Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten. Alfred Bekker
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      Doch Berringer ließ sie nicht zu Wort kommen. „Was ist denn passiert, dass Sie hier wie eine Furie herumlaufen? Scheinen ja richtig tiefgehende familiäre Differenzen zu sein, die da vorliegen – und auch das wird die Polizei interessieren.“ Sie stemmte die Fäuste in die geschwungenen Hüften. „Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?“

      „Die Tochter von Herrn Gerath, wenn ich Sie richtig verstanden habe“, sagte Berringer lapidar.

      „Ich bin Maja Gerath!“

      Zumindest hatte sie nicht gesagt: Ich bin die Gerath. Die Gerath war wahrscheinlich die Frau des Gerath, dachte Berringer amüsiert.

      Sie fuhr fort: „Und wenn Sie noch einmal behaupten, dass ...“ Berringer fuhr ihr in die Parade. „Drohen Sie mir jetzt nicht mit Anwälten, die Ihr Vater bezahlen müsste. Das wäre doch irgendwie unredlich, finden Sie nicht auch?“

      „Wa... was?“, stammelte sie. Sie musste erst mal ihre Gedanken ordnen, so schien es.

      Und vor allem ihre Emotionen.

      „Na ja“, sagte Berringer, „Ihr Vater bezahlt mich, damit ich Fragen stelle, und dann soll er Ihre Anwälte bezahlen, damit ich den Mund halte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Da wäre Ihr Daddy ganz schön gekniffen, oder?“ Sie brauchte einen Moment, um diese Unverschämtheit zu verdauen. Dann öffnete sie die Steppjacke und deutete auf das hölzerne Amulett. „Wissen Sie, was das ist?“

      „Das Ergebnis eines Volkshochschulkurses in Brandmalerei“, behauptete Berringer.

      „Sie haben sicherlich eine kreative Ader.“

      „Sie sind ein dummer Mensch, Herr ...“

      „Berringer.“

      „Dies ist das allsehende Auge mit den Zeichen des Göttlichen Prinzips und des Prinzips der Erde.“

      „Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, was das damit zu tun hat, wer auf Ihren Vater geschossen hat. Derjenige folgte nämlich wohl eher dem Prinzip des Todes, und der Blick seines allsehendes Auge wurde durch ein Fadenkreuz fokussiert.“ Sie tickte mit dem Fingernagel des rechten Zeigefingers gegen das Amulett. „Das sind Symbole des Friedens und der Spiritualität. Ich würde niemals Gewalt anwenden.“

      „Ich weiß nicht, ob spirituelle Reinheit der Polizei als Beweis für Ihre Unschuld reicht.“

      Sie verzog das Gesicht. „Das lassen Sie mal meine Sorge ein.“

      „Hören wir auf mit dem Kinderkram“, entgegnete Berringer völlig unbeeindruckt.

      „Haben Sie ein Alibi für den Sonntagmorgen, an dem zum ersten Mal auf Ihren Vater geschossen wurde?“

      „Ich habe geschlafen.“

      „Wahrscheinlich allein und ohne Zeugen.“

      „Hören Sie, um die Zeit, wenn mein Vater auszureiten pflegt, schlummere ich tief und fest.“

      „Die Polizei wird sicher begeistert sein von diesem Alibi.“ Sie war äußerst gereizt. Ein wandelnder Sprengsatz. Und Berringer ertappte sich dabei, dass es ihm Spaß machte, mit dem Feuerzeug an ihrer Zündschnur rumzuspielen.

      „Was wollen Sie verdammt noch mal von mir?“, fauchte sie.

      „Ich möchte, dass Sie mir sagen, weshalb Sie angenommen haben, Ihren Vater auf dem Rahmeier-Hof anzutreffen und was der Grund Ihres derzeitigen Streits ist?“

      „Was Ihre erste Frage angeht: Sie können mich mal!“ Berringer grinste. „Das hatten wir doch schon.“

      „Und die zweite ...“

      „Ich hoffe, Sie variieren Ihre Antworten etwas.“

      „Fragen Sie einfach meinen Vater!“

      Mit energischen Schritten ging sie weiter Richtung Tor. Als sie dort ankam, trat sie dagegen, dass es scheppert. Dann drehte sie sich um und keifte die Wachmänner an.

      „Na, worauf warten Sie denn? Ich will hier raus! Oder wollen Sie eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung!“

      Was für einer Religion oder esoterischen Lehre sie auch immer anhängen mochte, zu einem sanftmütigen Menschen hatte sie dieser Glaube auf jeden Fall nicht gemacht.

      Die beiden Wachleute wechselten zunächst einen Blick. Dann nahm einer der beiden über Funk Kontakt mit jemandem auf, von dem Berringer vermutete, dass es sich um den Gerath persönlich handelte.

      Um wen auch sonst?, dachte er.

      „Ihr könnt wohl keine einzige Entscheidung allein treffen, Jungs!“, tönte Maja Gerath. „Wahrscheinlich muss euch mein Vater auch Bescheid sagen, wann ihr zur Toilette gehen solltet!“ Ihr heiseres Lachen wirkte nicht wirklich belustigt.

      Sekunden später öffnete sich surrend das Tor.

      Maja ging zur Straße und fluchte lauthals vor sich hin.

      Berringer folgte ihr bis zum Tor.

      Sie war inzwischen mit schnellen Schritten schräg über die Straße gegangen. Ein Mann wartete dort in einem metallicfarbenen Ford. Berringer schätzte ihn auf etwa dreißig. Er war schlank, hatte ein wenig konturiertes, unscheinbares Gesicht und aschblondes, für sein Alter schon recht dünnes Haar.

      Maja stieg ein, und der Mann trat aufs Gas. Die Hinterräder des Ford drehten durch, als er losfuhr. Ein klassischer Kavalierstart.

      Eine reizende Tochter haben Sie, Herr Gerath!, dachte Berringer und kehrte zum Haus zurück.

      Peter Gerath empfing ihn bereits an der Tür. Der Händedruck hatte die gewohnte Qualität. Der Gerath packte zu – und dann konnte man nur froh sein, wenn man kein Ringträger war.

      „Guten Tag, Herr Berringer.“

      „Guten Tag.“

      „Entschuldigen Sie, dass ich Sie gerade habe warten lassen, aber das war unumgänglich.“

      „Keine Ursache.“

      „Haben Sie schon etwas herausgefunden?“

      „Es haben sich erste Ermittlungsansätze ergeben.“

      „Wie schön. Dann berichten Sie mir.“

      „Vielleicht gehen wir dazu ins Haus. Es ist lausig kalt heute.“ Ein falkenhafter Blick. Prüfend. Durchdringend. Gerath zuckte die Schultern. „Wie Sie wollen. Möchten Sie mit mir frühstücken?“

      „Danke, hab schon. Aber ich setze mich gern dazu.“

      „Dann kommen Sie!“

      Peter Gerath führte Berringer in einen Wintergarten, der von einer überwältigenden Vielzahl von Pflanzen erfüllt war. Da außerdem ziemlich stark geheizt wurde, hatte man den Eindruck, sich in einem Dschungel zu befinden. СКАЧАТЬ