Название: Die Brüder Karamasow
Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Große verfilmte Geschichten
isbn: 9783955012083
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»Dieser Starez ist unter den hiesigen Mönchen allerdings der ehrenhafteste«, erwiderte er, nachdem er seinen Sohn schweigend und nachdenklich angehört hatte, ohne sich über dessen Bitte weiter zu wundern. »Hm. Da willst du also hingehen, mein stiller Junge!« Er war ziemlich betrunken und verzog auf einmal das Gesicht zu seinem breiten, halbtrunkenen Lächeln, in dem die Schlauheit und List des Säufers war. »Hm. Habe ich es doch geahnt, daß du schließlich dort enden würdest, kannst du dir das vorstellen? Dich zieht es ja geradezu dorthin. Na schön, meinetwegen. Du hast deine zweitausend Rubel, das ist deine Mitgift. Ich werde dich schon nicht im Stich lassen, mein Engel, und ich werde auch jetzt, wie sich's gehört, was für dich einzahlen, wenn sie es verlangen. Aber wenn sie es nicht verlangen – wozu dann aufdrängen, wie? Du brauchst ja nicht mehr Geld als ein Kanarienvogel, zwei Körnchen die Woche. Hm ... Weißt du, zu einem Kloster gehört eigentlich eine kleine Vorstadtkolonie, da wohnen, das ist allgemein bekannt, nur sogenannte ›Klosterweiber‹, so an die dreißig Frauenzimmer, glaube ich. Ich war mal da, weißt du, interessant in seiner Art, natürlich nur so als Abwechslung. Ekelhaft war nur, alles entsetzlich russisch, keine Französinnen, wo sie doch welche haben könnten, an Geld fehlt es nämlich nicht. Sobald die das erfahren, sind sie da. Na, aber hier ist nichts, hier gibt es keine Klosterweiber, hier gibt es nur an die zweihundert Mönche. Hier geht es anständig zu. Und gefastet wird auch, das muß man ihnen lassen ... Hm, also du willst zu den Mönchen gehen. Es tut mir leid um dich, Aljoscha, ich habe dich wirklich liebgewonnen, glaubst du es? Übrigens kommt mir die Sache auch gelegen; du kannst gleich für uns Sünder beten. Ich habe, so wahr ich hier sitze, viel zuviel gesündigt. Und dauernd habe ich gegrübelt: Wer wird einmal für mich beten? Gibt es einen solchen Menschen auf dieser Welt? Ich bin in dieser Hinsicht schrecklich dumm, du bist ein lieber Junge, du glaubst es wahrscheinlich gar nicht. Schrecklich dumm. Aber sieh mal, so dumm ich auch bin, ich denke immerzu daran, immerzu. Das heißt natürlich, ab und zu, nicht immerzu. Ausgeschlossen, denke ich dann, daß die Teufel mich vergessen und nicht mich mit ihrem Feuerhaken zu sich hinunterziehen, wenn ich sterbe. Na, und dann denke ich: Feuerhaken? Aber woher haben sie die? Und woraus sind die? Aus Eisen? Wo schmiedet man die denn? Sie haben wohl so eine Fabrik da bei sich? Die Mönche im Kloster glauben doch sicher, die Hölle habe zum Beispiel eine Art Zimmerdecke. Ich glaube aber nur an eine Hölle ohne Decke, das macht sich gleich viel feinsinniger und aufgeklärter, sozusagen lutherisch. Aber ist es im Grunde nicht ganz egal, ob die Hölle eine Decke hat oder nicht? Und doch liegt darin das ganze verdammte Problem. Wenn keine Decke da ist, so sind auch keine Feuerhaken da. Und wenn keine Feuerhaken da sind, dann stimmt das mit der ganzen Hölle nicht. Dann wird wieder alles unwahrscheinlich: Wer soll mich dann mit Feuerhaken hinunterziehen? Und wenn ich nicht hinuntergezogen werde, dann hört ja alles auf; wo bleibt da die Gerechtigkeit! Il faudrait les inventer, diese Feuerhaken speziell für mich, für mich allein! Wenn du eine Ahnung hättest, Aljoscha, was ich für ein Dreckskerl bin!«
»Es gibt dort keine Feuerhaken«, sagte Aljoscha leise und ernst, dabei sah er seinen Vater unverwandt an.
»Richtig, richtig, nur Schatten von Feuerhaken. Ich weiß es, ich weiß. Wie hat doch ein Franzose die Hölle beschrieben: »J'ai vu l'ombre d'un cocher qui avec l'ombre d'une brosse frottait l'ombre d'une carosse.Ich habe den Schatten des Kutschers gesehen, welcher mit dem Schatten einer Bürste den Schatten einer Kutsche reibt. Woher weißt du denn, mein Bester, daß es dort keine Feuerhaken gibt? Wenn du ein Weilchen bei den Mönchen bist, wirst du anders singen. Aber geh nur hin; arbeite dich zur Wahrheit durch, und dann komm her und erzähle – es fällt einem doch leichter, ins Jenseits aufzubrechen, wenn man genau weiß, was da los ist. Und es wird auch besser für dich sein, du wohnst bei den Mönchen und nicht bei mir, bei einem alten Säufer mitsamt seinen Frauenzimmern ... obwohl dich Engel ja nichts anficht. Na, vielleicht wird dich auch dort nichts anfechten; deswegen gebe ich dir auch die Erlaubnis, eben weil ich darauf hoffe. Dir hat ja der Teufel den Geist nicht angefressen. Du wirst entflammen und wieder verlöschen, wirst dich auskurieren und wieder zurückkommen. Und ich werde auf dich warten, denn ich fühle, du bist der einzige Mensch auf der Erde, der mich nicht verdammt hat. Du bist mein lieber Junge, das fühle ich, wie sollte ich das nicht fühlen?«
Er fing sogar an zu schluchzen. Er war sentimental. Schlecht und sentimental.
