Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus
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Название: Reisen nach Ophir

Автор: Rolf Neuhaus

Издательство: Bookwire

Жанр: Путеводители

Серия: marix Sachbuch

isbn: 9783843806329

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СКАЧАТЬ ist das Land, wohin die Träume segeln, ist der Sehnsuchtsort der Ophiten, die Schlangen anbeten und beschwören, ihnen zu verraten, wo sich das Glück befindet, sei es in Form von Gold, Ruhm, Abenteuer, Erkenntnis, Weisheit, Liebe oder Freiheit. Reisen ist die Suche, die Jagd nach Glück in der Ferne, das Glück ist jedoch scheu, es lässt sich nicht zwingen, andernfalls wäre es nicht Glück.

I

      1.

       Verlaufen – Arthur Rimbaud diesseits von Aden

      Charleville an der Maas war anderen Provinzstädtchen »an Idiotie klar überlegen«. Die Preuβen standen vor Sedan, und die Notare, Glaser, Steuereinnehmer, Schreiner, all die Dickwänste, scheinheiligen Spieβbürger und grässlichen Kleinbürger im Ruhestand zogen wieder Uniform an, fuchtelten mit den Waffen herum und spielten sich als Teufelskerle auf. Die Post brachte den Buchhändlern keine Bücher mehr, an Zeitungen gab es nur ein Lokalblättchen, dessen Eigentümer, Direktor, Geschäftsführer, Chefredakteur und einziger Mitarbeiter ein und dieselbe Person war und den Geist der Menge reproduzierte. »Ein schöner Dreck!« Der fünfzehnjährige Rimbaud bekam einen schauderhaft juckenden Ausschlag von Idiotie auf der Haut, fühlte sich krank, ausgestoβen, eingesperrt in dieser unbeschreiblichen Ardennengegend, verbannt mitten ins Vaterland, löste sich auf in der Banalität, der Böswilligkeit und der grauen Öde. Er träumte von Sonnenbädern, Reisen, Abenteuern, endlosen Wanderungen, Zigeunerleben, gleich heute müsste er losgehen, auf und davon, beide Hände in die Taschen und hinaus.

      Geld hatte er keins in den Taschen. In Paris wird er auf dem Bahnhof wegen Schwarzfahrens verhaftet, ins Gefängnis gesteckt, von seinem Rhetorik-Lehrer ausgelöst. Dann reiβt er wieder von zu Hause aus, diesmal zu Fuβ nach Belgien, wo er eine Anstellung bei einer Zeitung in Charleroi zu finden hofft, doch abgewiesen wird. Immer wieder zieht es ihn nach Paris, Paul Verlaine führt ihn bei seinen Dichterfreunden ein, die Rimbauds Poesie bewundern, von ihm aber so gut es geht vergrault werden. Er zerlumpt und verlaust, durchwühlt Müll nach Essbarem und flucht auf dieses »Scheiβ-Paris«. Nicht, dass er der Provinz nachtrauerte, wo man Mehlsachen und Dreck aβ, Bier aus der Gegend und Landwein trank. Doch in Paris war alles nur Destillation und Zusammensetzung, nichts Schöpferisches, alles Beschränktheit, und jedermann war ein Schwein. Wonach er sich zurücksehnte, das waren die klaren ardennischen und belgischen Flüsse, die kleinen wilden Quellen und dieses »grässliche Charlestown« mit seiner Bibliothek und dem Café Universum.

      Er hielt es nirgendwo lange aus, und er kam immer wieder zurück nach Charleville oder zum Weiler Roche, wo seine Mutter einen Bauernhof hatte, schauerlich ist es auf dem Land in Frankreich, kein Buch, keine Kneipe. Im Juli 1872 geht er mit Verlaine, der Frau und Kind verlässt, nach Brüssel, dann nach London. Dort geben die »zwei gebildeten Herren aus Paris« – so die Annoncen – Französisch-Unterricht, leben zusammen und lieben sich, bis es zum Streit und zum Bruch kommt, als – abermals in Brüssel – Verlaine auf Rimbaud schieβt und ihn am linken Handgelenk verletzt. Verlaine wandert ins Gefängnis, Rimbaud nach Roche, Paris, England, wo er Unterricht gibt und sich zugleich in der Times als Reisebegleiter eines Herrn, vorzugsweise Künstlers, oder einer Familie in südlichen oder östlichen Ländern andient und als Pariser mit bedeutenden Kenntnissen in Literatur und Sprachen und mit besten Empfehlungen anpreist – ohne Erfolg. Vier Monate später lebt er als Hauslehrer in Stuttgart und lernt Deutsch, nach drei Monaten zieht es ihn in den Orient, zu Fuβ geht er durch Württemberg, die Schweiz, Italien, lernt Italienisch, will bis Brindisi laufen, von dort mit dem Schiff weiterfahren, bekommt unterwegs jedoch einen Sonnenstich und wird vom französischen Konsul in Livorno nach Marseille zurückgeschickt. Den Winter über beschäftigt er sich in Charleville mit Arabisch, Hindustani, Russisch, im nächsten Frühling will er nach Russland, unterwegs wird er in Wien ausgeplündert und wegen Landstreicherei abgeschoben. Er geht nach Brüssel, lässt sich für die holländische Kolonialarmee anwerben, desertiert auf Java drei Wochen nach seiner Ankunft in Batavia (Jakarta) und fährt auf einem englischen Segler zurück nach Europa. Neues Jahr, neues Glück: Er bewirbt sich folgenlos beim amerikanischen Konsulat in Bremen für den Dienst in der US-Navy, in Hamburg bekommt er eine Anstellung als Aufseher im Zirkus, mit dem er durch Dänemark und Schweden tingelt, dann wird er Hafenarbeiter in Marseille, nimmt ein Schiff nach Alexandria, erkrankt, schifft sich in Civitàvecchia aus und kehrt über Rom nach Charleville zurück, der Endstation ebenfalls im Jahr darauf, nachdem er in Hamburg vergeblich eine Mitfahrgelegenheit in den Orient gesucht hat.

