Grimmelshausen. Dieter Breuer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Grimmelshausen - Dieter Breuer страница 11

Название: Grimmelshausen

Автор: Dieter Breuer

Издательство: Автор

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783534402779

isbn:

СКАЧАТЬ Intraden geneust/die doch gemeinlich durch ihrer Vorfahren verübten Gewalt zu wegen gebracht worden? Was könnte doch Adelicher genennet werden/als eben das Handwerck/dessen ich mich jetzt bediene? […] Mein lieber Simplici, du hast den Machiavellum noch nicht gelesen […]. (338)

      Ob der Einwand des Simplicius berechtigt ist, daß nämlich eine solche Lebensform gegen göttliches, natürliches und positives Recht verstoße und darum unmoralisch sei, hält Olivier für eine Frage der Macht:

       du bist noch Simplicius, der den Machiavellum noch nit studirt hat/könnte ich aber auff solche Art eine Monarchiam auffrichten/so könnte ich sehen/wer mir alsdenn viel darwider predigte. (339)

      Die „böse“, „gottlose“ ratio status ist jedoch für Grimmelshausen wie für die theologisch begründete absolutistische Staatstheorie seiner Zeit unmoralisch und daher keine politische Alternative.

      Die politischen Diskurse des fünften Buches befassen sich daher folgerichtig mit den anthropologischen Vorbedingungen für eine moralische Lebensform, die entsprechend der Contzenschen Formulierung gewährleistet, „ex Dei lege gerere Rempublicam, iustitiam, aequitatemque tueri“. Die geradezu experimentell angelegte Konstruktion des Sylphenreiches in der Mummelsee-Episode (Cap. 10–17) führt zu dem Resultat, daß eine konfliktfreie Sozialordnung nur denkbar ist bei Lebewesen, die keine Freiheit zur Sünde, keine Wahl zwischen moralisch richtigem und falschem Verhalten haben. Die Sylphen sind „keiner Sund/und dannenhero auch keiner Straff/noch dem Zorn Gottes/ja nicht einmal der geringsten Kranckheit unterworffen“ (417), und da jeder einzelne seiner gottgewollten, d.h. natürlichen Bestimmung entsprechend lebt, ist das Sylphenreich, politisch betrachtet, herrschaftsfrei: sie haben „ihren König nicht/daß er Justitiam administriren/noch daß sie ihm dienen sollten/sondern daß er wie der König oder Weissel in einem Immenstock/ihre Geschaffte dirigiere“ (418). Im menschlichen Bereich ist jedoch nach Grimmelshausen eine solche Voraussetzung zum friedlichen, herrschaftsfreien Zusammenleben aufgrund der andersartigen conditio humana, der Freiheit zur Sünde, zu sozialschädlichem Verhalten und der daraus resultierenden Notwendigkeit von Herrschaft nicht gegeben. Das Bild von den „Weltliche[n] hohe[n] Häupter[n] und Vorsteher[n]“, die in einer friedlich zusammenlebenden, ständisch gegliederten Sozietät „allein ihr Absehen auff die liebe Justitiam [haben], welche sie dann ohne Ansehen der Person einem jedwedem/Arm und Reich/durch die Banck hinauß schnur-gerad ertheilen und widerfahren lassen“ (426), kann daher keine in die Zukunft weisende Utopie sein, sondern ist Satire, da ja auch der Herrscher der conditio humana unterworfen ist und ein übermenschlicher „Teutscher Held“ ausbleibt.

      Ein friedliches Zusammenleben ist, wenn überhaupt, nur außerhalb der staatlichen Ordnung möglich, und zwar in einer kleineren religiösen Sozietät, die durch strenge Selbstdisziplin die Freiheit zur Sünde einzuschränken sucht und so der conditio humana in besonderer Weise Rechnung trägt. Grimmelshausen veranschaulicht diese Überlegung am sehr positiv dargestellten Beispiel der Ungarischen Wiedertäufer (Cap. 19), jedoch im Rahmen der Histori scheidet auch diese Alternative aus; konfessionelle Gründe und die Aussichtslosigkeit, Gesinnungsgenossen zu finden, halten Simplicius von der Verwirklichung eines solchen Planes ab.

      So bleibt nur noch die Lebensform der Einsiedelei, die allerdings wegen der hohen Anforderungen an die Selbstdisziplin auch wieder problematisch wird. Doch hat Grimmelshausen mit diesem Schritt die Ebene der politischen Argumentation bereits verlassen. Als Ergebnis der politischen Diskurse bleibt somit festzuhalten: die absolutistische Staatsform bietet, aus der Perspektive des Untertanen, keine Möglichkeit zu einem friedlichen, an den Prinzipien des göttlichen und natürlichen Rechts orientierten Leben, und andere realisierbare soziale Ordnungsformen sind für Grimmelshausen zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht auszumachen.

