Название: Die Erleuchtung der Welt
Автор: Johanna von Wild
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783839260142
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Kunibert passierte das Stadttor, hielt wenig später die schnaufenden Ochsen vor dem Waisenhaus an und half den Nonnen beim Aussteigen. Helena blieb auf der Ladefläche stehen und reichte die Weidenkörbe hinunter. Dann kletterte auch sie vom Wagen, trug gemeinsam mit Schwester Katharina die Körbe hinein, während Schwester Innocentia mit Kunibert in Richtung Markt verschwand.
»Schwester Katharina«, wurde die Nonne von einer kleinen Kinderschar freudig begrüßt, als die beiden Frauen erschienen und für einen Augenblick die schweren Körbe absetzten. Sie tätschelte die Köpfe der Kinder, die alle etwa vier bis acht Jahre alt waren.
»Wer bist du denn?«, traute sich ein kleiner Junge zu fragen und zupfte zaghaft an Helenas Habit.
»Ich bin Helena. Und wie heißt du?«
»Siegfried.«
»Mein Bruder heißt auch Siegfried«, lächelte sie und strich ihm über die schmutzige Wange.
Schwester Katharina bedeutete Helena, ihr zu folgen, und nahm einen der Körbe auf. Helena griff sich den zweiten, und der kleine Siegfried trabte neben ihr her und plapperte vor sich hin.
»Die Anna ist ganz krank, und Jacob hat sich heute Morgen das Bein gebrochen.«
»Na, dann ist es ja ein Glück, dass wir nun hier sind«, erwiderte Helena.
Sie betraten den Schlafsaal, in welchem an die zwanzig Strohmatratzen auf dem Boden lagen, und stellten die Körbe ab. Siegfried legte seine schmale Hand in Helenas Linke und zog sie zu einer der Schlafstätten.
»Das ist Anna.«
Helena kniete sich neben die kleine Gestalt, die sie mit fieberglänzenden und geröteten Augen ansah. Als Helena eine Hand auf die Stirn des Kindes legte, hatte sie das Gefühl, sich zu verbrennen. Das dünne Kind glühte förmlich, und auf der Haut zeigte sich ein roter, fleckiger, knotiger Ausschlag.
Schwester Katharina, die hinzugekommen war, zog die Decke zurück, öffnete das Hemdchen der Kleinen. Auch hier waren die Flecken zu sehen, der ganze Körper des Mädchens war übersät. Helena erschrak.
»Zwei meiner Brüder sind vor vier Jahren gestorben. Sie zeigten einen ähnlichen Ausschlag«, raunte sie Schwester Katharina zu.
Statt einer Antwort nickte die Nonne nur, berührte für einen Moment Helenas Hand. Eine mitfühlende und tröstende Geste. Eine untersetzte Frau eilte herbei, eine der Vorsteherinnen des Waisenhauses, das menschenfreundliche Bürger gestiftet hatten.
»Gepriesen sei der Herr für Euer Kommen, Schwester Katharina! Zuerst hatte Anna nur Fieber und diesen bellenden Husten, gestern kamen diese Flecken hinzu. Es geht ihr immer schlechter.«
Die Nonne schob einen Finger zwischen die Lippen des Mädchens, ließ sie den Mund öffnen. Auf der Mundschleimhaut zeigten sich weißliche, teils violette Flecke. Sie hatte diese Zeichen schon mehrfach bei anderen Kindern gesehen und wusste, diese Krankheit, deren Namen sie nicht kannte, konnte gefährlich werden. Vor allem bei solch schwächlichen Kindern wie die kleine Anna eines war. Nicht wenige Kinder verstarben daran. Und oft erkrankten binnen kürzester Zeit weitere Kinder und zeigten die gleichen Anzeichen.
Ein Hustenanfall schüttelte das Mädchen. Als es sein Köpfchen hob und ein Sonnenstrahl sein Gesicht traf, riss es jäh ein Ärmchen hoch, um sich gegen das Licht zu schützen. Auch Lichtscheu gehörte oft zu den Zeichen dieser namenlosen Erkrankung, wusste Schwester Katharina.
