Название: Tannenruh
Автор: Willi Keller
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783839266007
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»Alban, hörst du mir zu?«
»Ja.«
»Das habe ich alles aufgeschnappt. Ich bin nicht bei der Besprechung gewesen, als Firner und Winker aneinandergeraten sind, sondern bei einer Prüfung.«
»Bei was für einer Prüfung?«
»Super-Recognizer.«
»Super-Recognizer?« Berger konnte es nicht glauben. Er hatte schon öfter von diesen Spezialisten gehört und einiges über sie gelesen, aber nicht viel behalten. Bisher war ihm an Tammy diese seltene Begabung nicht aufgefallen. Aber das hatte nichts zu sagen. »Wie kommst du auf Super-Recognizer?«
»Reiner Zufall. Ich habe gehört, dass auf Landesebene geplant ist, nach dem Beispiel der Münchner Polizei eine Projektgruppe Super-Recognizer aufzustellen. Tja, dann habe ich nachgefragt und mich beworben.«
»Mir ist nur nicht klar, wie du entdeckt hast, dass du für dieses Projekt geeignet sein könntest.«
»Ich habe ein sehr gutes Personengedächtnis und kann Gesichter speichern, um es vorsichtig zu formulieren. Aber so richtig bewusst geworden ist mir das erst jetzt mit dieser Projektgruppe.«
»Hast du ein Training absolvieren müssen?«
»Nein. Trainieren kann man so etwas nicht, ist uns erklärt worden. Aber es gibt Versuchsreihen, Kurz- und Langzeiterinnerungstests, um festzustellen, ob man wirklich diese Begabung besitzt. Ein Psychologe hat uns gesagt, dass nur zwei Prozent der Bevölkerung diese Fähigkeit haben.«
»Und wie läuft so etwas genau ab? Ich meine die Wiedererkennung von Menschen.«
»Also ich hoffe, ich bekomme das noch zusammen, was wir gelernt haben. Das menschliche Gehirn besteht aus Regionen. Bei der Gesichtserkennung arbeiten mehrere Regionen zusammen. Das eigentliche Sehzentrum befindet sich im Hinterhauptlappen. Der Sehnerv im Auge nimmt Informationen auf, das Sehzentrum im Hinterhauptlappen verarbeitet sie und leitet sie an die nachrangigen Sehzentren weiter. Und die wiederum setzen sie so zusammen, dass sich daraus ein dreidimensionales Bild entwickelt. Und mit diesem Bild kannst du vertraute Gesichter wiedererkennen. Selbst aus verschiedenen Blickwinkeln. Besonders wichtig dabei ist der Gyrus fusiformis. Wenn der geschädigt wird, sieht es schlimm aus. Dann kannst du zwar jedes Gesicht als Gesicht erkennen, aber du kannst es nicht mehr dem Menschen X oder Y zuordnen. Und dieser Gyrus fusiformis –«
»Hört sich an wie eine griechische Mahlzeit.«
Tammy ließ sich von Bergers Versuch, witzig zu sein, nicht aus der Ruhe bringen. »… scheint bei Super-Recognizern sehr stark vernetzt zu sein. Aber so ganz genau kennt man die Zusammenhänge noch nicht. Nach den ersten Versuchsreihen haben sie uns erst einmal die Illusion genommen, ein ganz besonderer Menschenschlag zu sein. Wir haben keine übernatürlichen Fähigkeiten. Aber wir sind besser als die Software zur Gesichtserkennung. Das Pech ist, dass unsere Erkenntnisse vor Gericht nicht gelten.«
»Aber euer Beitrag ist entscheidend beim Aufspüren von Verdächtigen.«
»Und genau deshalb will man eine solche Gruppe aufbauen. Die Trefferquote der Münchner Spezialisten ist mit rund 90 Prozent nämlich sehr hoch. Die Erfahrungen in London, dort ist vor zehn Jahren die erste Recognizer-Einheit aufgebaut worden, und in München zeigen, wie effektiv diese Spezialisten sind. Sie können Menschen wiedererkennen, die sie nur ein einziges Mal gesehen haben, zum Beispiel im Vorübergehen. Selbst wenn sich das Aussehen des Betreffenden deutlich verändert hat, können Super-Recognizer ihn nach langen Jahren identifizieren. Sogar spärliche visuelle Informationen wie alte unscharfe Fotos oder Filme und Bilder mit schlechter Auflösung sind kein Hindernis. Nach