Название: China am Ziel! Europa am Ende?
Автор: Christoph Leitl
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
isbn: 9783711052803
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Die Tsunamiwarnungen hören wir nicht. Es geht uns ja gut, was soll das also?
Drei Jahrzehnte später, 2049, werden wir erkennen, welche entscheidende Weichenstellung wir verabsäumt haben, welche Brüche wir nicht erkannt, welche Reaktionen darauf wir versäumt haben.
Dann sind wir aber bereits von der Champions League in die National- beziehungsweise Regionalliga abgestiegen. Nach zwei Jahrtausenden tritt Europa als Key Player ab und überlässt seine Position stärkeren, dynamischeren, erfolgshungrigeren Kontinenten.
2049 ist China am Ziel, Europa am Ende.
DIE BRUCHLINIEN
Die Welt ist voller Bruchlinien. Die gängige Vokabel dafür ist Disruption.
Auch frühere Generationen hatten entscheidende Veränderungen zu bewältigen. Der Unterschied zu heute ist deren Dynamik. Wir haben einfach nicht genug Zeit, um die drängenden Fragen unserer Zeit zu analysieren, Lösungen zu finden und sie umzusetzen.
Diese atemberaubende Geschwindigkeit bringt einen Verlust von Dialogfähigkeit und damit den Verlust von Bindungen, und führt zu Anonymisierung, Egoismus mit all den sich daraus ergebenden ökonomischen, politischen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen.
Geänderte Rahmenbedingungen, die diese Dynamik verursachen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, in der Technologie, in der Wirtschaft, in der Kommunikation. Drei gewaltige Bruchlinien tun sich auf und Europa steht ihnen hilflos gegenüber. Die ungelöste Flüchtlingskrise, die ökologische Krise und die Coronakrise fallen zeitgleich zusammen. Bruchlinien, deren tektonische Verschiebungen Europa erbeben lassen. Sie sind verbunden mit anderen Bruchlinien, die mit den drei genannten in Zusammenhang stehen und mit ihnen gemeinsam Erschütterungen auslösen, auf die wir Europäer entweder adäquate Lösungen finden oder dem Untergang geweiht sind.
Wie sind diese Bruchlinien bewältigbar? Wie finden wir rasche Antworten auf die Herausforderungen, die uns gestellt sind? Und ist unser System der liberalen Demokratie im Stande, darauf nicht nur Antworten zu finden, sondern diese auch rasch umzusetzen?
Um Gorbatschow zu zitieren: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!«.
DER CORONA-BRUCH
Plötzlich war es da, unerwartet, unerkannt, unheimlich: das Coronavirus.
Es verursacht einen massiven, in seinen Auswirkungen nicht absehbaren Bruch. Es zieht die Welt in seinen Bann, fordert unsere Gesundheitssysteme, hinterlässt Verwüstungen in Wirtschaft und Arbeitswelt, bringt Verwerfungen in Schulen, Kultur und Sport und erschüttert unsere gesellschaftlichen Beziehungen. Es fordert unsere staatlichen Budgets und Sozialsysteme. Es bedroht wirtschaftliche Existenzen ebenso wie unsere mentale Verfassung. Experten, Virologen, Ärzte, Politiker und Zukunftsforscher: Allen gemeinsam ist, dass sie nicht wissen, was kommt, aber sicher sind, dass vieles nicht so bleiben wird, wie es war.
Ein skurriler Streit spielte sich zwischen China und den USA ab. Während Donald Trump vom »China-Virus« sprach, unterstellten die Chinesen den USA, die Pandemie verursacht zu haben. Europa als Hauptbetroffener war Zuschauer. Zuschauer? Leider nein. Rückfalltäter! Denn während andere in der Krise selbstverständlich zusammenstanden und versuchten, gemeinsam zu agieren, machte Europa wieder einmal das genaue Gegenteil: Nach dem Motto »Rette sich wer kann« wurden Grenzen geschlossen, als könnte man damit das Virus aufhalten. Kilometerlange Staus an den Grenzübergängen und Wartezeiten bis zu 40 Stunden waren die Folge, dringend benötigte Güter, insbesondere auch aus dem medizinischen Bereich, konnten nicht an ihren Bestimmungsort gelangen. Ebenso gelangten viele Mitarbeiter nicht zu ihren Arbeitsplätzen in den Betrieben jenseits der Grenze. Und noch viel erschreckender: Manche Länder führten Exportverbote für medizinische und sanitäre Hilfsmittel ein, hoben Zölle ein oder beschlagnahmten gar die Ware. Dies alles erinnerte frappant an das Verhalten von Raubrittern im Mittelalter.