      Der geniale Rimbaud, der preisgekrönte Schmied lateinischer Verse, hochbegabte Überflieger ohne Schulabschluss, das mittellose Enfant terrible der Pariser Literaturszene ist jetzt 24 Jahre alt, hat die Dichtkunst vor Jahren bereits an den Nagel gehängt, lebt jedoch gewissermaβen sein poetisches Credo, durch die Entfesselung aller Sinne sehend zu werden und ins Unbekannte vorzustoβen. Im Herbst 1878 geht er zu Fuβ von den Ardennen über die Vogesen und den Gotthard nach Lugano, nimmt den Zug nach Genua, dort ein Schiff nach Alexandria und fährt nach kurzer Zeit weiter nach Larnaka. Auf Zypern wird er Aufseher in einem Steinbruch, erkrankt an Typhus, und nach einem halben Jahr kehrt er zurück in die Ardennen. Ein Jahr später ist er wieder in Ägypten, findet keine Arbeit, geht nach Zypern, seine alte Firma hat Pleite gemacht, doch die britische Verwaltung kann ihn als Aufseher beim Bau des Gouverneurspalastes brauchen. Er legt sich mit dem leitenden Ingenieur und dem Oberzahlmeister an, verlässt Zypern, fährt das ganze Rote Meer auf der Suche nach Arbeit ab und erreicht im Sommer 1880 das britische Aden, diesen »schrecklichen Felsen ohne einen einzigen Grashalm oder einen Tropfen trinkbaren Wassers«, auf dem der Ruhelose sich sogleich gefangen fühlt, weil er mindestens drei Monate wird bleiben müssen, bis er genug Geld verdient hat, um abhauen zu können. Es ist, als sei das lyrische Ich des Bateau ivre in die Haut seines Schöpfers geschlüpft, dessen ganzes Leben einer traumartigen Reise steuerlosen, trunkenen Dahintreibens gleicht.

      Aden, dieser Krater eines erloschenen und mit Meersand gefüllten Vulkans, dessen Wände verhindern, dass frische Luft hereinströmt, ist »der widerwärtigste Ort der Welt«, jedenfalls gleich nach Charleville. Rimbaud brät auf dem Boden dieses Lochs wie in einem Kalkofen, schwitzt täglich literweise Wasser, trinkt destilliertes Meerwasser und langweilt sich. Es gibt keine Zeitung, keine Bibliothek, an Europäern nur ein paar blöde kaufmännische Angestellte, die mit getrockneten Häuten, Gummi arabikum, Strauβenfedern, Weihrauch, Gewürznelken, hauptsächlich aber mit Kaffee handeln, mit Mokka aus dem jemenitischen Mokka. Sie bringen ihr Gehalt beim Billardspiel durch und verlassen Aden fluchend. Auβer diesem Gesindel hat man gar keine Gesellschaft, und so wird man in wenigen Jahren zum Trottel, so Rimbaud, laut Selbsteinschätzung der »einzige etwas intelligente Angestellte« in Aden. Er arbeitet im Kontor eines französischen Handelshauses, mit dem Kaffeehandel macht er sich schnell vertraut, alles geht durch seine Hände, er genieβt das volle Vertrauen seines Chefs, doch er fühlt sich schlecht bezahlt, obgleich die Firma neben dem Salär für Wohnung, Essen, Wäsche, Pferd und Wagen aufkommt. Im September schreibt er stolz nach Hause, er habe bereits 200 Francs in der Tasche, aber wenn die Firma ihn nicht bald deutlich besser entlohne, dann werde er am Ende seines zweiten Monats fortgehen, vielleicht nach Sansibar, vielleicht auch an die Küste Abessiniens, wo mehrere Handelsgesellschaften aus Aden sich niederzulassen beabsichtigen. Im November geht er für sein Haus über Zeila, den alten Sklavenhandelsplatz an der Somaliküste, nun in ägyptischer Hand, ins gleichfalls unter ägyptischer Verwaltung stehende Harar in den Ausläufern des abessinischen Hochlands. 26 Jahre vor Rimbaud war Richard Burton auf derselben Route nach Harar gelangt und als erster Europäer – soweit bekannt – in die für Nicht-Muslims verbotene heilige Stadt gedrungen.

      Burton bereitete es offenbar ein sportliches Vergnügen, heilige Städte zu entweihen. Der exzentrische Offizier der britischen East India Company hatte sich nach sieben Jahren in Bombay vom Dienst beurlauben lassen, als er sah, dass er sich mit seinen Manien und Kapriolen die Karriere verbaute. Er reiste durch Indien, schrieb Bücher, unter anderem über das Gebiet von Goa und das Indus-Tal, und fasste den Plan, das unerforschte Innere der Arabischen Halbinsel zu durchstreifen und die heiligen Stätten СКАЧАТЬ