Berg. Ann Quin
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Название: Berg

Автор: Ann Quin

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: marix Literatur

isbn: 9783843806299

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СКАЧАТЬ in die Gosse. Während er sich die Hände abwischte, fiel ihm auf, wie rissig sie waren, Blutflecken auf seinen Ärmeln ebenso wie auf seinen Manschetten, Katzenhaare hingen daran. Er ging rasch fort.

      Der Wind hatte angehoben, wehte Gischt an Land. Berg zog seinen Hut herunter, stellte den Kragen auf, als er zur Promenade kam. Seine Hände waren taub, eine große Sehnsucht, sie zwischen Judiths Brüste zu pressen – was, und sich dann mit dem dort eingeprägten Bildnis des alten Herrn konfrontiert zu sehen, vielleicht hatte er ja auch einen Fetisch fürs Tätowieren seiner Frauen, woher sollte er wissen, dass Edith nicht irgendwo an ihrem Körper das Brandzeichen des alten Herrn trug?

      Am Ufer sah er ein paar Kinder Löcher buddeln. An einem Wellenbrecher rauchte er in die Gischt und den Nebel hinein, der allmählich die gesamte Promenade in Undurchdringlichkeit tauchte, nicht einmal den Pier konnte man mehr sehen. Die Kinderstimmen wurden vom Meer gedämpft und ein paar wenige Möwen – schlaffe Flaggen – schwebten über dem Wellenbrecher. Er musste schon bald zurück, ihr Zimmer betreten, den alten Herrn allein erwischen, ein Schlag, mehr würde nicht nötig sein, oder ein fester Griff um den Hals, dieses zähe, sehnige Fleisch, ihm die Gurgel umdrehen wie einem Huhn, und die Überreste? Eine von Fliegen übersäte Leiche, ausgestreckt im obersten Stockwerk eines Hauses, in dem bereits zu viele Ideale vermoderten. Wenn ich nur einen einzigen Strich unter die Oberfläche meiner Unterstellungen ziehen könnte, würde ich dann an einen Punkt gelangen, wo Klarheit das gewesene Chaos vertreibt? Das tragische Gefühl von Schicksal ist jedem Menschen angeboren; aber ich trotze dem Schicksal, ich alleine bin für alle Taten verantwortlich, für jede Szene; in meiner Nichtswürdigkeit werde ich die Vorstellung erschaffen, ich werde sehen, was ich mir vorgestellt habe und allein daraus werden alle meine Taten entspringen.

      Er spürte, wie ihm der Schweiß gemischt mit Gischt unter den Kragen lief. Warum sollte es so weit kommen, ein einzelner Tag, an dem die Gedanken beinahe so schwer sind wie das Gefühl, aber wenn es Erleuchtung im Laub gibt, warum nicht Gewissheit in der Erkenntnis, ohne Beweis, ohne dass Verständlichkeit notwendig wäre? Er presste sich gegen den Wellenbrecher, die Arme ausgebreitet, ein monumentaler Vogel von elementaren Kräften zermürbt. Wenn ich schlicht sage »ich bin« oder »ich liebe«, ist das kaum hinreichend, nicht einmal die gutmütigste aller Taten, »ich werde töten«, kann mich verkünden lassen, »ich bin«, deshalb ist auch Gott. Warum die Macht, die Gnade nur vorübergehend Gott zu sein, sicher kann man dieses Stadium auch für länger erhalten? Er beobachtete eine Möwe, die über ihm kreiste, bis der dichter werdende Nebel sie verschluckte. Ich will – was wollte er, dieses schmächtige, möhrenköpfige Individuum – verrostet, alt und verrostet, deine Mutter hat dir die Haare gewaschen und vergessen, sie zu trocknen – wer hat nie geliebt, oder wurde nie geliebt, außerhalb der eingeschränkten Befriedigung durch Unzucht? Er drehte sich um und lag auf dem Rücken, sah zu, wie sich ein Insekt in einem Riss im Mauerwerk verkroch. Ich will keine Frau umarmen, nichts derart Widersprüchliches, aber alle Werte abwägen, wahre oder falsche, und direkt eintauchen, mich suhlen, wenn nötig, die Verbindung definieren, ein für alle Mal die Traumziele mit der Realität versöhnen.

      Andere Tage am Meer mit »Kiss-me«-Hut auf dem Kopf, Zuckerwattefinger greifen nach Ediths geschrubbten Händen; warum bewegt sich das Meer, wer macht, dass es sich bewegt, ist Jesus wirklich übers Wasser gegangen? Warum kann ich nicht auch auf den Wellen gehen? Rennen, immer wegrennen, aber zurückeilen, sich fragen, ob die Sonne wieder herausgezogen würde; das rauschende Rauschen des grünäugigen Ungeheuers, das sich unter dem Palastboden herumwälzt und die Dämonen, die die Sonne bewachen, schrien aus ihren Festungen, immer wenn du am Meer Urlaub gemacht hast; zugeknöpft in einem Regenmantel mit Kapuze aus Plastik, im Pavillon Tee trinkend, während Männer mit kleinen Köpfen Geige spielten und alte Damen kokett die blau getönten Häupter neigten, ihren Pekinesen Krümel fütterten.