Wieder einmal steht Europa als der große Versager da. In der Flüchtlingskrise kein gemeinsames Konzept, in der Ökologiekrise außer Zielerklärungen keine konkreten Masterpläne, uneins über die Möglichkeiten einer fairen Besteuerung, unfähig zu einer gemeinsamen Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten, vor den Erpressungsversuchen Trumps in die Knie gehend – und nun auch noch das unwürdige Schauspiel europäischer Uneinigkeit in der Coronakrise! Ist es ein Wunder, dass so viele Menschen an Europa zweifeln, manche sogar verzweifeln? Ist es ein Wunder, dass das autokratische, ja diktatorische China von manchen insgeheim bewundert wird, weil das Krisenmanagement dort effektiver erscheint? Und fühlen wir Europäer uns nicht erst recht verhöhnt, wenn eben dieses China, von dem die Krise ausgegangen ist, sich nun als Hilfslieferant anbietet und den betroffenen Ländern Europas zur Seite steht, was mangelnde europäische Solidarität nicht vermocht hatte?
War es nicht ungeheuer beschämend, dass Serbien nach verhängten Exportbeschränkungen europäischer Länder für medizinisches Material einen Hilferuf an China machen musste? Der serbische Präsident Vučić erklärte, die europäische Solidarität sei ein »Ammenmärchen« und China das einzige Land, das Serbien noch helfen könne. Was für ein Eingeständnis von Schwäche und Unfähigkeit!
Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Dekaden ist aus dem Reich der Mitte ein Lungenvirus ausgebrochen. Ähnlich wie die von den USA ausgegangene Finanzkrise hat sich diese Gesundheitskrise durch das globale Netzwerk rasant ausgebreitet und zur Pandemie entwickelt. Eine Pandemie, die ein Hauptopfer auserkoren hat – Europa – und die einen Sieger kennt: China. Beim Ausbruch und der Verbreitung des Virus haben die Chinesen blitzartig Spitäler gebaut, Beschränkungen verordnet und Kontrollen der Bevölkerung durchgeführt. Mit Erfolg, denn das Virus wurde eingedämmt und China kehrt zum Alltag zurück, während Europa noch weit davon entfernt ist. Für China wird ein nach wie vor positives Wirtschaftswachstum erwartet, für Europa hingegen eine Rezession. Chinas Wirtschaft ist wiederbelebt, in Europa liegt sie auf der Intensivstation. Weltweite Börseneinbrüche ermöglichen den Chinesen billige Unternehmenskäufe. Sie sind damit für die Zeit nach der Krise bestens aufgestellt. China wird damit noch stärker, der Niedergang der USA beschleunigt sich – und Europa? Bleibt es auf der Strecke? Das Eurobarometer steht auf Sturm!
So wie das Coronavirus vor allem für ältere und geschwächte Menschen gefährlich ist, so ist es auch für das alte und geschwächte Modell Europas lebensgefährlich. Schlagartig wird uns bewusst, was wir ohnedies immer geahnt haben: dass Europa in wichtigen, entscheidenden und dringenden Fällen nicht handlungsfähig ist.
Das Gesundheitswesen ist nationale Kompetenz. Dementsprechend hat die Europäische Union bei den ersten Coronafällen in Italien, später in Spanien, nicht reagieren können, weil die betroffenen Staaten die angebotene EU-Unterstützung abgelehnt haben! Erst die Erklärung zur Pandemie durch die Weltgesundheitsorganisation und die Einsicht vieler Länder, dass man mit nationalen Maßnahmen allein der Krise doch nicht Herr werden kann, ließ den Ruf nach Brüssel erschallen. Wie in jeder Krise, bei der Nationalstaaten mit ihrem Latein am Ende waren, erinnerte man sich an Europa.
Es war Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, die sich hinstellte und sagte, dass die Europäische Union mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln die Gesundheit der Menschen wiederherstellen und den durch die Krise betroffenen Betrieben sowie den darin beschäftigten Menschen helfen werde. Sie vernetzte Maßnahmen der Europäischen Kommission mit denen der Europäischen Zentralbank, die für entsprechende Liquidität zu sorgen hat, und der Europäischen Investitionsbank, die Unternehmenshilfen sicherstellen soll. Regeln für Schuldenbegrenzungen und Beschränkungen für staatliche Beihilfen wurden außer Kraft gesetzt СКАЧАТЬ