Название: Steh' endlich auf!
Автор: Martin Fieber
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783935422925
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Meine Mutter muss froh gewesen sein, nachdem ich endlich das Licht dieser Welt erblickt hatte. Tagelang lag sie in irgendeinem anonymen Kellerraum, vergessen und fast verloren, und wartete auf die Erlösung ihres großen Schmerzes. Aber ich wollte und wollte nicht kommen. Eine ganze Woche war ich überfällig. Ich hatte wohl Angst. Ich hatte Angst vor meinem Schicksal, vor dem, was mich in dieser Welt alles erwartete. Ich weiß aus meinem innersten Wesen heraus, dass ich schon ungefähr fünfzehn Jahre früher hätte inkarnieren sollen. Die Angst hielt mich davon ab. An diesem Samstagabend aber war es schließlich soweit. Meine Seele musste doch in ihren 52 Zentimeter großen Körper hinein, sie musste fast verzweifeln. Panik. Ich glaube, ich wollte irgendwie nicht geboren werden.
Jetzt bin ich 128 Zentimeter größer, über dreißig Jahre älter und um viele Ängste leichter.
Warum bin ich hier?
Ich wollte Milch und bekam die Flasche,
ich wollte Eltern und bekam Spielzeug,
ich wollte reden und bekam ein Buch,
ich wollte lernen und bekam Zeugnisse,
ich wollte denken und bekam Wissen,
ich wollte einen Überblick und bekam Einblick,
ich wollte frei sein und bekam Disziplin,
ich wollte Liebe und bekam Moral,
ich wollte einen Beruf und bekam einen Job,
ich wollte Glück und bekam Geld,
ich wollte Freiheit und bekam ein Auto,
ich wollte einen Sinn und bekam eine Karriere,
ich wollte Hoffnung und bekam Angst,
ich wollte ändern und erhielt Mitleid,
ich wollte leben ...
(Gedicht eines Abiturienten)
Bis zu meinem 25. Lebensjahr führte ich ein ‚normales’ irdisches Leben. Ich bekam eine Schultüte, war leidenschaftlich Kapitän in meiner Fußballmannschaft, spielte leidenschaftslos Klavier, sammelte Altpapier in meiner Nachbarschaft, hatte meistens einen Dreierschnitt in der Schule, diente nach dem Abitur in einem kalten, verregneten Dorf in Oberhessen meinem Geburtsland, trat aus der Kirche aus, machte eine Industriekaufmannslehre in meiner Geburtsstadt. Und hätte ich nicht vor ungefähr sechs Jahren gekündigt, würde ich dort auf meine Pensionierung warten. Meine Seele wäre längst verödet auf der Strecke geblieben. Aber zum Glück fügte es das göttliche Geschick, dass meine Öde im Leben in Form von Reiki mein Leben verschönerte.
Aber bevor ich von meinem neuen Leben erzähle, möchte ich kurz ein Ereignis aus meiner Kindheit schildern, das mich prägte und wahrscheinlich so passieren musste, damit ich die Erfahrungen lernen kann, die ich mir vor meiner Geburt ausgesucht hatte.
Dieses Erlebnis hatte ich ganz aus meinem Bewusstsein verdrängt. Damals war ich drei Jahre alt. Ein Junge aus meiner Nachbarschaft kam auf mich zu und stieß mich ohne Grund vor die Brust. Ich fiel auf den Hinterkopf und fing von diesem Moment an zu stottern. Nur ganz wenige Worte bekam ich danach ohne Stottern heraus. Dies hatte zur Folge, dass ich mich in meiner Zurückgezogenheit noch mehr in mich zurückzog. Mein vermeintlicher Minderwert sprengte alle Grenzen und ich wurde feige, ich wurde unterwürfig. Somit hatte ich noch mehr Angst, obwohl ich schon mit diesen Gefühlen auf der Erde angekommen war. Ich hatte noch mehr Angst vor Menschen. Die Angst hatte nun vollends mein Leben fest im Griff. Angst, grundlos von anderen Menschen umgestoßen und verletzt zu werden. Das Stottern verschwand zwei Jahrzehnte später. Die Angst aber blieb. Und meine Seele blieb damals auf dem Boden liegen. Sie hatte Angst, wieder aufzustehen.