»Wir müssen sie in eine dunklere Ecke legen, das Licht tut ihr weh, und sie von den anderen Kindern trennen. Und dann bringt mir Tücher und kaltes Wasser«, forderte sie die Vorsteherin auf. »Helena, du gibst ihr Thymiantinktur zu trinken, dann sieh nach, ob wir Augentrost, Knoblauch und Spitzwegerich mitgenommen haben.«
Helena stand hastig auf und sah die Behältnisse in den Körben durch, während die Nonne das Kind aufhob und in einen anderen Raum brachte, wo es dunkler war.
Die Vorsteherin erschien mit dem Gewünschten und half, das Mädchen in feuchte Tücher zu wickeln, um das Fieber zu senken. Helena hielt Annas Kopf und flößte ihr von der Thymiantinktur ein.
»Augentrost und Knoblauch haben wir dabei«, sagte sie und setzte das Gefäß ab, damit das Kind schlucken konnte, »aber keinen Spitzwegerich.«
»Keinen Spitzwegerich? Wir haben genügend Elixier hergestellt, das kann nicht sein!«, rief Schwester Katharina ungläubig aus.
»Ich befürchte doch. Es ist meine Schuld, ich war so aufgeregt, dass ich mitgehen durfte. Ich muss es vergessen haben«, gestand Helena zerknirscht.
Die Nonne verzog verärgert das Gesicht. »Dann geh den Berg hinab, dort findest du bestimmt jede Menge davon. Beeil dich.«
Die Laienschwester nickte, verließ das Waisenhaus, eilte durch das Stadttor und lief so schnell sie konnte bergab. Die Vorsteherin hatte ihr noch einen Lederbeutel mitgegeben, in welchem Helena das Kraut sammeln konnte. Aufmerksam hielt sie ihren Blick auf den Wegrand geheftet, hob nur ab und an den Kopf, um sich an der herrlichen Landschaft zu erfreuen. Der Fluss glitzerte in der Sonne, und Helena hätte viel darum gegeben, sich ihres Habits entledigen zu können und in das kühle Nass zu springen. Das Wasser war sicher noch warm, denn die Spätsommersonne besaß noch erstaunlich viel Kraft.
Bisher hatte Helena noch keinen Spitzwegerich entdeckt, und ihre Verzweiflung wuchs. Hier am Wegrand würde sie wohl nichts finden, und sie beschloss, den Weg zu verlassen und in der angrenzenden Wiese zu suchen, die von einem Wald gesäumt wurde. Niemand war zu sehen, und sie gestattete sich, den lästigen weißen Schleier abzunehmen und ihn hinter ihren Gürtel zu schieben. Mit gespreizten Fingern fuhr sie sich durch die Haare und genoss den lauen Wind auf ihrem Haupt, während sie stumm Abbitte bei Äbtissin Maria Ignatia leistete.
Es war die richtige Entscheidung gewesen, denn bald sah sie die aufrechten, kräftigen Stängel des Spitzwegerichs mit seiner lang gezogenen Blütenähre zwischen den Gräsern und Blumen herausragen. Helena bückte sich und sammelte so lange, bis der Beutel fast gefüllt war. Während ihrer Arbeit hatte sie sich bis zum Waldrand bewegt. Gerade wollte sie sich auf den Rückweg machen, als ihr ein Schlehenstrauch auffiel, dessen Früchte schon aufgrund des warmen Wetters früher als sonst gereift waren. Die blauen Beeren konnte man zu einem Elixier verarbeiten, das den Körper stärkte. Ein Aufguss aus der Rinde galt als fiebersenkend und appetitanregend. Helena begann die Beeren zu pflücken und schabte mit ihrem Speisemesser die Rinde ab.
Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. Aus dem Dickicht des Waldes brach eine Rotte Wildschweine hervor. Die wenige Monate alten Frischlinge rannten quiekend auf sie zu, gefolgt von der aufgebrachten Bache. Irgendetwas musste die Tiere aufgescheucht haben. Helena raffte ihren Habit mit einer Hand und spurtete los. Wildschweine waren gefährlich, vor allem wenn sie Nachwuchs hatten.
Der Habit hinderte sie daran, größere Schritte zu machen, und sie glaubte schon, den heißen Atem der Bache in ihrem Nacken zu spüren. Das wütende Grunzen gellte in ihren Ohren, und sie hetzte weiter, bis sie den Weg erreichte und warf einen schnellen Blick über die Schulter. Das erzürnte Muttertier hatte СКАЧАТЬ