der Silvesternacht von 2015 hat die Kölner Polizei britische Spezialisten geholt, um übergriffige Täter zu fassen. Und in Hamburg helfen bayerische Recognizer bei der Aufklärung von Straftaten, die während des G20-Gipfels 2017 begangen worden sind. Allerdings: Wenn die Algorithmen für Gesichtserkennung sich weiter verbessern, werden wir wahrscheinlich schnell überflüssig. Dann sind wir nicht mehr weit vom Überwachungsstaat entfernt. Aber so weit ist es noch nicht. Jetzt warte ich die Endausscheidung ab, dann werden wir über unsere Einsätze aufgeklärt. Da bin ich mal gespannt. Möglicherweise werden wir zunächst bei Bundesligaspielen gegen Hooligans eingesetzt.«
»Tammy, ich bin sprachlos!«
»Ich auch, ich kann es noch gar nicht richtig fassen. Ich hätte nie gedacht, dass ich in die Endauswahl komme. Und außerdem: Ich werde wieder studieren. Kriminalpsychologie. Eigentlich ist es ja Rechtspsychologie.«
Warum versetzte ihm das einen Stich? »Gehst du weg?«
»Nein. Das läuft nebenbei, in Heidelberg. Ich pendle hin und her. Das Studium dauert nicht so lange, weil mir die fünf Semester Psychologie angerechnet werden.«
»Und was ist der Grund dafür, dass du doch weitermachst mit Psychologie?«
»Irgendwann habe ich mich gefragt, warum ich das Studium aufgegeben habe.«
Eine Frage, die sich Berger in den letzten Monaten auch gestellt, aber gleich wieder verworfen hatte. Was hätte er mit Germanistik anfangen können?
»Aber die Entscheidung damals war richtig, denn die Polizeiarbeit fesselt mich nach wie vor. Ich will jedoch mehr über Täter und ihre Motive erfahren. Wichtig ist mir auch die Opferforschung. Und die Beziehung zwischen Opfer und Täter.«
»Da kommt ja einiges auf dich zu. Wie sieht es denn in Zukunft mit der Freizeit aus? Du wirst sicher auf vieles verzichten müssen.«
»Am meisten schmerzt mich, dass ich etliche Motorradausflüge streichen muss.«
»Das glaube ich gerne. Aber sag mal, können wir noch mal auf Firner zurückkommen?« Es brannte ihm unter den Nägeln, mehr über Firner zu erfahren. »Nach Winkers Zusammenbruch ist doch davon auszugehen, dass die Nachfolge rascher geklärt wird, als wir denken. Glaubst du, dass Firner Chancen hat?« Firner als Kripochef – diese Vorstellung konnte Berger nicht ertragen.
»Noch steht ja nicht fest, wieso Winker zusammengebrochen ist. Aber ein Warnzeichen ist das allemal. Ich glaube, dass er in den Ruhestand geht. Ob Firner Chancen hat? Sein missglückter Auftritt neulich hat sich rumgesprochen. Ich denke, bis nach ganz oben. Da hat er sich keinen Gefallen getan, auch nicht mit seinen Äußerungen über die Cold-Case-Pläne. Die stammen von Winker und werden vom Polizeipräsidenten voll unterstützt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich Firner als den geborenen Nachfolger von Winker sieht und alles andere ausblendet. Er muss aufpassen, dass ihm nicht einer oder eine von außen vor die Nase gesetzt wird. Von innen hat er wohl keine Konkurrenz zu befürchten. Ich kenne jedenfalls niemanden aus unseren Reihen, der ihm die Nachfolge streitig machen will. Zu seiner Ehrenrettung muss man natürlich sagen, dass er als Soko-Leiter wahnsinnig unter Druck steht. Er ist ohne Zweifel ein sehr guter Kriminalist. Dass die Soko Gifiz keinen Erfolg hat, wird in erster Linie ihm angekreidet. Er und Winker stehen im Blickpunkt der Presse, wenn es um die ChrisTer-Fälle geht. Nicht jeder würde den Druck aushalten.«
Berger kam ein weiterer Gedanke. »Tammy, mir fällt noch etwas ein. Winker hat mir gesagt, dass es im Gifiz-Fall beziehungsweise in den ChrisTer-Fällen etwas Merkwürdiges gebe, über das er mit mir unter vier Augen reden müsse. In dem Augenblick ist er zusammengesackt. Kannst du dir erklären, was er damit gemeint hat? Ich habe bisher СКАЧАТЬ