„Das ist in Ordnung, aber warum kümmern sich die Kollegen vor Ort nicht darum?“
„Es handelt sich um besondere Umstände. Ich werde alles erklären, wenn Sie hier im Büro sind. Wie schnell können Sie hier sein?“
Sie war ein bisschen enttäuscht von sich selbst, Erleichterung darüber zu empfinden, den Abend vorzeitig verlassen zu können – schließlich handelte es sich um eine gültige Ausrede, dem seltsamen Zusammentreffen den Rücken zuzukehren.
„Tatsächlich sogar ziemlich schnell“, sagte sie. „Wir haben gerade automatische Babysitter vor Ort.“
„Sehr gut. Dann in einer halben Stunde?“
„Perfekt“, sagte sie. Sie beendete den Anruf und während sie noch immer ins Esszimmer starrte und versuchte, die Situation zu begreifen, rief sie: „Hey E? Kannst du mal kurz kommen?“
Vielleicht war es ihre Stimme oder die einfache Annahme, dass sie stets lediglich aus Geschäftsgründen angerufen wurden, denn Ellington kam sofort und grinste erwartungsvoll.
„Arbeit?“, fragte er.
„Ja.“
„Prima“, meinte Ellington. „Denn ehrlich gesagt finde ich es ziemlich unheimlich, was hier gerade abgeht.“
„Wem sagst du das!“
Um seinen Punkt zu unterstreichen, kicherten plötzlich beide Mütter im Esszimmer um die Wette und wurden vom hellen Lachen ihres Sohnes begleitet.
KAPITEL VIER
Obwohl es sich seltsam anfühlte, Kevin mit beiden Großmüttern alleine zu lassen, konnte Mackenzie nicht leugnen, dass es ihr warm ums Herz wurde, als sie daran dachte, dass ihre Mutter endlich etwas Zeit mit ihrem Enkelkind verbringen konnte. Ihre einzige Sorge war, dass die sture und eher egoistische Seite ihrer Mutter zum Vorschein kommen könnte. Würde sie ihre Abwehrhaltung einnehmen, wenn klar wurde, dass Kevin und Frances bereits miteinander vertraut waren? Sie war überrascht, dass keiner die Situation mit Sorge zu betrachten schien, als sie sich gemeinsam mit Ellington durch die leeren Flure des FBI Hauptquartiers begab und auf McGraths Büro zusteuerte.
Beim Betreten des Raumes war offensichtlich, dass er kurz davor war, Feierabend zu machen. Er steckte einige Akten in seine Tasche und schien sogar ziemlich gut gelaunt zu sein.
„Danke für Ihre Spontanität“, sagte er.
„Kein Problem“, meinte Ellington. „Sie haben uns damit sogar eine Art Gefallen gemacht.“
„Tatsächlich?“
„Familienzusammenführung“, meinte Mackenzie.
„Also geht es mich nichts an. Dann werde ich die Sache mal auf den Punkt bringen. Wir haben eine tote Frau drüben in Utah. Das FBI wurde dazu gerufen, weil die Frau laut örtlicher Polizei keine Identität hat. Keine Aufzeichnungen, keine Sozialversicherungsnummer, keine Geburtsurkunde, keine bekannte Adresse – nichts.“
„Warum Agenten aus DC schicken, statt die Kollegen vor Ort in Salt Lake City einzuspannen?“, fragte Mackenzie.
„Ich kenne nicht alle Details, aber die Zweigstelle dort scheint ein bisschen in der Klemme zu sitzen. Es gab wohl in der Vergangenheit Probleme mit gewissen geschützten Persönlichkeiten. Die Zweigstelle in Salt Lake City muss deshalb wohl unglaublich vorsichtig sein, wenn es um Ermittlungen in dieser Gegend geht.“
„Das klingt ziemlich ungenau“, meinte Ellington.
