Coffin Corner. Amel Karboul
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СКАЧАТЬ Bonin: »Aber ich ziehe doch die ganze Zeit über voll hoch!«

       Duboir: »Nein, nein, nein … zieh nicht hoch … nein, nein.«

       Robert: »Dann geh in den Sinkflug … Also, gib mir die Steuerung … Die Steuerung an mich! Putain, wir werden aufschlagen … Merde! Das ist nicht wahr!«

       Bonin: »Aber was passiert hier?«

       Duboir: »Längsneigung 10 Grad …«

      Ende.

       Zwischen den Welten

      Es klingt abstrus: Unternehmen streben höchstmögliche Sicherheit an, und genau dadurch landen sie am gefährlichsten Ort: in der Coffin Corner. Wie kann das sein?

      Meiner Erfahrung nach handelt es sich um eine besondere Form von Betriebsblindheit. Viele Unternehmen rennen ins Unheil, weil sie Scheuklappen tragen, die ihnen den Blink nach links und rechts versperren. Und zu allem Unglück wissen sie nicht einmal, dass ihr Blickfeld verengt ist! Sie folgen ganz selbstverständlich einem Denkmodell, das ihnen Sicherheit verspricht, sie aber gefährlich nahe an den Absturz bringt. Ihren Handlungsspielraum könnten sie nur erweitern, wenn sie sich darüber bewusst werden, dass es noch ganz andere Perspektiven gibt, aus denen sie das Problem betrachten können.

      Um das zu verstehen, müssen Sie sich etwas Grundlegendes bewusst machen: Unternehmen handeln niemals im luftleeren Raum, sondern innerhalb eines kulturell geprägten Rahmens. Wie ein Unternehmen handelt, wie es Erfolg definiert, welche Entscheidungen es trifft und wie es auf Probleme reagiert – das alles hängt von den Einstellungen und inneren Überzeugungen seiner Führungskräfte und Mitarbeiter ab – von Menschen also. Menschen aber sind von den jeweiligen Glaubens- und Denksystemen geprägt, in denen sie sozialisiert wurden und in denen sie sich bewegen. Unterschätzen Sie nicht die Auswirkungen dieser kulturellen Prägung!

      Dass ich in Tunesien geboren und aufgewachsen bin, hat mein gesamtes Denken sehr geprägt. Wie sehr, kann ich Ihnen am besten zeigen, wenn ich Sie mitnehme nach Tunis, in das Jahr 1987.

      Es war der 6. November. Wir saßen beim Abendessen in der Küche, mein Vater aß einen Granatapfel. Normalerweise vollzog er das allherbstliche Ritual mit Bedacht, brach die Frucht vorsichtig auseinander und löste die saftig roten Kerne geschickt heraus, ohne sie zu verletzen. An diesem Abend war etwas anders. Seine Hände zitterten, seine schlanken Finger bewegten sich fahrig. Mit Gewalt grub er die Kerne aus der Frucht und schaufelte sie hastig in seinen Mund. Der Saft lief über seine Finger und tropfte auf den Tisch. Er bemerkte es nicht. Auch nicht, als ich ihm einen Lappen holte, um den Saft aufzuwischen.

      Meine Mutter beobachtete ihn besorgt. So wie ich auch. Mein Vater schwieg. Von draußen drang der Verkehrslärm herein, Musik aus einem Café, Hundebellen, Gesprächsfetzen von Passanten. In unserer Küche war das Gespräch verstummt. Wie konnte ich von der Schule erzählen, wie konnte meine Schwester vom Nachmittag mit ihren Freunden erzählen, während mein Vater so abwesend und voller Anspannung am Tisch saß? Ich stellte die Teller vom Tisch zusammen und trug sie ihn die Küche. Mein Vater nickte mir zu und verließ das Haus. Als ich mit Aufräumen längst fertig war, war er immer noch nicht zurück.

      Mein Vater blieb die ganze Nacht verschwunden. Ich konnte nicht schlafen. Das ganze Haus war unruhig, das Licht meiner Nachttischlampe summte. Irgendetwas Schlimmes musste passiert sein. Als ich aufstand, um nach meiner Mutter zu sehen, entdeckte ich sie am Küchenfenster. Sie knetete ihre Hände und blickte hinaus. Im Flur fehlten die Schuhe meines Vaters. Immer noch. Ich wusste, dass es nichts gab, was ich tun konnte, und kroch mit bleiernem Gefühl wieder ins Bett zurück.