5. Die Starzen
Mancher Leser mag vielleicht denken, mein Held war eine kränkliche, ekstatische, unterentwickelte Natur, ein blasser Träumer, ein blutarmes, sieches Menschlein. Im Gegenteil: Aljoscha war zu jener Zeit ein stattlicher junger Mann, rotbackig, neunzehnjährig, mit wachem Blick und strotzend von Gesundheit. Er war damals sogar sehr hübsch, gut gebaut, mittelgroß, dunkelblond, mit regelmäßigem, obzwar etwas länglichem, Gesicht, mit leuchtenden, dunkelgrauen, weit offenen Augen, sehr nachdenklich und scheinbar ganz ruhig. Man wird vielleicht sagen, rote Backen seien noch kein Beweis gegen Fanatismus oder Mystizismus; mir scheint jedoch, Aljoscha war mehr als jeder andere Realist. Gewiß, im Kloster glaubte er wirklich an Wunder; aber nach meiner Ansicht können Wunder einen Realisten nicht beirren. Nicht Wunder machen einen Realisten gläubig. Der echte Realist, sofern er nicht gläubig ist, wird immer die Kraft und die Fähigkeit finden, nicht an Wunder zu glauben. Und wenn ein Wunder unbestreitbar vor ihm steht, wird er eher seinen Sinnen mißtrauen als die Tatsache zugeben. Gibt er sie aber doch einmal zu, so höchstens als eine natürliche Tatsache, die ihm bisher nur unbekannt war. Bei einem Realisten erwächst nicht der Glaube aus dem Wunder, sondern das Wunder aus dem Glauben. Fängt der Realist einmal an zu glauben, muß er unbedingt auch das Wunder zugeben: gerade wegen seines Realismus. Der Apostel Thomas erklärte, er werde nicht glauben, bevor er sehe; und als er gesehen hatte, sagte er: »Mein Herr und Gott!« Hatte ihn etwa das Wunder zum Glauben gebracht? Doch wohl nicht. Er begann vielmehr nur deshalb zu glauben, weil er glauben wollte; und er glaubte wahrscheinlich bereits im Innersten seines Wesens ganz fest, als er sagte: »Ich werde nicht glauben, bevor ich sehe.«
Man wird vielleicht sagen, Aljoscha war stumpfsinnig und unentwickelt, er hat das Gymnasium nicht beendet – und so weiter, und so weiter. Daß er das Gymnasium nicht beendet hatte, war die Wahrheit; doch ihn stumpfsinnig oder dumm zu nennen, wäre höchst ungerecht. Ich wiederhole: er wählte diesen Weg allein deswegen, weil nur er ihn zu jener Zeit beeindruckte und seiner Seele auf einen Schlag das ideale Hilfsmittel bot, aus dem Dunkel zum Licht vorzudringen. Hinzu kommt, daß er ein wenig schon ein junger Mann unserer neueren Zeit war, das heißt: von Natur aus ehrlich, begierig nach Wahrheit, sie suchend und an sie glaubend und deshalb mit aller Kraft der Seele danach trachtend, ihrer sofort teilhaftig zu werden und baldigst etwas Großes zu tun, bereit, dafür alles zu opfern, notfalls sogar das Leben. Leider begreifen diese jungen Leute nicht, daß es in den meisten Fällen leichter sein mag, das Leben zu opfern, als von der schäumenden Jugend fünf, sechs Jahre auf ein schweres, mühsames wissenschaftliches Studium zu verwenden, sei es auch nur, um die eigenen Kräfte für den Dienst an jener Wahrheit, für jene große Tat zu mehren, der man sich einmal verschrieben hat. Doch ein solches Opfer übersteigt fast stets die Kräfte vieler junger Leute. Aljoscha hatte ganz einfach den entgegengesetzten Weg gewählt, allerdings mit der gleichen Ungeduld nach einer großen Tat. Kaum war er bei ernstem Nachdenken zur Überzeugung gelangt, daß es eine Unsterblichkeit und einen Gott gibt, sagte er sich wie selbstverständlich: »Ich will für die Unsterblichkeit leben; einen Kompromiß nehme ich nicht an.« Hätte er sich entschieden, es existiere keine Unsterblichkeit und kein Gott, wäre er ebenso schnell unter die Atheisten und Sozialisten gegangen. (Der Sozialismus ist nämlich nicht nur ein Problem, das den Arbeiter, den sogenannten vierten Stand berührt; er ist vor allem ein atheistisches Problem: Es geht um die moderne Verkörperung des Atheismus, um einen babylonischen Turm, der ausdrücklich ohne Gott gebaut wird, nicht um den Himmel von der Erde aus zu erreichen, sondern um den Himmel zur Erde herabzuholen.) Aljoscha schien es sogar seltsam und unmöglich, so weiterzuleben wie bisher. Es steht geschrieben: »Verteile СКАЧАТЬ