„Nun, mehr kann ich gerade nicht anbieten. Es gab einen Interessenskonflikt und vor Gericht wurde dann festgestellt, dass das FBI im Unrecht gewesen war. Also hat Salt Lake City heute hier angerufen, um nach ein paar DC Agenten zu fragen, die dort diskret an dem Fall arbeiten können. Aufgrund der Natur des Mordes scheinen Sie beide die perfekte Wahl zu sein – ich bin mir sicher, dass Sie den Fall problemlos lösen können. Fliegen Sie hin und finden Sie heraus, um wen es sich bei der Frau handelt und wer sie umgebracht hat. Und warum. Dann übergeben Sie die Sache der örtlichen Polizeidienststelle und kommen nach Hause.“
„Und was ist die Natur des Mordes?“, fragte Ellington.
„Ich werde Ihnen die ausführlichen Berichte zuschicken lassen. Aber es scheint, als wäre die junge Frau mitten in der Nacht vor etwas davongerannt. Die Arbeitsthese ist, dass sie dabei von einem Fahrzeug angefahren wurde. Im Anschluss hat man ihr die Kehle durchgeschnitten. Auf ihrem Mund befand sich außerdem ein Stück Klebeband, aber der Gerichtsmediziner denkt, dass das nach ihrem Tod angebracht wurde.“
Mackenzie stimmte ihm zu – der Fall schien wirklich genau das Richtige für sie zu sein. Und sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte.
„Wann sollen wir dort sein?“, fragte Ellington.
„Ich habe Ihnen beiden einen Flug für morgen früh um viertel nach fünf gebucht. Bitte nehmen Sie diesen Flug wahr und sehen Sie sich den Tatort spätestens gegen Mittag an. Ich weiß, dass die Kinderbetreuung in diesem Fall ein Problem darstellen könnte, aber …“
„Ausnahmsweise glaube ich, dass wir das regeln können“, meinte Ellington.
„Warte. Ich weiß nicht, ob …“
„Geht es um die Familienzusammenführung?“, fragte McGrath. Er hatte seine Tasche mittlerweile verschlossen und betrachtete sehnsüchtig die Tür.
„Ja, Sir.“
„Wie gesagt – das geht mich nichts an. Wenn es mit der Kinderbetreuung ein Problem gibt und nur einer von Ihnen fliegen kann, geben Sie mir Bescheid.“
Mit diesen Worten deutete er zur Tür.
„Ich muss was loswerden“, sagte Mackenzie auf dem Rückweg zur Wohnung. „Ich habe mich bei unserem letzten Fall nicht unbedingt damit wohlgefühlt, Kevin bei deiner Mutter zu lassen. Ein paar Stunden hier und da sind kein Problem. Damit komme ich klar. Aber gleich mehrere Tage …“
„Oh, das kann ich nachvollziehen. Aber um ehrlich zu sein, gefällt es mir auch nicht gerade, ihn mehrere Tage lang bei deiner Mutter zu lassen.“
„Oh Gott, nein.“
„Wenn dich die Vorstellung wirklich stört, ihn bei meiner Mutter zu lassen, kann ich den pflichtbewusste Ehemann spielen und hierbleiben. Klingt nach einem einfachen Fall und …“
„Nein. McGrath hat uns tatsächlich beide gebeten, hinzufliegen. Als Team. Noch vor drei Monaten hielt er es für eine schlechte Idee, uns zusammen rauszuschicken, wir müssen also irgendetwas richtig machen. Wenn er uns diese Chance schon gibt, sollten wir sie annehmen.“
„Das sehe ich auch so“, meinte Ellington.
„Also, was tun wir?“
Für einen kurzen Moment schwiegen sie beide, doch dann begann Ellington langsam, zu sprechen. Er sprach vorsichtig, als wolle er sichergehen, dass jedes Wort stimmte – oder dass er tatsächlich meinte, was er von sich gab. „Wie wahrscheinlich ist es, dass beide zur gleichen Zeit hier sind?“, fragte er. „Wirklich, denke mal darüber nach. Die Chancen stehen unheimlich schlecht. Und keiner von uns beiden vertraut ihnen einzeln …“
„Du СКАЧАТЬ