Das Erbe der Macht - Band 24: Schattenkrieg. Andreas Suchanek
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      Eine Flasche Mineralwasser erschien vor Alex‘ Gesicht, gehalten von einer Hand in fingerlosen Lederhandschuhen.

      »Durst?«, fragte Chloe.

      Er nahm die Flasche entgegen, öffnete den Schraubverschluss und trank. »Danke.«

      »Du wirkst wie ein gespannter Bogen«, sagte sie.

      »Ich hasse es, sinnlos herumzusitzen.«

      Das Hotelzimmer war ein schäbiger Raum mit einem Einzelbett und einem Stuhl daneben. Abgesehen von dem Mini-Kühlschrank gab es keinerlei Einrichtungsgegenstände.

      »Lerne zu akzeptieren, was du nicht ändern kannst.« Clara stand am Fenster und schaute hinaus. »Ich habe das auf die harte Tour begriffen.«

      »Deine Zeit als Schattenfrau«, sagte Alex leise.

      »Als es vorbei war, musste ich einfach weg. Fort von all den Blicken, die in mir nur sie gesehen haben. Ich habe mich in verborgene Katakomben begeben, bin alte Wege abgegangen, die sie einst beschritten hatte. Habe Schicksale gekittet, die unter ihr gelitten hatten. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es nie ein Ende nehmen wird.« Sie warf Chloe einen Blick zu. »Komm also gar nicht erst auf die Idee, auf Reisen zu gehen.«

      »Die einzige Reise, die ich antreten will, führt zu Merlin.« Chloes Stimme vibrierte vor unterdrücktem Hass. »Er wird durch meine Hand fallen. Und damit meine ich, dass er von seinem hübschen Thron fällt und stirbt.«

      »Stell dich hinten an.« Alex schwenkte die Wasserflasche sachte. »Kevin hat sich in He-Man verwandelt. Mit seinen neuen Muskeln wird er höchstpersönlich jeden Stein von Iria Kon abreißen, um diesen Pseudo-Gott zu erledigen.«

      Eines musste man Merlin lassen: Er wusste, wie man sich Feinde machte. Alex selbst war bei der Blutnacht nicht dabei gewesen. Während die anderen gekämpft hatten, hatte er Morgana besucht, um endlich die Wahrheit zu erfahren. An manchen Tagen wünschte er sich, noch immer als einfacher Nimag durch die Nacht zu joggen. Ohne das Wissen um die magische Welt, nur beschäftigt mit den typischen Alltagssorgen.

      Sein Blick fiel auf Clara. Er hatte sie als Bücherwurm kennengelernt. Eine schüchterne, intelligente Frau. Heute war sie eine Kriegerin, die eine Jahrhunderte währende Hölle durchlebt hatte.

      Und Chloe …

      Sie hatte noch nicht einmal damit begonnen, zu verarbeiten.

      »Es war so …« Ihre Stimme zitterte. »Ein vollkommenes Glück. Jede Sekunde, jede Minute des Tages war frei von Sorgen. Immerwährende Glückseligkeit. Und das Licht selbst trug einen Namen.«

      »Merlin«, stieß Alex bitter aus.

      »Wir alle waren gleich, die Gemeinschaft hat uns Kraft gegeben. Es gab keine Dunkelheit, jedes Gefühl war rein und klar. Mein Leben lang war da die Schuld über den Tod von Liam, die Angst und Trauer um Jamie. Purer Schmerz, als beständiger Begleiter.«

      Eine Träne löste sich und rann Chloes Wange hinab.

      »Und dann war er einfach fort. In einem Augenblick dachte ich noch, meinen Bruder zu verlieren, im nächsten lebte er glücklich und gesund. Und ich selbst fühlte mich wie in Sonne gebadet.«

      Es tat ihm leid, sie so zu sehen.

