»Du siehst keinen Tag älter aus als fünfundzwanzig.«
»Du übertreibst.«
»No, vero. Wirklich wahr. Du siehst sehr jung aus. Giovane. Come la mattina.«
Im Laufe des Abends stellten sie fest, dass sie gemeinsame Bekannte hatten. Vielleicht war es das, was sie dazu veranlasste, sich, wider ihrer paranoiden Natur, von ihm nach Hause bringen zu lassen.
»Hast du ein Pflaster? Ich habe mich an meiner Tasche geschnitten.«
»Im Handschuhfach.« Statt den Pflastern fielen ihr ein paar Hochglanz-Handschellen entgegen.
»Die hab ich immer dabei.« Warum fuhr er Handschellen im Handschuhfach mit sich herum, wenn er kein Dom war? Bulle war er schließlich keiner. Mirellas Herz schlug höher. Saß ihr Dom bereits neben ihr? Sie sahen sich in die Augen. Seine Augen waren honigbraun, wie Bernstein. Seine Wimpern länger als ihre.
»Würden Sie mich fesseln?«
»Auf Italienisch!«
»Legami! Das hab ich aus der italienischen Cosmopolitan.«
Davide lachte, dann sagte er: »Kommt drauf an.«
»Worauf?«
»Ob es dir gefallen würde.«
»Ich glaube zu wissen, dass ich Masochistin bin. Ich habe ausschließlich solche Phantasien, ich lese nur so Zeug.«
»Bist du schon mal geschlagen worden?«
»Nein.«
»Nie?«
»Nie. Ich bin zu alt, oder?«, fragte sie.
»Du bist zehn Jahre jünger als ich.«
»Was ist es denn? Findest du mich nicht attraktiv?«
»Du bist wunderschön. Come un fiore di marmo, che non appassira mai. – Wie eine Marmorblüte, die nie verwelken wird.«
»Eine Marmorblüte, die nie verwelken wird? Wo lernt man so zu reden?«
»In Tropea.«
»Sicuramente.«
»Ich bin ein Dom, va bene? Eigentlich ein Dom in Rente. Ich hatte schon seit fünf Jahren keine Sklavin mehr.«
»Du hattest seit fünf Jahren keinen Sex?« Ungläubig blicke sie ihn an.
»Exakt.« Er wurde immer attraktiver für sie. Sie mochte keine Männer, die in der Gegend herumschliefen. Dafür hatte sie viel zu viel Angst vor Krankheiten.
»Ich liebe Sie jetzt schon.«
Sie waren da. Er machte das Handschuhfach auf und überreichte ihr die Handschellen. »Hier. Ich habe noch ein Dutzend davon. Probier sie mit deinem Freund aus, vielleicht steht er ja drauf.«
»Das wüsste ich aber.«
»So schlimm?«
»Ich wollte schon eine Anzeige aufgeben. ›Dom: verzweifelt gesucht‹.«
Er lachte, fuhr sich durch die schneeweißen Locken. »Pass auf dich auf!«, sagte er.
»Sicuramente.«
»Ich hoffe, du kannst noch andere Vokabeln als ›sicherlich‹.«
»Capezzolo.«
»Brustwarze?«
»Fiel mir gerade ein.« Sie nickte und wünschte ihm einen guten Abend.
»Ebenfalls«, erwiderte er und warf ihr eine Kusshand zu.
Oh mein Gott, dachte sie. Wahrscheinlich kann er auch noch singen.
War Davide derjenige welcher? Hatte sie ihr Ziel erreicht und durfte endlich zur Sklavin mutieren?
***
Brainstorming für ein Fliesengeschäft. Es brauchte eine neue Tagline, also einen neuen Untertitel.
»Besser Fliese als Wiese«, war Utes glorreicher erster Einfall dazu. »... weil in der Wiese Insekten, fiese.«
Mirella schüttelte den Kopf und kritzelte auf ihrem Notizblock herum.
»Geil!«, meinte Bryan.
»Warum immer reimen?«, fragte Mirella genervt und kam mit: »Bei Fitzeck wird jedes Eck so, wie Sie es sich erträumen.«
Bryan: »Das ist doch auch halb gereimt und außerdem zu konservativ.«
Mirella verschränkte die Arme. »Fragen wir Alex. Wie wär’s mit: Bei Fitzeck gibt’s Träume auch ums Eck! Oder: Gehen Sie auf Traumböden. Luxusböden zu Traumpreisen. Auf Tritt und Schritt ein Hit.«
»Auch gereimt, aber okay!«, meinte Bryan gnädig.
So richtig wollten die Ideen nicht zünden. Dieser Typ ging Mirella nicht aus dem Kopf.
***
Das zweite Treffen. Er hatte sie zum Bahnhof bestellt. Jetzt kam eine SMS von ihm. »Sei in sechs Minuten beim Gardena.«
Klar war das zu schaffen, aber dann traf sie wieder mal jemanden aus der Klapse. Der laberte sie voll und wollte sie zum Schluss sogar noch anhauen. Als sie auf die Uhr sah, war sie schon zehn Minuten drüber.
Davide stand vor dem Ristorante, blickte sich um und gab ihr, als keiner guckte, auf offener Straße eine Ohrfeige. Sie war nur angedeutet, aber Mirella erfuhr trotzdem zum ersten Mal physische Gewalt. Es ging ihr durch und durch. Sie zitterte, ihr Herz raste und sie wurde geil. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
So übernahm Davide die Konversation: »Fiore, ich sagte: sechs Minuten!«
»Ja«, erwiderte sie kleinlaut. »Tut mir leid.«
Er nahm ihr Handgelenk und führte sie in die Gaststätte.
»Wie war’s?«
»Was?«
»Na, die Ohrfeige.«
»Erregend.«
Er lächelte zufrieden. »Okay, dann könnte es klappen.«
Schlag mich mit einem Gürtel, dachte sie. So richtig hart, ich brauch das. Es pochte bei diesen Gedanken in ihr.
»Du könntest Aufsätze schreiben und für jeden Fehler bestrafe ich dich. Mit dem Rohrstock. Wie fändest du das?«
Oh mein Gott, der Himmel tat sich auf. »Si, signore. Gern.« Sie schlug die Augen nieder.
»Ich krieg wahrhaftig dicke Eier, wenn du so guckst.«
»Wirklich?«
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