Meine schon immer vorhandene Lebensunfähigkeit war wieder aufgebrochen. Ich zog mich wie ein Autist in meine eigene Welt zurück und wollte nie wieder herauskommen. Nie wieder wollte ich meine sichere, aber lebensfeindliche Welt verlassen. Ich fühlte mich wertlos, allein, dumm und ganz klein. Ich war feige, unterwürfig und vegetierte vor mich hin. Und doch wusste ich, dass tief in mir etwas Wunderschönes versteckt liegt. Wo ist es, und welchen Sinn meines Lebens gab mir Gott mit auf diese Erdenreise? Und genau das machte mich noch trauriger, weil ich nicht an dieses Schöne herankam. Ich hatte Angst zu leben, Angst mich zu freuen und Angst, alles falsch zu machen. Ich probierte nichts Neues aus, denn somit konnte auch wenig daneben gehen. So verbrachte ich meine Jugendzeit in meinem selbstgebastelten Gefängnis. Mein Gott, wie viel meines Lebens habe ich verängstigt verschlafen? Es schien mir, als ob meine Seele immer noch auf diesen kalten Pflastersteinen lag, wo mich der Nachbarsjunge umgestoßen hatte.
Am Tor des neuen Lebens
Die schönste und tiefste Rührung, die wir empfinden können, ist das Erfahren des Mystischen. Sie ist der Säer aller wahren Wissenschaft. Wem diese Rührung fremd ist, wer sich nicht länger wundern, nicht länger in verwirrter Ehrfurcht dastehen kann, ist so gut wie tot. (Albert Einstein)
Mit 25 fing mein eigentliches Leben an. Mein Tor in die neue Welt war Reiki. Eine Methode des Handauflegens. An diesem Wochenende, an dem ich Reiki erlernte, hatte ich zum ersten Mal kurz Kontakt zu diesem wunderschönen Etwas in mir. Ein Licht durchflutete mich und mir wurde bewusst: Gott existiert. Ich bin hier auf der Erde, weil ich es so wollte.
An Gott hatte ich immer geglaubt. Aber mehr aus dem Kopf als aus dem Herzen. Ich hatte auch mehr schlecht als recht den Konfirmandenunterricht über mich ergehen lassen, aber ein richtiger Glaube kam nie zum Vorschein. Auch in der Schule im Religionsunterricht war nichts Übersinnliches, Mystisches zu finden, was mich im Innersten meiner Seele anrührte. Dafür ging in meinem Heimatort das Gerücht um, dass mein zuständiger Pfarrer seine Frau betrog. Meine Kirche, so kam es mir immer vor, war eine umgebaute Turnhalle. Kalt, steril, muffig. Ebenso war ich immer traurig darüber gewesen, dass unsere Kirche keinen Kirchturm und keine bunten Fenster hatte. Die Glocken befanden sich in einem fünfzig Meter entfernten Gestell, das den Trägern der Wuppertaler Schwebebahn glich. Und die Fenster hatten die Größe von Möbelhaus-Schaufenstern. Farben gab es in der Kirche nicht. Nirgends war ein Heiliger Geist zu entdecken, so sehr ich mich auch anstrengte. Wie sollte man unter solchen Voraussetzungen nur auf die Idee kommen, Gott zu suchen?
Jetzt weiß ich es. Im Menschen selbst, aber mein Seelsorger hatte es mir nie gesagt. Er sorgte sich um alles andere, aber nicht um meine Seele. Niemals im Konfirmanden-Unterricht hatte ich das Gefühl, dass wir etwas Heiliges berührt hätten, etwas Schönes, das die Seele erleuchtet hätte. Niemals hatte ich die Freude, etwas über die Botschaft von Jesus Christus zu erfahren, es wurde nur gebüffelt.
Alles Lebendige war in diesen Jahren meiner Jugend gestorben. Nein fast alles, denn zum Glück gab es die „Bravo“, die mich auf andere Bereiche meines Lebens vorbereitete.
Trotzdem suchte ich nach einem Sinn in meinem Leben. Aber meine Seele fand nichts. Bis eben zu diesem Reiki-Wochenende. Meine Reiki-Lehrerin brachte mir mit ihrer lustigen Art neben Reiki vor allem die Existenz einer Geistigen Welt näher. Die Existenz von Gott. Und sie erzählte andauernd von Wiedergeburt und Karma. Und dass wir eine unsterbliche Seele haben und wir niemals sterben. Damit wurde an diesem Wochenende innerhalb einiger weniger Stunden eine riesige Angst in mir zerstört.
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