Название: Patricia Vanhelsing Sammelband 5 Romane: Sidney Gardner - Übersinnlich
Автор: Alfred Bekker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Триллеры
isbn: 9783745202564
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"Nun, Sie sind ein Künstler."
"Und denen verzeiht man einen exzentrischen Geschmack. Meinen Sie das?"
"Ist es nicht so?"
"Vielleicht haben Sie recht." Radvanyi lächelte. "Worin besteht Ihre Kunst, Miss Vanhelsing?"
"Ich fürchte, da muss ich sie enttäuschen..." Ich blickte an ihm vorbei, schräg über die Tafel und versuchte etwas von dem Gespräch mitzubekommen, das Tom in der Zwischenzeit mit Lady Mary führte.
"Ich bin so froh, dass du hier bist, Tom!" Marys zunächst etwas verhärtete Gesichtszüge wurden weicher. Ein Lächeln umspielte ihre schmalen, farblosen Lippen. Ein Hauch von Melancholie spiegelte sich in ihren Augen. "Du wirst mit der Zeit erkennen, dass du derselbe geblieben bist - auch über den Abgrund des Todes hinweg. Ich habe dich lange gesucht, Tom... Du weißt gar nicht, wie lange."
"Du sprichst von Dingen, die vergangen sind, Mary..."
"Meine Gefühle für dich sind Gegenwart, Tom! Die Leidenschaft, die nie aufgehört hat, in mir wie ein heißes Feuer zu brennen..."
"Für mich ist es Vergangenheit", beharrte Tom. "Erinnerungen aus einem anderen Leben, nicht mehr. Bilder, die sich mit so vielen anderen zu einer Geschichte anordnen, von der ich manchmal nicht sicher bin, ob es nicht doch ein Fremder war, der sie erlebt hat."
"Du empfindest wirklich nichts mehr für mich?" Sie schüttelte den Kopf. "Das kann nicht sein. Deine Gefühle werden zurückkehren. Du warst einmal Lord Millroy. Warum solltest du es nicht wieder werden?"
"Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Zu viel ist inzwischen geschehen...."
"Oh, doch, man kann dieses Rad, von dem du sprichst, sehr wohl zurückdrehen, Tom!" Ihre Stimme bekam einen schrillen Unterton. In ihren Augen blitzte es wieder unruhig auf. Ihre Hände krampften sich zusammen.
Ich griff mir unwillkürlich an die Schläfen.
Es pochte dort wie wild.
Ich spürte ihre Kraft.
Hoffentlich kann sie sie auch kontrollieren, ging es mir durch den Kopf, während mich Schwindel erfasste. Mir schauderte vor den gewaltigen Energien, über die diese Frau gebieten musste. Sie war sehr stark... Und vermutlich hatten wir von ihrer wahren Macht bislang noch gar keinen wirklichen Begriff.
Wieder herrschte Totenstille am Tisch.
Auch Dostan Radvanyi, der zuvor unaufhörlich auf mich eingeredet hatte, schwieg jetzt. Er saß mit starrem Gesicht da, genau wie die anderen Gäste. Wie Wachsfiguren wirkten sie. Der Blick war tot, die Haut wie Pergament. Kein Augenlid bewegte sich. Kein Atemzug war zu hören.
Es war gespenstisch.
Wie Marionetten! ging es mir schaudernd durch den Kopf. Diese Gäste - sie mussten alle unter Lady Marys Kontrolle stehen. Auf welch geheimnisvolle Weise auch immer sie ihren Einfluss auf sie ausüben mochte...
Tom blickte zu mir.
Ich sah das Entsetzen auch in seinen Augen aufblitzen. Wir saßen an einer Tafel, an der außer uns nur pergamenthäutige, wie wächsern wirkende Leichname platzgenommen hatten.
Innerhalb eines einzigen Augenblick legte sich ein grauer Flaum über ihre Gesichter, Schultern und Hände. Spinnweben.