      Er ging zurück über den menschenleeren Strand. Das Meer ging in den Nebel über, undeutliche Umrisse auf Landesseite. Er stolperte über ein paar Stufen, ein paar Stränge Seetang um seine Beine gewickelt und etwas wie feuchtes Fell strich über sein Gesicht. Er stieg die Stufen hinauf und folgte den kugelförmigen, vierköpfigen Scheinwerfern der Busse, die sich wie schwere Gewänder durch die Straßen schleppten.

      Leicht benommen betrat er ein Café, bestellte Tee, Zigaretten. Er blinzelte die Tischdeckenquadrate an, bemerkte die Flecken, die jene gemacht hatten, denen er glich, die aber dazu bestimmt waren, niemals sein Leben zu teilen. Er leckte die Kratzer an seinen Händen, presste sie fest auf das Tuch, ein Fleck, der sich schon bald von den anderen abhob. Er bestellte drei Stück Kuchen, aß zwei und trank den Tee zur Hälfte aus.

      War das Judith, die gerade um die Ecke verschwunden war? Er folgte ihr, bis ihn am Pier das Walknochengesicht einer Fremden misstrauisch beäugte. Mit herablassender Attitüde ging er vorbei, aber sein Magen kullerte irgendwo zwischen den stählernen Gitterstäben und dem Schlabbern rauer Zungen tief unten umher. Er beugte sich hinunter, suchte die Klippen mit Blicken ab, die Küste, die Fassaden der cremefarbenen Pensionen, die Hotels, das ganze ausrangierte Beiwerk, das jetzt zum Vorschein kam, als sich der Nebel hob.

       Aber warum ausgerechnet dort, Aly, warum sollte dein Vater dort sein und warum musst du jetzt nach ihm suchen, kannst du nicht wenigstens warten, bis es wärmer wird?

      Was durfte er sagen, wie viel konnte er Edith erzählen, ohne sie zu verärgern, ohne ihr Bild der Vergangenheit zu zerstören? Aber sollte sie es nicht wissen, mehr als sonst jemand, sie müsste es doch sicher verstehen? Im Wald das glückliche Familientrio.

       Lauf, Aly, sei ein braver Junge und pflück ein paar Blumen für Papa und mich, halte auch Ausschau nach den Nüssen, die du letztes Jahr gefunden hast. Und warum schaust du nicht nach ein paar Vogeleiern, wenn du schon dabei bist?

      Während sie dir den Rücken zukehrten, hast du einen silbernen Turm erklommen, kamst auf einem Eichenthron ins Schwanken, hast heimlich die Sperenzchen einer Frau und eines Mannes beobachtet und an Ort und Stelle geschworen, dich von ihnen loszusagen. Ihre Stimme sanft tadelnd, bis sie allmählich immer mehr anhob – eine Kreatur in der Falle – sein Geturtel und die Bewegung hin und her auf dem Gras, fuchtelnde Arme, die Beine geöffnet wie eine Schere. Nicht weit entfernt ließ eine verdutzte Drossel sieben Eier zurück. Du hältst dich fest an den Ästen weiter oben, zerbrichst eins nach dem anderen, wirfst sechs Eier aufs trockene Moos. Durch das Schlüsselloch später, in den langen dunklen Stunden, als du nicht mehr hinzuschauen wagtest – der Saft, der aus dem brennenden Feuerholz dringt. Was darf’s sein, Sir? An einem Kiosk, in ein kreideweißes Gesicht starrend, umgeben von Masken, Ballons, gestreiften Zuckerstangen. Berg verließ den Pier und ging in den Park, schlurfte durch Cornflakes-Laub in dem Versuch, anonym zu sein – sich so zu fühlen. Was tut man am Vormittag eines Werktags, noch dazu außerhalb der Saison? Keine Au-pairs, mit denen man flirten könnte, oder werdende Mütter, die Sonne genießend, die man heimlich anlächeln könnte; keine Schulmädchen, die man zum Schwänzen ermutigen könnte; viel zu kalt, um beim Brunnen zu sitzen und die Nachrichten zu lesen, sich gegenseitig anknurrenden Hunden zuzuschauen und dem Gelächter der Kinder zu lauschen.

      Er ging einmal unter den Bäumen herum, bis die fahle Sonne noch fahler wurde und ihn das Rauschen des Verkehrs, das wie Atlantikwellen klang, in ein Kino trieb, wo er während der Werbung masturbierte und in der Pause folgte er dem Scheinwerfer, der auf die blonde Platzanweiserin in ihrer weißen Uniform gerichtet war. Er kaufte ein Eis, ein paar Erdnüsse; langsam leckte er die Schokolade vom Eis, zerknüllte das Einwickelpapier und schob es seitlich ins Polster auf dem Sitz vor sich.

      Er kam wieder heraus: die Augen, die Nase, die Ohren zerfressen vom Rauch, der komprimierten Heizungsluft, der Gestank nach Fish and Chips, in den sich verdichtenden Lärm einer Stadt, die ganz versessen darauf war, ihn daran zu erinnern, dass dies ein außerordentlich zivilisiertes, hygienisches Jahrhundert war, morgen könntest du sterben, aber heute lebst du und bist lustig dank des Bluts, das mit Hilfe von Robotern, die tägliche Schlagzeilen trivial erscheinen lassen, in dich hineingepumpt wird. Das ist es, Sir, zweimal abends anwenden, lächeln, СКАЧАТЬ