      Erst später erfuhr ich, was in jener Nacht passiert war: Die Regierung wurde komplett entmachtet; ein Putsch, erstaunlicherweise ohne Blutvergießen. Der 84-jährige autoritäre Präsident Habib Bourguiba wurde abgesetzt und Ben Ali kam als neuer Präsident an die Macht. Mein Vater war damals Chef der Polizei und maßgeblich an der Aktion beteiligt. Das alles ist passiert, während wir auf ihn warteten und keine Ahnung hatten, was da gerade vor sich geht.

      Vielleicht überrascht Sie das, aber ich habe dieses Ereignis nie hinterfragt. Hat mein Vater sein Leben riskiert? Hat er uns, seine Familie in Gefahr gebracht? Hat er für das Land das Richtige getan? Das alles ist nicht so wichtig. Es ist passiert. Ich war vierzehn und damit noch ein wenig zu jung, um wirklich zu verstehen, was passierte. Aber ich wusste bereits, dass ich nichts tun konnte. Und wenn es nichts zu tun gab, gab es nichts zu fragen.

      Das hat sich mir tief eingeprägt: Es gibt Ereignisse, auf die ich einfach keinen Einfluss habe. Also bringt es auch nichts zu versuchen, mit Fragen und Bewertungen eine Art von Scheinkontrolle darüber zu gewinnen. Schon gar nicht im Nachhinein.

      Selbst als Erwachsene habe ich meinen Vater nicht danach gefragt, wo genau er in jener Nacht war, ob er Angst hatte, und was passiert wäre, wenn der Plan schiefgegangen wäre. Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der so etwas wie ein Putsch vorkommen konnte.

      In einer Welt, in der nichts stabil ist, in der man abhängig ist von der Gunst oder Missgunst des Schicksals.

      Eine Welt, in der jede Angelegenheit so oder so oder noch ganz anders ausgehen kann – man wird sehen.

      Eine Welt, in der Intuition und die Entscheidung eines Augenblicks manchmal wichtiger sind, als alles kontrollieren zu können.

      Eine Welt wie die, zu der Ihre alte Welt heute geworden ist!

      Meiner Erfahrung nach gibt es zwei grundverschiedene Haltungen, um mit Unsicherheit umzugehen. Die erste ist diejenige, die viele Unternehmen in den Industrienationen jahrzehntelang extrem erfolgreich gemacht hat – und die sie jetzt in Gefahr bringt.

      Es ist das lineare Denken: Ich setze mir ein Ziel und lege, möglichst detailliert, die einzelnen Schritte hin zu diesem Ziel fest. Mit sorgfältigsten Vorbereitungen versuche ich, jedes Hindernis im Voraus zu beseitigen. Meinen Plan setze ich dann möglichst genau um und kontrolliere bei jedem Schritt, ob ich noch »auf Spur« bin.

      Diese Denkweise erinnert mich an eine Eisenbahnlinie: Auf der kürzesten und hindernisfreisten Strecke führt sie von A nach B. Stahlschienen sorgen dafür, dass die Reise auf dieser Strecke absolut glatt läuft – und dass keine Abweichung nach links oder rechts möglich ist. Der Fahrplan wird schon lange im Voraus minutengenau festgelegt. Es gibt nur ein Ziel, nur eine Strecke dorthin, sorgfältige Vorbereitung, praktisch null Abweichung. Deswegen nenne ich diese Art zu denken: Railway-Denken.

      Entstanden ist das Railway-Denken in Europa und den europäisch geprägten Ländern – Nordamerika, Japan und Südkorea, also was man im Allgemeinen »westliche« Staaten nennt, obwohl sie über den ganzen Globus verteilt sind. Natürlich sind in diesen Regionen nicht alle Menschen gleichermaßen geprägt. Außerdem ist das Railway-Denken schon lange nicht mehr auf »den Westen« beschränkt. Überall auf der Welt haben Menschen es sich angeeignet. Vor allem Manager, die an einer der großen Business-Schools gelernt haben, neigen zum Railway-Denken – egal ob sie aus Sri Lanka, Burkina Faso oder aus der Schweiz stammen.

      Trotzdem habe ich den Eindruck, dass diese Denkweise in den europäisch geprägten Ländern besonders weit verbreitet ist. Mein Paradebeispiel für Railway-Denken ist Deutschland: Alles dreht sich hier um die Idee der Kontrolle. Dass man den Unwägbarkeiten des Lebens ausgeliefert sein könnte, ist für die meisten Deutschen ein schier unerträglicher Gedanke. Reisende der Deutschen Bahn werden hektisch, СКАЧАТЬ