Название: Die Angst reist mit
Автор: Eric Ambler
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Триллеры
isbn: 9783455171013
isbn:
»Ich werde eine Flasche Cognac mitnehmen.«
Kopejkin brummte. »Trotzdem beneide ich Sie nicht um Ihre Reise. Vielleicht werde ich alt. Außerdem, in dieser Jahreszeit zu verreisen …«
»Och, ich bin ein geübter Reisender. Ich langweile mich nicht so schnell.«
»Ich habe nicht an Langeweile gedacht. In Kriegszeiten können viele unangenehme Dinge passieren.«
»Sicher.«
Kopejkin knöpfte sich den Mantelkragen zu. »Um Ihnen nur ein Beispiel zu geben … Während des letzten Krieges fuhr ein österreichischer Freund von mir, der in Zürich geschäftlich zu tun gehabt hatte, nach Berlin zurück. In seinem Abteil saß ein Mann, der sich als Schweizer aus Lugano ausgab. Während der Fahrt kamen die beiden ins Gespräch. Der Schweizer erzählte von seiner Frau und seinen Kindern, von der Firma und seinem Zuhause. Er schien ganz sympathisch zu sein. Kurz hinter der Grenze hielt der Zug an einem kleinen Bahnhof, Soldaten und Polizisten stiegen ein und verhafteten den Schweizer. Mein Freund musste ebenfalls aussteigen, da er im selben Abteil saß. Er hatte keine Angst. Er war ein guter Österreicher, und seine Papiere waren in Ordnung. Doch der Mann aus Lugano war sehr erregt. Er wurde bleich und schrie wie ein Kind. Später erfuhr mein Freund, dass der Mann kein Schweizer war, sondern ein italienischer Spion, und dass er erschossen wurde. Meine Frau war ganz schockiert. Wissen Sie, man spürt immer, wenn jemand über etwas redet, was ihm lieb ist, und dieser Mann hatte zweifellos die Wahrheit über seine Frau und seine Kinder gesagt. Es stimmte alles, bis auf einen Punkt: Sie lebten nicht in der Schweiz, sondern in Italien. Krieg«, sagte Kopejkin pathetisch, »ist etwas Hässliches.«
»Richtig.« Sie hatten das Hotel Adler Palace erreicht. »Kommen Sie noch auf ein Glas herein?«
Kopejkin schüttelte den Kopf. »Netter Vorschlag von Ihnen, aber ich muss schlafen gehen. Ich fühle mich jetzt schuldig, weil ich so lange mit Ihnen aus war. Unser gemeinsamer Abend hat mir aber Spaß gemacht.«
»Mir auch. Ich danke Ihnen.«
»Es war mir ein Vergnügen. Wir brauchen uns jetzt noch nicht zu verabschieden. Ich bringe Sie morgen Vormittag zum Zug. Könnten Sie um zehn Uhr fertig sein?«
»Gewiss.«
»Also dann, gute Nacht, mein Freund.«
»Gute Nacht, Kopejkin.«
Graham ging hinein, ließ sich an der Rezeption seinen Schlüssel geben und bat den Nachtportier, ihn um acht Uhr zu wecken. Und da nachts kein Lift fuhr, stieg er müde die Treppe hinauf bis in den zweiten Stock.
Sein Zimmer lag am Ende des Flurs. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um, öffnete die Tür und tastete mit der rechten Hand nach dem Lichtschalter an der Wand.
Im nächsten Moment zuckte ein Blitz durch das Dunkel, und es gab einen ohrenbetäubenden Knall. Ein Stück Putz von der Wand neben ihm traf seine Wange. Ehe er sich rühren oder auch nur denken konnte, blitzte und krachte es erneut, und ihm war, als würde ein Stück weiß glühendes Metall an seinen Handrücken gedrückt. Er schrie vor Schmerz und wankte nach vorn, aus dem Licht des Flurs in das Dunkel seines Zimmers. Abermals ging ein Schuss los, und ein Stück Putz fiel zu Boden.
Dann war Stille. Zusammengekauert lehnte er an der Wand neben dem Bett, seine Ohren sangen vom Krach der Detonationen. Er sah undeutlich, dass das Fenster offen stand und sich jemand dort bewegte. Seine Hand schien wie taub, aber zwischen den Fingern spürte er Blut.
Er rührte sich nicht. Sein Schädel dröhnte. Pulverdampf lag in der Luft. Und als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er, dass die Gestalt am Fenster verschwunden war.
