichts Überflüssiges tut, weshalb er davon ausgeht, wo Vernunft angelegt ist, solle sich diese auch ausdrücken. Er ist überzeugt, die Natur schaffe nicht Anlagen, die eine Bestimmung haben, um sie dann verrotten zu lassen. Wenn es eine moralische Anlage gibt, so hat die Natur damit einen Hinweis gegeben, dass sie entfaltet werden soll. Kant sucht jetzt die Mittel für die Entfaltung dieser Anlagen, und er erkennt ein solches im »Antagonism«, in der »ungeselligen Geselligkeit des Menschen«.60 Dieser habe gleichermaßen den Hang, »in Gesellschaft zu treten«,61 wie jenen, sich zu isolieren. Was Kant hier auf einer anthropologischen Ebene ausdrückt, indem er diese Widersprüchlichkeit von Geselligkeit und Ungeselligkeit als Naturtatsache bezeichnet, ist auch eine geschichtliche Sozialisationsstufe, in der sich die Bildung des Individuums vollzogen hat.

      Denn Geselligkeit – Kant spricht von einem Bedürfnis nach Geselligkeit, nach Kontakten, nach freundlichem, ja pfleglichem Umgang mit Menschen und Dingen – ist unter den Bedingungen, wie Kant sie vorfindet, nur mit Kosten zu erfüllen. Das heißt, der pflegliche Umgang ist einer, der nicht auf Raubbau gegenüber Menschen und Natur gerichtet, sondern der auf Bewahrung ausgerichtet ist und der auch nicht mit Produktion verbunden ist, mit Aneignung in diesem Sinne. Diesbezüglich betont Kant vielmehr, die Autonomie des Individuums als eines empirischen sei der Besitz. Das Privateigentum sei die Kernzelle des Autonomiebegriffs, sofern es sich um einen empirischen Autonomiebegriff handelt. Das heißt: Ein Bourgeois, wie Kant ihn in der Rechtslehre bezeichnet, ist derjenige, der fähig ist, ohne Hilfe anderer zu leben, auch ohne die eines Staates. Das bedeutet aber, dass der Bourgeois in gewisser Weise Okkupationsrechte hat gegenüber der Realität und gegenüber Menschen: Er hat das Recht, sich wenigstens die Früchte seiner eigenen Arbeit anzueignen.

      Nebenbei sei erwähnt, dass Kant hier eine ganze andere Theorie zur Begründung des Eigentums hat als John Locke. Letzterer legimitiert das Eigentum aus der Arbeit,62 Kant sagt hingegen, die Arbeit sei ein Akzidenz des Besitzes. Damit eine Veränderung am Gegenstand, an der Substanz stattfinden kann, sei Eigentum die Voraussetzung: Bevor man einen anderen am Eigentum arbeiten lässt, muss dieses da sein. Kant sieht diese vorgängige Okkupation sehr viel klarer als Locke. Für ihn ist der Besitz die Substanz und die Arbeit die Akzidenz, für Locke ist es umgekehrt. Aber Locke hat in einem anderen Punkt Recht, wo die Eigentumstheorie von Kant noch mit bestimmten feudalen Elementen durchsetzt ist. Locke erkennt nämlich, dass sich in der Tat etwas wie Wert durch Arbeit konstituiert. Er erkennt die Wertsubstanz dessen, was entsteht, während Kant klarer den Vorgang selbst begreift, der sich in Bezug auf Herrschaftsverhältnisse abspielt. Wir haben hier einen subtilen Unterschied zwischen dem amerikanisch-angelsächsischen Liberalen und dem deutschen Gelehrten, der Ersteren rezipiert – Locke wurde von Kant gelesen – und gleichzeitig jene Schwäche erkennt, die darin steckt, wenn man damit auch liberales Eigentum, also Ausbeutung legitimieren will. Kant durchschaut, dass Arbeit eine Formveränderung von Besitz ist. Wenn Eigentum aber das Produkt von Gewalt ist, kann man nur noch daran gehen, diese Gewalt zu legalisieren.

      Doch kommen wir zurück zu jenem Antagonismus der »ungeselligen Geselligkeit«, der sich durch die ganze Kantische Geschichtstheorie zieht und ein Instrument zur Entfaltung der Naturanlagen darstellt. Das größte Problem, das aufzulösen die Menschengattung durch die Natur gezwungen wird, ist die Erreichung einer allgemeinen, das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft. Die Natur stößt eigentlich jeden darauf, dass diese Gesellschaft zustande kommen soll und zwar nicht friedfertig, sondern durch Gewalt, durch sehr verschiedene Formen von Gewalt. Warum gibt es diese Gewalt, die Kant in aller Deutlichkeit sieht? Das Abschlachten der Menschen, das kann, laut Kant, nicht völlig sinnlos sein, sonst wäre ein großer Teil der Naturbeziehungen der Menschen und der Menschen selbst als Naturprodukte sinnlos. Das bezeugen jedoch nur jene Keime, welche die Natur in die Menschen legt, um sie zu entwickeln, die Naturanlagen. Was dies für die Anthropologie des Menschen bedeutet, werde ich im Folgenden zu zeigen versuchen.

      Zunächst möchte ich aber den Stellenwert des Allgemeinen im Kantischen Werk in Augenschein nehmen. Es zeigt sich nämlich, dass die Produktionsweise der Intelligenz, wenn man so will, wie sie СКАЧАТЬ