Название: Tote Biber schlafen nicht
Автор: Olaf Müller
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783839266243
isbn:
Iska und ihr Team mussten die Einsatzhundertschaft aus Aachen unterstützen, wenn die gewalttätigen Umweltterroristen mit ihren verklebten Fingerkuppen auf die Polizei losstürmten. Die Rädelsführer wurden identifiziert und von ihrem SEK-Team festgenommen. Meist nur für kurze Zeit. Sie zweifelte am Rechtsstaat, an seiner Wehrhaftigkeit. Immer mehr Frust baute sich auf und schwappte in ihre Beziehung zu Michael Fett, der in Aachen Mordfälle aufklärte. Fett beruhigte mit seinem Interesse an Literatur, Film und Theater, seinen manchmal irritierenden Ansichten zum Lauf der Zeit. Immer wieder kamen ihnen die Einsätze dazwischen. Nicht viele Polizistinnen leiteten in Nordrhein-Westfalen ein Spezialeinsatzkommando. Sie spürte den Druck. Er beflügelte sie. Sie war ein Vorbild für viele andere SEK-Leiter und hielt Vorträge an der Führungsakademie. Fett kam abhanden. Sie sahen sich kaum noch. Jetzt lief Iska den Rhein entlang. Acht Kilometer, wie jeden Tag.
Kriminalhauptkommissar Michael Fett, Ende 50, kleiner Bauchansatz, volles dunkelbraunes Haar, blaue Augen, zumeist in Jeans und Lederjacke, zog sich mehr und mehr zurück. Seine Liebe zu Iska dämmerte dahin. Wenn man nichts zusammen unternimmt, nur noch über SMS und App kommuniziert, dann wird das Zusammensein steril. Sein Beziehungschaos der letzten Jahre setzte er fort. Statt Stetigkeit wieder nur hin und her. Wollte er das so? War er zufrieden mit seinem Leben? Er, das Einzelkind, der seine Wünsche nur sehr spät äußerte, gerne charmierte, flirtete und doch Angst vor Nähe hatte. Er wischte seine Selbstreflexionen beiseite. Spaghetti Bolo, der Krimi »Matto regiert« von Glauser und danach »Aspekte« im ZDF. Sein Abendprogramm stand. Oder doch ein rascher Kontrollgang durch die Innenstadt? Besuch bei seinen griechischen Freunden. Es regnete ununterbrochen. Fett blieb zu Hause. Das Fernsehen ödete ihn an, Zwangsabgabe für niveaulose Berieselung. Früher, ja früher war alles besser. Er lachte über sich und seine Gedanken. Dachte an Werner Herzog und Fassbinder, an das aktuelle Fernsehspiel. Gebannt war er damals von »Aguirre, der Zorn Gottes« und »Berlin Alexanderplatz«. Jetzt: alberne Talkshows mit ewig gleichen Fernsehgesichtern, Dokumentationen mit schnellen Schnitten, blödsinniger Hintergrundmusik, die dem Zuschauer sofort signalisierte, was er fühlen und denken soll. Kein kantiger Scholl-Latour, kein trinkfester Werner Höfer, kein Helmut Lange mit intelligenten Fragen zu »Kennen Sie Kino?«. Stattdessen Kochsendungen rund um die Uhr und irgendwelche Schmonzetten mit Altstars, die nach Gruft oder Wiederbelebung aussahen. Die Selbstfeier der B-Promis auf der Mattscheibe nahm kein Ende. Zum Glück hatte ihm Kollege Schmelzer gezeigt, wie er mit seinem PC in die Mediathek von ARTE und der ARD reinkam. Heute keine Glotze. Keine bewegten Bilder. Und der Facebookscheiß konnte ihm auch gestohlen bleiben. Schmelzer zeigte ihm diese Tierbilder, Aufnahmen vom Frühstück, Mittag- und Abendessen, diese grottenschlechten Kommentare, dieses »Hallo, ich bin in Malle« oder »Hallo, Ihr Lieben, gehe gerade Gassi«. Mit dem Krimi von Glauser machte er es sich auf dem Sofa bequem und tauchte in die Welt dieser mörderischen Irrenanstalt ein. Kurz vor dem Kapitelende fielen ihm die Augen zu. Das Buch sank zu Boden. Auflösung folgt.
Fett träumte, er träumte im Alter immer intensiver. Von den Sommerferien auf dem Bauernhof in Langerwehe. Vom Kuhstall, dem Geruch von Stroh, Mais, Zuckerrüben, Gras, dem frisch gebackenen Kuchen am Freitag aus dem Kohleherd. Der kleine Fett mümmelte den Marmorkuchen, die Erwachsenen kamen mit kotigen Stiefeln in die Küche, wo der Fliegenfänger von der Decke hing. Er fuhr mit dem kleinen roten Massey Ferguson durch die Felder, den Wehebach, mähte Mais und roch das Maschinenfett, den Diesel. Kuhstallmist, frische Milch, Gülle – alles vermischte sich in den Träumen von der Kindheit, vom langen Sommer auf dem Bauernhof. Die Strohballen waren noch rechteckig und konnten von einem Mann geworfen werden. Nicht diese Riesenrollen, die sofort in Plastik eingeschweißt und am nächsten Tag von niederländischen Sattelschleppern abgeholt wurden.
