Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten. A. F. Morland
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СКАЧАТЬ vielen Freunden und Freundinnen, ohne erklärte Feinde. Ob jemand ein Motiv hatte, sich an ihren Eltern zu rächen, blieb ungeklärt, und von einer großen überwältigenden Liebe, die alle Dummheiten erklären würde, war nichts bekannt. Tante Rike formulierte das so: „Meike interessiert sich mehr für vierbeinige Pferde als für zweibeinige Esel.“ Für den Millionär Elmar Stumm war das Hauptproblem gewesen, in so kurzer Zeit so viel Bargeld in der vorgeschriebenen Stückelung aufzutreiben. Nach Wochen intensiver Recherche blieb ein bis dahin unbekanntes Verbrechen die logischste Erklärung, und als sich Liane Stumm nicht länger gegen diese Erklärung sträuben konnte, hatte sie einen Selbstmord versucht. Lene Schelm hatte sie gerade noch rechtzeitig gefunden.

      Liane Stumm kam an die Haustür, als Lene klingelte, weinte und umarmte die Kommissarin.

      „Schön, dass Sie gekommen sind.“

      Lene Schelm hatte die lebende Meike Stumm nie gesehen, was die Mutter natürlich wusste. „Wo ist sie, Frau Stumm?“

      „Hier bin ich“, sagte eine helle Frauenstimme. Die junge Frau Ende zwanzig kam an die Haustür; sie hatte geduscht und trug noch immer einen hellen Bademantel und ein zu einem Turban gebundenes Handtuch über den feuchten Haaren.

      Lene gab ihr die Hand: „Guten Tag, Sie sind also Meike Stumm. Ich heiße Lene Schelm. Und habe Sie vor vierzehn Jahren lange erfolglos gesucht.“

      „Und ich bin Vera Stumm“, piepste das kleine Mädchen, das sich an die Beine der Mutter klammerte, aber furchtlos die fremde Frau musterte. „Und wer bist du?“

      „Entschuldigung, Vera“, sagte Lene zerknirscht. „Ich heiße Lene Schelm und kenne deine Oma schon seit vielen Jahren.“

      „Kommen Sie doch herein. Wir haben frischen Kaffee gekochte.“ Meike fischte in der Diele aus einem Häufchen getragener Kleidung einen Rucksack hervor und holte aus einer der aufgesetzten Taschen einen Personalausweis heraus, den sie Lene in die Hand drückte.

      „Meike Stumm.“

      „Danke. Den bringen Sie morgen bitte ins Präsidium mit und dazu alle Urkunden und Dokumente zu Ihrer Person und zu Vera.“

      „Glauben Sie mir nicht, dass ich Lianes Tochter bin?“

      „Ich möchte Sie auf keinen Fall beleidigen, aber Urkunden wie Perso und EC-Karten kann man finden oder klauen oder von gewerbsmäßigen Dieben beschaffen lassen.“

      „Sie sind Polizistin, stimmt’s?“

      „Ja.“

      „Ewiges Misstrauen als Voraussetzung für den Beruf?“

      „So ähnlich, ja. Lassen Sie sich mal von Liane Stumm erzählen, was wir vor vierzehn Jahren alles unternommen haben, um Sie zu finden. Außerdem sind Sie seit Jahren amtlich tot, und wir müssen Sie amtlich wieder zum Leben erwecken. Es gibt also noch eine Menge zu tun.“

      Danach erstarb die Unterhaltung. Der Kaffee im Hause Stumm war wie früher von erlesener Stärke, Vera trank Milch, als würde sie vom Bauernverband für die Ankurbelung der darniederliegenden Milchviehwirtschaft bezahlt. Alle warteten wortlos darauf, dass sich vielleicht Meikes Großvater Elmar Stumm noch melden würde. Als Elmar Stumm erschien, winkte er seiner Enkelin nur zu; „Hei, Meike.“

      Sie antwortete genau so lässig: „Hallo. Opa.“

      Für seine Schwiegertochter Liane hatte er nicht einmal ein „Guten Tag übrig“, aber für die Besucherin Lene Schelm, die gerade gehen wollte, hatte er etwas parat: „Na, zufrieden?“

      „Worüber sollte ich zufrieden sein?“

      „Dass Sie und meine Schwiegertochter recht behalten haben, Meike lebt noch. Merkwürdig, dass Sie meine Enkelin damals nicht gefunden haben.“

