Название: Das Zeitalter der Extreme
Автор: Eric Hobsbawm
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806239669
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Was bedeutete übrigens damals schon eine »freie Marktwirtschaft« in einer immer mehr von riesigen Unternehmen dominierten Volkswirtschaft, auf die der Begriff des »vollkommen freien Wettbewerbs«33 nicht zutrifft? Sogar Kritiker von Karl Marx gaben zu, daß sich seine Vorhersagen, mindestens in bezug auf die wachsende Konzentration des Kapitals, als zutreffend erwiesen hätten.34 Man brauchte kein Marxist zu sein oder besonderes Interesse an Marx zu haben, um feststellen zu können, wie stark sich der Kapitalismus des freien Wettbewerbs in der Zwischenkriegszeit von der Wirtschaft des 19. Jahrhunderts unterschied. Schon lange vor dem Börsenkrach an der Wall Street hatte ein gescheiter Schweizer Bankier festgestellt, daß die Unfähigkeit des ökonomischen Liberalismus (und, so fügte er hinzu, auch des Sozialismus aus der Zeit vor 1917), sich selbst als universelles Programm am Leben zu erhalten, die Erklärung für den Hang zu »autokratischen Wirtschaftsformen« lieferte – also für faschistische, kommunistische oder solche, die der Herrschaft von großen und von Aktionären unabhängigen Unternehmen unterworfen sind.35 Am Ende der dreißiger Jahre waren die liberalen Orthodoxien des freien Marktwettbewerbs so weit abgeschlagen, daß selbst maßgebliche Fürsprecher des amerikanischen Kapitalismus die Weltwirtschaft als ein dreigefächertes System darstellten, welches aus einem marktwirtschaftlichen Sektor, einem zwischenstaatlichen Sektor (in dem Planwirtschaften oder gelenkte Wirtschaften, wie Japan, die Türkei, Deutschland und die Sowjetunion, ihre Transaktionen miteinander abwickeln) und einem Sektor für staatliche oder teilstaatliche Behörden bestehe, die bestimmte Teile der Wirtschaft regeln (beispielsweise durch internationale Handelsabkommen).36
Es kann also nicht weiter überraschen, daß sich die Weltwirtschaftskrise unmittelbar und dramatisch auf die Politik und das Denken der Gesellschaft ausgewirkt hat. Die Regierungen, die während des Kataklysmus zufällig gerade im Amt waren, wie Herbert Hoovers Administration in den USA (1928–32) auf der Rechten, oder auf der Linken die britische Labour-Regierung (1929–31), konnten einem leid tun. Der Umbruch kam zwar nicht überall so plötzlich wie in Lateinamerika, wo zwischen 1930 und 1931 in zwölf Staaten ein Regierungs- oder Regimewechsel stattfand, zehn davon durch einen Militärputsch. Doch bis Mitte der dreißiger Jahre gab es nur noch wenige Staaten, deren Politik sich nicht völlig von der, die vor dem Crash bestanden hatte, unterschieden hätte. In Europa und Japan gab es einen harten Rechtsruck – mit der Ausnahme von Schweden, das 1932 sein halbes Jahrhundert sozialdemokratischer Regierungszeit begann, und von Spanien, wo die Bourbonenmonarchie 1931 einer unglücklichen und, wie sich herausstellen sollte, auch kurzlebigen Republik Platz machte. Mehr dazu im nächsten Kapitel; doch hier sollte erwähnt werden, daß der beinahe gleichzeitig stattfindende Sieg von nationalistischen, kriegslüsternen und handgreiflich aggressiven Regimen in zwei militärischen Großmächten-Japan (1931) und Deutschland (1933) – die weitreichendsten und dunkelsten politischen Folgen der Großen Depression manifestierte. Das Tor zum Zweiten Weltkrieg wurde 1931 aufgestoßen.
Das Erstarken der radikalen Rechten wurde von den spektakulären Rückschlägen für die revolutionäre Linke während der schlimmsten Periode der Krise noch gefördert. Im Gegensatz zu dem, was die Kommunistische Internationale erwartet hatte, war diese weit davon entfernt, eine neue Runde für die soziale Revolution einzuläuten; und die internationale kommunistische Bewegung außerhalb der Sowjetunion war durch die Depression in einen Zustand nie gekannter Schwäche zurückgeworfen worden. In gewissem Maße, das muß man zugeben, war dies der selbstmörderischen Politik der Komintern zu verdanken, die nicht nur den Nationalsozialismus in Deutschland gröblich unterschätzt hatte, sondern darüber hinaus eine Politik der sektiererischen Isolation betrieb – was rückblickend betrachtet ziemlich unverständlich erscheint –, indem sie entschied, daß ihr eigentlicher Feind die als »sozialfaschistisch« bezeichneten sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen und Arbeiterparteien seien.37 1934 war nur noch wenig von einer – legalen oder illegalen – einflußreichen, wohlorganisierten, internationalen revolutionären Bewegung übrig: Hitler hatte die deutsche KPD zerstört, auf der einst Moskaus Hoffnung auf die Weltrevolution ruhte und die 1933 noch die bei weitem größte, mächtigste und offenbar auch noch immer stärker werdende Sektion in der Internationale bildete. Und sogar die chinesischen Kommunisten waren seit ihrer Vertreibung aus ihren ländlichen Guerillastützpunkten nur mehr eine gehetzte Karawane auf ihrem Langen Marsch in einen weit abgelegenen und sicheren Zufluchtsort.38 1934 war Frankreich das einzige Land in Europa, in dem die Kommunistische Partei politisch noch eine genuine Rolle spielte. Im faschistischen Italien konnte sich Mussolini, zehn Jahre nach dem »Marsch auf Rom« und auf dem Höhepunkt der internationalen Krise, so sicher fühlen, daß er sogar inhaftierte Kommunisten freiließ, um dieses »Jubiläum« zu feiern.39 All das sollte sich zwar innerhalb weniger Jahre ändern (siehe Fünftes Kapitel), doch es steht fest, daß das unmittelbare Resultat der Krise jedenfalls in Europa zum exakten Gegenteil dessen geraten war, was die Sozialrevolutionäre erwartet hatten.
Aber nicht nur der kommunistische Sektor verschwand. Mit Hitlers Sieg verschwand auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands von der Bildfläche, und ein Jahr später, nach kurzem bewaffnetem Widerstand, auch die Sozialdemokratie in Österreich. Die britische Labour Party war bereits 1931 der Weltwirtschaftskrise zum Opfer gefallen, oder vielmehr ihrem Glauben an die ökonomische Orthodoxie des 19. Jahrhunderts; und ihre Gewerkschaftsbewegung, die seit 1920 bereits die Hälfte ihrer Mitglieder verloren hatte, war schwächer, als sie es 1913 gewesen war. Die meisten europäischen Sozialisten standen mit dem Rücken zur Wand.
Außerhalb von Europa bot sich ein ganz anderes Bild. Nordamerika bewegte sich ziemlich deutlich nach links. Die USA experimentierten unter ihrem neuen Präsidenten Franklin D. Roosevelt (1933–1945) mit dem relativ radikalen New Deal; Mexiko СКАЧАТЬ