Keine Angst vorm Fliegen
Schnitt. Er flog in seinem Traum. Mit 14 Jahren im Segelflugzeug in Bergstein. »Ka 8 startklar. Brandenbergseil anziehen.« Fett schoss damals in den Himmel, gezogen von der Winde, angetrieben von einem V8-Zylinder-Motor. Herbstflug. Rauschen. Blick auf Obermaubach, den Qualm der Kühltürme in Weisweiler, auf Vossenack, Nideggen, das Tal der Rur. Ruhiges Gleiten. Manchmal ein Lupfer. Thermik. Jetzt scharf links reinhängen. Mitnehmen. Höher, immer höher. Nicht in die Wolken. Verboten. Kein Blindflug in den Wolken. Fett, bis zum 17. Geburtstag immer der kleinste Pilot, glitt auf seinem mit Blei beschwerten Sitzkissen im Traum über die Eifel. »Ka 8, langsam mal runterkommen. Wir machen Schluss.« »Verstanden, komme. Ende.« Schräger Landeanflug, Klappen raus, das Rauschen über dem Kalltal, nachjustieren, Schnauze nach vorne, langsam abfangen. Punktlandung. Die Kameradschaft, das Lachen, Fett und sein Malzbier. Er schlief mit den anderen unter der Tragfläche. Im Sommer, wenn die Maschinen aufgebaut auf dem Platz stehen blieben. Im Kalltal morgens Katzenwäsche. Dann den ganzen Tag an der frischen Luft, am Himmel, im Schleppauto für die Windenseile, im Gras. Eine unbeschwerte Jugend, eine Sommerjugend. Von Ostern bis Anfang Oktober an jedem Wochenende in Bergstein auf dem Segelflugplatz. Der erste Alleinflug. Ohne Vorwarnung kam die Ansage seines geschätzten Fluglehrers. »Du bist so weit. Dreimal hintereinander. Okay für dich?« Selbstverständlich. Dann brach der Schweiß aus. Er war 14. Erster Flug. Uff. Zweiter Flug. Alles ging glatt. Dritter Flug. Sanft setzte er den Doppelsitzer, die gutmütige ASK 13 mit der Werbung für ein Küchenstudio auf die Landebahn. Alle Mitglieder kamen. Er legte sich über die Tragfläche. Dann schlug jeder zu. Auf den Hintern. Ein Ritual. Erleichterung, Glück, riesengroße Freude. Auch sein Freund Norbert war dran. Auch drei Alleinflüge. Was für ein Tag im August 1974. Malzbier, hart gekochte Eier, Stullen und manchmal ein Schweineschnitzel. So verbrachte er die Wochenenden seiner Jugend ab Ostern auf dem Flugplatz. Der Wecker beendete den Traum.
Tod über der Urft
Der Anruf von Schmelzer störte ihn bei Kaffee und Marmeladenschnitte gegen sieben Uhr am Samstagmorgen. Er las gerade einen Artikel über den Contergan-Prozess und war froh, dass einige Journalisten tiefer bohrten.
»Wir müssen nach Vogelsang. An der Victor-Neels-Brücke hängt ein Toter. Die Kollegen aus Euskirchen ertrinken in Arbeit. Wir sollen übernehmen.«
»Euskirchen. Victor Neels? Vogelsang? Warum wir schon wieder?«
»Der Tote kommt aus Aachen. Geschäftsführer der Eifel-All-Inklusive GmbH, kurz EAI, Dr. Wilfried Brauers. Die Euskirchener Kollegen bearbeiten Todesfälle in Zülpich und Mechernich. Zuständigkeit zwischen Polizeipräsidium und Kreispolizeibehörde Euskirchen ist abgestimmt.«
»Super. Holen Sie mich ab. Bin in zehn Minuten fertig mit meinem gigantischen Frühstück.«
Fett legte die Aachener Zeitung beiseite. Noch ein Kaffee. Vogelsang, das bedeutete 45 Minuten Autofahrt.
Aachen schlief noch, als sie vom Templergraben aus losfuhren in Richtung Himmelsleiter. Der Schnee war geräumt, nur noch Fetzen am Straßenrand. Kaum Verkehr.
»Was wissen wir?«
»Ein Jäger namens Vogt überquerte gegen 6.50 Uhr die Victor-Neels-Brücke. Kam von seinem Hochsitz. Zuerst sah er nur das verknotete Seil. Dann schaute er runter. Da pendelte Dr. Brauers über der Urft. Geschossen hat er nichts.«
»Wer?«
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