      Diese grundsätzliche Skepsis hat Grimmelshausen auch in seiner späten Histori Proximus und Lympida nicht aufgegeben; jedoch gelangt er hier, wiederum in Auseinandersetzung mit der absolutistischen Staatsauffassung, zu einer anderen, von der frühabsolutistischen Staatslehre abweichenden Lösung. Auch hier wird (in einer „Vorrede“) zunächst ein düsteres, endzeitlich-chaotisches Panorama des Krieges aller gegen alle entworfen, wiederum in der christlichen Heilsgewißheit,101

       daß dannoch der Allmächtige Gott die seinige/die ihn lieben/förchten/ehren und ihm dienen/[…] wunderbarlicher weiß erhalte/durchbringe/beschütze/beschirme/und endlich nach ihrer Beständigkeit/gleichsamb wie durch das Fewr probiert und geläutert/durch die Wellen des ungestümmen Meers dieser Welt/zu dem verlangten sicheren Gestad der ewigen Seeligkeit glücklich anlande. (16)

      Die folgende Histori zeigt dann auch exemplarisch, am Beispiel des letztlich unaufhaltsamen Aufstiegs des verarmten, aber tugendhaften Adeligen Proximus in den Stand eines regierenden Fürsten, die Wirksamkeit der providentia Dei, der „gütigen Vorsehung des allmächtigen“ (127) auch im politischen Bereich.102 Das entspricht der antimachiavellistischen Argumentation der Joseph-Histori. Jedoch ist hier die Möglichkeit, gemäß der theologisch fundierten frühabsolutistischen Staatsauffassung als Politiker moralisch handeln zu können, nicht mehr so optimistisch beurteilt wie in der Joseph-Histori von 1666; andererseits gibt sich Grimmelshausen auch nicht mehr mit der bloßen Aporie des zugleich moralischen und politischen Handelns zufrieden, die er im Musai dargestellt hatte. Hinzu kommt, daß er auch die im Simplicissimus erwogene Alternative der Einsiedelei mitreflektiert und ausdrücklich ausscheidet; Proximus wird von seinem Vater zu einem dem Evangelium gemäßen Leben in der Welt gemahnt:

       Du wirst und sollest zwar kein Monachus oder Einsidler werden/wie ich etwan auch selbst einmal zuthun gesinnet/sintemahl du auch mitten in der unruhigen gottlosen Welt ein stilles Gott wolgefälliges Leben führen kanst […]. (83f.)

      Damit hat Grimmelshausen seine Argumentationsmöglichkeiten weiter eingeschränkt und die Frage nach der Moralität der absolutistischen Ordnungsform menschlichen Zusammenlebens verschärft. Die Alternative, die er in diesem Spätwerk anbietet, geht denn auch über die bisherigen Lösungsversuche hinaus: er stellt der absolutistischen Ordnungsform die republikanische gegenüber.

      Als der fromme Fürst Proximus erkennt, daß er, um sich und seine Herrschaft zu erhalten, d.h. seiner ratio status gemäß zu handeln, in Konflikt mit seinem kaiserlichen Lehnsherrn und dessen konfessionell verbrämter Machtpolitik gerät, weicht er den machtpolitischen Konsequenzen seines Regentenamtes aus und resigniert; er tritt sein Fürstentum dem kaiserlichen Kronprinzen „gegen Darlegung eines grossen Stück bares Geltes“ (141) ab, „versilbert“ auch das Erbteil seiner Gemahlin Lympida und begibt sich mit seiner Familie und seinem Vermögen in die Republik Venedig, wo er „leütseelig“ aufgenommen wird, „weil er sich mit so ansehnlichen bey sich habenden Mittlen zu ihnen einzukauffen mehr als genugsamb versehen befande“ (141). Er stellt sein Vermögen ganz in den Dienst der ratio status der Republik: er legt das „Fundament“ zum „annoch vorhandenen allgemeinen“ Staatsschatz, er stiftet „zur Beförderung des Gottes Diensts“ Kirchen und steuert aus seinen Mitteln bereitwillig bei, „was etwan des gemeinen Wessens Erhaltung hie/da unnd dort zu seiner Beschütz: vnd Auffnemmung bedes durch Waffen unnd in andere Weg erforderte“ (141). Diese vorbehaltlose Orientierung am Gemeinwohl bewirkt, daß „er: der erst ankommene Frembtling/bey derselben Republic denen alten Geschlechtern/als der aller-getrewste Patriot/wo nicht vorgezogen/doch ihnen gleich geschätzt“ wird. Daß auch sein nichtadeliger Gefährte Modestus „in die Zahl der alten edlen Geschlechter“ aufgenommen wird, ist in der Histori eine weitere Konsequenz aus dem in diesem Staate geltenden Gleichheitsprinzip, das nicht auf dem Geburtsadel beruht, sondern auf dem rechtmäßig, durch göttliche Vorsehung und persönliche Tugend erworbenen, dem Gemeinwohl verpflichteten (Geld)Vermögen.

      Die Frage nach einer Ordnungsform der menschlichen Sozietät, die zu ihrer „Selbsterhaltung“ nicht in Konflikt mit vorrangigen moralischen Prinzipien gerät, wird demnach von Grimmelshausen in dieser Histori im Unterschied zum Simplicissimus positiv СКАЧАТЬ