Er wusste, dass neben seinem Bett noch ein zweiter Lichtschalter war. Mit der linken Hand tastete er sich an der Wand entlang. Dann berührte er das Telefon. Ohne recht zu wissen, was er tat, nahm er den Hörer.
Er hörte ein Klicken, sobald der Nachtportier die Verbindung hergestellt hatte.
»Zimmer sechsunddreißig«, sagte er und registrierte überrascht, dass er brüllte. »Es ist etwas passiert. Ich brauche Hilfe.«
Er legte den Hörer auf, stolperte ins Badezimmer und machte dort Licht. Aus einer großen Schramme quer auf dem Handrücken floss Blut. Durch die Wellen von Übelkeit, die ihn erfassten, hörte er Türengeräusche und aufgeregte Stimmen im Korridor. Jemand hämmerte an seine Zimmertür.
2
Die Schauerleute waren mit dem Verladen fertig und machten die Luken dicht. Eine Winsch arbeitete noch, hievte aber nur die Ladebäume in Position. Wenn sie einrasteten, vibrierte jedes Mal die Kabinenwand, an der Graham lehnte. Ein weiterer Passagier war an Bord gekommen und vom Steward zu einer Kabine weiter hinten geführt worden. Der Mann hatte den Steward mit einer leisen, brummigen Stimme und in stockendem Italienisch angesprochen.
Graham stand auf und suchte mit der unversehrten Hand in seiner Tasche nach einer Zigarette. Langsam wurde es ihm etwas eng in seiner Kabine. Er sah auf seine Uhr. Das Schiff würde erst in einer Stunde ablegen. Er wünschte, er hätte Kopejkin gebeten, mit an Bord zu kommen. Er versuchte, an seine Frau zu denken, sich vorzustellen, wie sie in England mit Freunden beim Tee saß, doch ihm war, als hielte jemand ein Stereoskop vor sein inneres Auge, jemand, der unablässig Bilder zwischen ihn und sein Leben schob, um ihn davon zu trennen, Bilder von Kopejkin und Le Jockey Cabaret, von Maria und dem Mann im zerknitterten Anzug, von Josette und ihrem Partner, von zuckenden Blitzen in einem Meer von Dunkelheit und von bleichen, erschrockenen Gesichtern im Hotelkorridor. Da wusste er noch nicht, was er jetzt wusste, was er in der kalten, scheußlichen Morgendämmerung erfahren hatte. Die ganze Sache war ihm erst anders erschienen: unangenehm, eindeutig unangenehm, aber doch plausibel, erklärbar. Er fühlte sich wie einer, dem man gerade mitgeteilt hat, dass er an einer tödlichen Krankheit leidet, und ihm war, als gehörte er in eine andere Welt, von der er nur wusste, dass sie abscheulich war.
Die Hand, die das Streichholz an die Zigarette hielt, zitterte. »Ich muss schlafen«, dachte er.
Die Übelkeit legte sich. Frierend stand er in seinem Badezimmer. Durch die Watte, in die sein Kopf eingepackt zu sein schien, drangen wieder Geräusche. Von weit her glaubte er ein unregelmäßiges Pochen zu hören. Da wurde ihm klar, dass noch immer an seine Zimmertür geklopft wurde.
Er wickelte sich ein Handtuch um die Hand, ging in das Zimmer zurück und machte Licht. In dem Moment hörte das Klopfen auf, und es erklang ein metallisches Geräusch. Jemand benutzte einen Hauptschlüssel. Die Tür flog auf.
Als Erster kam der Nachtportier herein und schaute sich unsicher um. Hinter ihm im Flur standen die Leute aus den benachbarten Zimmern, ängstlich zurückweichend, um nicht zu sehen, was sie zu sehen hofften. Ein kleiner dunkler Mann in einem roten Morgenmantel über einem blau gestreiften Schlafanzug drängte sich am Nachtportier vorbei. Graham erkannte den Mann wieder, der ihn zu seinem Zimmer geführt hatte.
»Es sind Schüsse gefallen«, hob der Angestellte auf Französisch an. Dann sah er Grahams Hand und wurde blass. »Ich … Sie sind verwundet. Sie sind …«
Graham setzte sich auf das Bett. »Es ist nicht schlimm. Wenn Sie einen Arzt rufen, der meine СКАЧАТЬ