      »Aber dieses Glück war nicht nur falsch«, flüsterte sie: »Es hat auch süchtig gemacht. Es einmal zu spüren, bedeutet, es ewig zu vermissen.«

      Chloe verbarg das Gesicht in den Händen. »Und die Welt ist nur noch grau und leer.«

      Clara ging vor ihr in die Knie. »Aber … du wurdest doch aufgeteilt. Wie ich? Oder so ähnlich. In davor und danach.«

      Chloe nahm die Hände von Clara in die ihren. »Aber es ist trotzdem in mir. Ein Echo. Der Hauch des Glücks.«

      »Mein Fluch ist es, die Bilder aller Taten der Schattenfrau im Schlaf zu sehen«, sagte Clara. »Und deiner, auf ewig ein Glück zu spüren, dass du nie wieder erreichen kannst.«

      Sie nahmen sich in die Arme.

      Alex schluchzte auf. »Ihr seid solche Stimmungskiller.«

      Die beiden zogen ihn in eine Umarmung, und da war es wieder: das Gefühl der Freundschaft, das ihn beständig durch jede Krise trug.

      »Jetzt ist es aber gut.« Er schob sie fort. »Gibt es in dieser Minibar Kekse?«

      Clara lachte auf. »Manche Dinge ändern sich nie. Aber ich muss dich enttäuschen, da drin steht nur Wasser.«

      »Wenn wir das alles hier überleben und Merlin nicht die gesamte Welt in eine Kolonie vom Anbeginn verwandelt, besorge ich eine Familienpackung Kekse und wir machen ein Lagerfeuer auf dem Himalaya.«

      Bei dem Gedanken knurrte Alex der Magen. »Das ist ein Deal. Ich hoffe nur, dass dieser elende Ex-König sich beeilt.«

      Chloe verdrehte die Augen. »Zuerst streiten Jen und du in jeder freien Minute, dann verschwindet ihr endlich aufs Zimmer, und jetzt haben wir Artus mit drin. So geht das echt nicht weiter.«

      »Finde ich auch.« Alex nickte eifrig. »Wir sollten ihn in der Wildnis aussetzen. Da kennt sich Mister Ich-kann-alles bestimmt perfekt aus.«

      »Wenn du nicht aufhörst, setzen wir euch beide aus«, stellte Clara klar. »Dann könnt ihr die ganze Zeit streiten. Ohne Unterbrechung.«

      »Pfff.« Alex wedelte mit der Hand. »Ich würde ihm einfach mit einem Wandlungszauber seine Eier …«

      Ein Essenzlicht donnerte lodernd durch das Glas.

      »Ich brauche eure Hilfe, ich werde attackiert!«, erklang die Stimme von Artus.

      Im Hintergrund brüllten Männer und Frauen Angriffszauber.

      Alex sprang auf.

      Das Herumsitzen war vorbei.

      Max bildete die Vorhut.

      Hinter ihm kamen Leonardo und Nikki.

      Jen kam zuletzt. Immer wieder sah sie zurück, aus Angst, die Varye könnten die Barriere durchdringen und in das Höhlensystem einfallen. Doch es blieb alles still.

      Die Höhlenwände waren von einem Film aus Feuchtigkeit bedeckt, der Boden war uneben, überall lag Geröll. Das Vorwärtskommen wurde zu einem vorsichtigen Tasten, jeder Schritt konnte in eine wilde Rutschparty übergehen.

      Über ihnen schwebte ein kobaltblaues Licht, geschaffen von Leonardo. »Also, erzähl.«

      »Es gab einen Jungen in einem Splitterreich. Die Bewohner feindeten ihn an, weil er anders war. Letztlich führte das zu einem Brand, bei dem er erblindete.« Der Gedanke an das, was Jen im Mentiglobus verfolgt hatte, schmerzte sie. »An dieser Stelle: Auftritt Merlin. Der Junge entwickelte die Gabe, das verdorbene Innere eines Menschen nach außen zu kehren. Am Tag verwandeln die Bewohner des Reiches sich СКАЧАТЬ