Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten. A. F. Morland
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      Lene stieg in die Akten, sie hatten vor vierzehn Jahren Erwin Grote befragt, weil er einer von Meikes Großvätern war. Er wusste damals von nichts, bestritt später auch entschieden, an der Lösegeldsammlung für Meike beteiligt gewesen zu sein, Lene hielt ihn für einen Lügner, aber er war höflicher als Elmar Stumm. Und danach war ihr Grote „beruflich“ nicht mehr über den Weg gelaufen.

      Lene rief ihn an und kündigte an, dass sie über Mittag bei ihm in der Karanderstraße vorbeikommen werde, was ihm hörbar nicht gefiel, was er aber schlecht verweigern konnte.

      Uwe Sobiok machte es kurz: „Ja, ich hatte einmal ein Wochenendhaus am Lantener See. Ja, die alten Schlüssel habe ich noch, ich hinterlege sie bei meiner Sekretärin, und Sie entschuldigen mich, ich habe für heute eine – wenn Sie so wollen – Vorladung ins Finanzamt bekommen und das kann dauern. Und teuer werden, wenn man sie nicht beachtet.“

      Lene suchte ihr kleines Besuchswerkzeug zusammen und nahm Ingo Baratsch mit.

      Die Schlüssel lagen bereit, die Vorzimmerfee sah gut aus und duftete gut, strahlte allerdings eine gewisse Überheblichkeit aus. Der Lantener See gehörte als eine Art Exklave zum Tellheimer Stadtgebiet. Er wurde von vielen kleinen Zuflüssen aus den Hügeln und Erhebungen am Ostrand des Grabenbruches gespeist und war bis weit in den Hochsommer lausig kalt, kein Seeschwimmen und wer als Segler über Bord fiel oder kenterte, tat gut daran, einen Neoprenanzug zu tragen

      Warum der Abfluss aus dem See Lonse hieß und nicht Lante, erschloss sich einem aus Baden-Württemberg zugewanderten Menschen wie Lene Schelm auch nach Jahrzehnten noch nicht.

      Den Röhrichtdamm zu finden und daran das Wochenendhaus Uwe, war nicht schwer. Aber mit dem kleinen Besuchsbesteck kamen sie nicht weit. Haus Uwe hatte unerwünschten Besuch gehabt, den viele Hausbesitzer fürchteten, Obdachlose und Vandalen, die die Tür aufgebrochen und die kalte Jahreszeit hier drin verbracht hatten, häufig war zum Abschied als „Dankeschön“ drinnen alles verwüstet worden. Ob die Bewohner von Haus Uwe wiederkommen wollten? Das Schloss der Haustür war aufgebrochen, aber die Haustür später mit Riegel und Vorhängeschloss gesichert worden; Lene und Baratsch schufteten gemeinsam eine halbe Stunde, bis sie alle Schrauben aus dem Holz gedreht oder gebrochen hatten; drinnen sah es aus, als ob hier über Monate eine Horde Schweine gehaust hätte, es gab kein Fleckchen sauberen Boden mehr, schmutziges Geschirr war zu waghalsigen Stapeln aufgetürmt, und weil der Strom wohl schon vor Monaten abgestellt worden war, hatten die Vandalen im Wohnzimmer auf dem Boden gegrillt. Der hilfsbereite Baratsch brachte erst einmal die Steine nach draußen, um nicht dauernd über diese rußschwarzen Hindernisse zu stolpern. Lene sah sich lange um und resignierte. In diesem Chaos hier etwas zu finden, was Meike vor Jahren zurückgelassen hatte, war wohl schlicht zu blauäugig gewesen.

      Der Meinung war Baratsch auch, aber er hatte eine Idee: „Frau Schelm, schauen Sie sich doch einmal diesen Kitsch an.“

      Ein röhrender Hirsch stand bei Sonnenuntergang in Imponierstellung vor einem Waldstück. Kleine weiße Atemwölkchen umhüllten seine vierzehn oder sechzehn Geweihspitzen.