So als ob diese Gestalten seit vielen Jahren nichts anderes getan hatten, als hier zu sitzen und langsam zu mumifizieren.
"An diesem Ort", so durchschnitt dann Lady Marys Stimme scharf die unheimliche Stille, "geschieht all das, was ich will! Meine Kräfte sind gewaltig und es gibt nichts, was ihnen widerstehen könnte! Selbst die Zeit nicht... Begreifst du nun, Tom? Nichts ist hier unmöglich, wenn ich es will!"
*
EIN TEUFLISCHES LÄCHELN glitt über Lady Marys Lippen. Ihr anschließendes Gelächter war schrill und schauderhaft.
"Auf Delancie Castle bin ich die absolute Herrin über Leben und Tod, Raum und Zeit..." Die deutete mit der Hand über die erstarrten Toten an der Tafel. "Sie alle sind nichts weiter, als meine Marionetten."
"Und Willard?", fragte ich. "Was ist mit Ihrem Bruder, Lady Mary?"
In ihren Augen flackerte es unruhig.
Es schien ihr nicht zu gefallen, auf ihren Bruder angesprochen zu werden. Sie schluckte. Ihre Augen wurden schmal, als sie Tom ansah. "Du hast Miss Vanhelsing alles erzählt, nicht wahr? Die ganze Geschichte..."
"Das ist wahr."
"Ich verstehe nicht, wie du so kühl und abweisend sein kannst."
"Das bin ich nicht", erwiderte Tom. "Aber ich bin auch nicht mehr der, dessen Vorstellung du dir in deiner Erinnerung bewahrt hast. So leid es mir tut. Lord Millroy existiert nicht mehr..."
"Geschwätz!", zischte sie.
"Was ist mit Willard?", hakte Tom dann nach. Lady Mary schien bei der erneuten Nennung dieses Namens geradezu zusammenzuzucken. "Wir haben ihn gesehen. Er kam bis zum Portal geritten und schleuderte eine Galgenschlinge auf die Stufen. Und er rief nach dir, Mary...."
"Nein", flüsterte sie.
"Ihn hast du nicht unter Kontrolle, nicht wahr?" Es war eine Feststellung, keine Frage, was in diesem Moment über Toms Lippen kam.
Lady Mary sprang auf. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Ihr Gesicht wirkte angespannt und verzog sich zu einer Grimasse. "Ich bin die Herrin von Delancie Castle!", schrie sie. "Ich! Ich! Und jeder, der es wagt, das anzuzweifeln, dem wird es schlecht ergehen!" Wir erhoben uns ebenfalls. Tom umrundete den Tisch und trat neben mich.
Ich versuchte, die Toten, die in ihrer gespenstischen Starre an der Tafel saßen, nicht anzusehen. Es war ein schauderhafter Anblick. Ich glaubte zu bemerken, dass die feine Schicht von Spinnweben, die sie überzog, noch zunahm. Langsam wurde sie zu einem dicken, grauweißen Film, der die Gäste jetzt wie monströse, nicht menschliche Wesen aussehen ließ.
Von irgendwoher blies ein eisiger Wind.
Er schien aus dem Nichts zu kommen, denn Fenster und Türen waren geschlossen.
Ich zitterte.
Meine Hand griff nach Toms Arm.
"Wo sind wir?", fragte ich. "Im Reich der Toten?"
"Nein, nicht ganz...", erwiderte Lady Mary mit einer Stimme, die an klirrende Eiswürfel erinnerte. "Meine Seele fand keine Ruhe, nachdem man mich dem Henker überantwortet und hingerichtet hatte. Ich habe immer daran geglaubt, dich wiederzufinden, Tom. Man hat dir damals ein furchtbares Unrecht angetan und ich habe es gerecht..."
"Und deswegen glaubst du, ein Recht dazu zu haben, mich hier gewissermaßen gefangenzunehmen?", erwiderte Tom.
"Habe СКАЧАТЬ