      In seinen Worten schwang ein Unterton mit, der Lene daran erinnerte, dass sie damals schon gedacht hatte, Elmar Stumm und seine Enkelin Meike verstünden sich so wenig wie – nach Aussagen vieler Zeugen – Alexander Stumm mit seiner Tochter Meike und seiner Frau Liane. Elmar Stumm und Marlene Schelm würden auch jetzt keine Freunde mehr werden. Seine inzwischen verstorbene Tochter Ulrike schien es geahnt zu haben; sie war um Klassen freundlicher und angenehmer zu ertragen als ihr Bruder Alexander. Warum diese kluge, hilfsbereite und bis ins hohe Alter schöne Frau ledig und ohne festen Freund geblieben war, begriff Lene bis heute nicht.

      Also stand sie auf: „Okay, dann lasse ich Sie jetzt mal alleine. Meike, wir sehen uns morgen Vormittag im Präsidium. Denken Sie bitte an Ausweise und Dokumente! Tschüss Vera und schlaf’ gut.“

      „Tschüss, Tante Lene.“

      Donnerwetter, die Kleine hatte ja ein bombiges Gedächtnis. Uropa Elmar hatte sie nicht weiter beachtet. Ein Egozentriker und Narziss wie er wurde von einer Enkelin ja nur gestört, erst recht, wenn sie einmal im Mittelpunkt stand. Lene überlegte auf der Fahrt, wie schlecht das Verhältnis Elmar Stumm zu seiner Schwiegertochter Liane sein musste, wenn er für sie kein Wort der Begrüßung oder Freude über die unerwartete Rückkehr einer Totgeglaubten hatte. Familienbande sind eben auch eine solche, wie schon Karl Kraus gefunden hatte.

      Kommissar Ingo Baratsch war seit vielen Jahren der erste Mann im R – 11, (Gewaltsamer Tod und Entführung). Lene hätte gerne wieder eine junge Frau in ihr Team geholt, doch Kriminalrat Karl Dembach, Leiter der Abteilung Eins (Gewaltkriminalität) im Tellheimer Präsidium, hatte auf einen Mann „fürs Grobe und die Prügeleien“ bestanden, was Lene Schelm ihm lange Zeit verargt hatte. Dabei wurde sie angenehm enttäuscht. Nach Dembachs Worten hatte sie sich einen jungen, hitzigen Raufbold vorgestellt, der schneller schießen als denken konnte. Doch Ingo Baratsch entpuppte sich als ein muskulöser und gut durchtrainierter, zuverlässiger Kollege der eher bedächtigen Art und als loyaler Mitarbeiter, der seine eigenwillige und oft launenhafte und manchmal sogar boshafte Chefin gutmütig ertrug, auch wenn sie ihn gelegentlich wie einen grünen Anfänger behandelte. Baratsch war an die zwanzig Jahre jünger als Marlene Schelm, die er an sich bewunderte. So richtig warm waren sie bisher miteinander nicht geworden; sie redete ihn mit „Baratsch“ an; er sagte „Frau Schelm“ oder auch mal „Chefin“ und wenn er Trost im oft grauen Berufs-Alltag suchte, war er bei ihrer jüngsten Kommissarsanwärterin Mia Hollweg fündig geworden, die wie ein süßes unbedarftes Püppchen aussah, aber Leininger Landesmeister im Judo war, sehr gut schoss und eine steile sportliche Karriere im Polizei-Fechtclub begonnen hatte. Zudem besaß sie eine große Klappe und ließ sich nichts gefallen, was Ingo schon hatte lernen müssen.

      „Na, Chefin, wie war Ihr Tag? Viel Ärger?“

      „Jein, Mia. Ich habe ein echtes Wunder erlebt.“

      „Einen ehrlichen Betrüger? Lassen Sie mal hören!“

      „Nein, eine seit Jahren amtlich tote Frau ist heute mit einer kleinen Tochter an der Hand wieder in ihrem Elternhaus erschienen.“

      „Toll! Wie wär’s mit einigen Einzelheiten, Frau Schelm?“

      „Die müssen Sie sich selber besorgen, die stehen alle in der Akte Meike Stumm und diese Akte schlummert schon im Archiv. Mia, Sie müssen die Akte ohnehin weiterführen. Lesen Sie also gründlich und vertrauen Sie einer geübten Aktenleserin: Rotwein, mäßig genossen, beflügelt das Verständnis.“

      „In Maßen genossen?“

      „Natürlich. Sagt Ihnen der Name Theophrastus Bombastus von Hohenheim etwas?“

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