      „So was Kitschiges vergisst man doch nicht!“

      „Großartig, Baratsch, nehmen Sie den Prachtschinken mit.“

      „Und wohin fahren wir jetzt?“

      „Ins Quellenviertel. In den Landersweg.“

      Die Haustür von Nummer 11 öffnete ein junger Mann in Badehosen mit einem Frotteelaken in der Hand, das er vor Staunen fallen ließ. „Was machen sie denn hier, Frau Schelm?“

      „Ich schnüffele Ihnen nach, Kollege Heilmann. Um diese Zeit sollten Sie doch schon lange im Büro sein.“

      Eine Frauenstimme entschuldigte ihn: „Wir haben verschlafen, Frau Schelm.“ Meike Stumm sah nicht so aus, als habe sie lange geschlafen, ihr dünnes Outfit legte den Verdacht nahe, dass sie und Tom hellwach gewesen waren. „Darf ich Ihnen meinen Kollegen Ingo Baratsch vorstellen? Er hat Ihnen, Meike, zur Erinnerung etwas mitgebracht.“

      Baratsch hielt den röhrenden Hirschen hoch, sodass Meike ihn gut sehen konnte. Ein Blick genügte, und ihr Gesicht verriet, dass sie das Bild wiedererkannt hatte. Meike seufzte und Lene sagte fast mütterlich besorgt. „Wollen wir uns nicht setzen und Sie ziehen sich etwas über und bieten mir und meinem Kollegen einen Kaffee an – bleiben Sie ruhig, Kollege Heilmann, es geht Sie auch an. Außer Kaffee hätten wir auch bitte eine von Vera gebrauchte Zahnbürste. Wo ist Vera übrigens?

      „Meine Mutter hat sie über Nacht zu ihrem neuen Liebhaber mitgenommen.“

      Lene riskierte einen Schuss ins Dunkle: „Neuer? Sie kennt Markus Demel doch schon seit Ewigkeiten. Um festzustellen, wie gut, brauchten wir von Ihnen etwas Spucke auf dieses saubere Tempotuch. Den Rest holen wir uns nachher von Demel, wenn Sie ausführlich gebeichtet haben. Das vor vierzehn Jahren war keine Entführung?“

      „Nein. Mein Vater Alexander hatte mich in der Nacht wieder so überfallen, dass ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich bin zu Liane gelaufen, aber die lag nicht alleine in ihrem Bett.“

      „Sondern mit Markus Demel?“

      „Ja, natürlich. Vorgestern hat sie mir gestanden, dass sie vor Jahren vor Alexander Stumm mit Markus Demel befreundet gewesen war. Sie habe es nicht sicher gewusst, aber manchmal schon befürchtet, dass sie von Markus schwanger war, als sie mit Alexander zum Standesamt ging. Vor vierzehn Jahren wollte ich nur weg, wusste aber nicht, wohin. Tante Rike machte eine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer und ich erinnerte mich, dass mir Uwe Sobiok Hilfe versprochen hatte, also habe ich ihn angerufen und er hat nach einer Viertelstunde zurückgerufen, er persönlich habe keine Zeit, aber er habe mit seinem Bruder Malte telefoniert und der würde mich nach dem Reiten am Lonsesteg erwarten und in ein sicheres Versteck bringen. Dort könnten wir dann weitersehen.“

      „In dem Wochenendhaus am Lantener See wartete dann Sylvia Köhler auf Sie beide?“

      „Ja. Was gar nicht nötig war. Ich hatte keine Angst vor Malte, im Gegenteil.“ Weil sich Tom Heilmann etwas anzüglich räusperte, wurde sie zart-rot. „Am Ende der ersten Woche verschwand Sylvia dann. Malte hat zuerst uns, dann mich versorgt und auf meine Bitte hin bei Tante Rike angerufen. Sie war zurück und hat Malte gesagt, ihr Bruder Alexander sei in der Nähe von Burg Falkenweide ermordet worden.“

      Lene erinnerte sich: Eines dieser Lecks im Präsidium, von denen am meisten der Morgenblick profitierte. Wahrscheinlich zahlte er am besten. Für Lene und die Kripo war am gemeinsten , dass der Morgenblick der sachlichen Meldung, man habe bei Falkenweide die Leiche von Alexander St. gefunden, den Satz hinzugefügt hatte: „Seitdem ist die Tochter Meike St. verschwunden“, was schon rein zeitlich falsch war. Aber Spekulationen wachrief.

      So entstanden Blutrachen. Lene verschob ihren Ratschlag an Meike, jetzt einmal über Rufschädigung und Schadensersatz nachzudenken: „Und als diese Sylvia das Weite gesucht hatte, sind Sie fröhlich zu Malte Sobiok ins Bett gestiegen?“

      „Ja, nicht sofort, aber bald.“

      Sie war keine Frau, die allein leben konnte. Wahrscheinlich auch nie gewesen.

      „Eine dumme Frage: Wovon haben Sie und Malte eigentlich gelebt?“

      „Malte hat doch für seinen Bruder Uwe gearbeitet und ist von ihm bezahlt worden.“

      „Wusste Malte zu der Zeit, dass seinem Bruder der Bienenkorb zum Teil gehörte?“

      „Ja. СКАЧАТЬ