Название: Szenen aus dem Landleben
Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955014797
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Genestas lehnte sich an den Rand des Tisches und bewahrte Schweigen. Das Feuer verbreitete in der Hütte eine lebhaftere Helligkeit als die der Sonne, deren durch die Bergwipfel gebrochenen Strahlen niemals in diesen Teil des Tales gelangen können. Beim Lichte dieses Feuers, das durch einige harzige Fichtenzweige, die eine leuchtende Flamme abgaben, unterhalten wurde, betrachtete der Soldat das Gesicht des Mannes, den ein heimliches Interesse ihn aufzusuchen, zu studieren und genau kennenzulernen zwang. Monsieur Benassis, der Bezirksarzt, verharrte mit gekreuzten Armen, hörte Genestas kühl an, erwiderte seinen Gruß und wandte sich wieder dem Kranken zu, ohne sich für den Gegenstand einer so ernstlichen Prüfung, wie es die des Militärs war, zu halten.
Benassis zeigte eine Durchschnittsfigur, aber mit breiten Schultern und breitem Brustkasten. Ein weiter, bis zum Halse zugeknöpfter grüner Überrock hinderte den Offizier, die so charakteristischen Einzelheiten dieser Persönlichkeit oder ihrer Haltung zu bemerken; der Schatten und die Unbeweglichkeit aber, in welcher der Körper verharrte, sorgten dafür, das in diesem Augenblick durch einen Reflex der Flammen stark erhellte Gesicht hervortreten zu lassen. Das Gesicht dieses Mannes ähnelte dem eines Satyrs: die nämliche leicht geschweifte Stirn, die aber voll mehr oder minder bezeichnender Erhebungen war; die nämliche, an der Spitze geistreich gespaltene Stülpnase; die nämlichen, hervortretenden Backenknochen. Der Mund war geschwungen, die Lippen waren dick und rot. Das Kinn trat unvermittelt hervor. Die braunen Augen, durch einen lebhaften Blick, dem die perlmutterschimmernde Farbe des Weißen darin einen hohen Glanz verlieh, beseelt, sprachen von ertöteten Leidenschaften. Die einstmals schwarzen und jetzt grauen Haare, die tiefen Falten seines Gesichts und seine bereits weißen buschigen Augenbrauen, seine dick und äderig gewordene Nase, seine gelbe und durch rote Flecke marmorierte Hautfarbe, alles kündigte bei ihm den Fünfziger und die harte Arbeit seines Berufes an. Der Offizier konnte den Umfang des augenblicklich mit einer Mütze bedeckten Kopfes nur mutmaßen, doch obwohl er unter dieser Hülle verborgen war, schien er ihm einer jener, sprichwörtlich »Quadratschädel« genannten Köpfe zu sein. Durch die Verbindung, in der er mit jenen Männern voller Energie gestanden hatte, die Napoleon an sich zog, gewöhnt, die Züge der zu großen Dingen bestimmten Menschen zu unterscheiden, erriet Genestas ein Geheimnis in diesem ihm unbekannten Leben und sagte sich, als er das ungewöhnliche Gesicht erblickte:
Durch welchen Zufall ist er Landarzt geblieben?
Nachdem er die Physiognomie genau betrachtet hatte, die trotz ihrer Analogien mit anderen menschlichen Gesichtern eine geheime Existenz verriet, die mit all den scheinbaren Gewöhnlichkeiten nicht im Einklang stand, teilte er notwendigerweise die Aufmerksamkeit, die der Arzt dem Kranken widmete; und der Anblick dieses Kranken veränderte den Gang seiner Überlegungen vollkommen.
Trotz der unzähligen Bilder seines Militärlebens fühlte der alte Reiter eine von Entsetzen begleitete Regung der Überraschung, als er ein menschliches Antlitz gewahrte, auf welchem offenbar niemals der Gedanke geglänzt hatte; ein fahles Gesicht, auf dem sich das Leiden naiv und schweigsam ausdrückte, wie auf dem Antlitz eines Kindes, das noch nicht zu sprechen weiß und nicht mehr schreien kann, kurz das ganz tierische Gesicht eines alten sterbenden Kretinen. Der Kretine war die einzige Abart des menschlichen Geschlechts, die der Eskadronschef noch nicht gesehen hatte. Wer hätte beim Anblick einer Stirn, deren Haut eine dicke runde Falte bildete, zweier Augen, die denen eines gekochten Fisches glichen, eines, mit kurzen verkümmerten Haaren, denen die Nahrung fehlte, bedeckten Schädels – eines ganz eingedrückten und der Sinnnesorgane völlig entbehrenden Schädels – nicht wie Genestas ein Gefühl unfreiwilligen Abscheus vor einem Geschöpf empfunden, welches weder die Reize des Tieres noch die Vorzüge des Menschen aufwies, das niemals weder Vernunft noch Instinkt besessen, niemals eine Art von Sprache weder verstanden noch gesprochen hatte? Indem man dies arme Wesen am Ende einer Laufbahn, die kein Leben war, ankommen sah, schien es schwierig zu sein, ihm ein Bedauern entgegenzubringen. Die alte Frau indessen betrachtete es mit einer rührenden Unruhe und fuhr mit ihren Händen über den Teil der Beine, die das heiße Wasser nicht benetzt hatte, mit ebensoviel Zuneigung, wie wenn es ihr Ehemann gewesen wäre. Benassis selber nahm, nachdem er dies tote Antlitz und die lichtlosen Augen betrachtet hatte, sanft behutsam des Kretinen Hand und fühlte ihm den Puls.
»Das Bad wirkt nicht,« sagte er, den Kopf schüttelnd, »legen wir ihn wieder ins Bett!«
Er hob selber diese Fleischmasse empor und trug sie auf die elende Matratze, von wo er sie zweifelsohne hergeholt hatte, streckte sie dort sorgsam aus, indem er die fast kalten Beine geradebog und Hand und Kopf mit der Sorgfalt bettete, die eine Mutter ihrem Kinde angedeihen lassen mag.
»Gewiss, er wird sterben,« fügte Benassis hinzu, der am Bettrande aufrecht stehenblieb.
Die Hände in die Hüften gestützt, sah die alte Frau den Sterbenden an und ließ einige Tränen rinnen. Genestas selbst blieb schweigsam, ohne sich erklären zu können, warum der Tod eines so wenig anziehenden Wesens solch einen Eindruck auf ihn machte. Instinktiv teilte er schon das grenzenlose Mitleid, das diese unglücklichen Geschöpfe in den der Sonne beraubten Tälern, wohin die Natur sie geworfen hat, einflößen. Rührt dieses Gefühl, das bei den Familien, denen die Kretins angehören, in religiösen Aberglauben entartet ist, nicht von der schönsten der christlichen Tugenden, der Barmherzigkeit her, und von dem für die soziale Ordnung so überaus nützlichen Glauben, dem Gedanken an zukünftige Belohnungen, dem einzigen, der uns unsere Unglücksfälle ertragen lässt? Die Hoffnung, die ewige Glückseligkeit zu verdienen, hilft den Eltern dieser armen Wesen und denen, welche um sie herum leben, die Sorgen der Mütterlichkeit und ihres erhabenen Schutzes auszuüben, den man einer untätigen Kreatur, die ihn anfangs nicht begreift und ihn späterhin vergisst, fortgesetzt angedeihen lässt. Eine wunderbare Religion! Sie hat den Beistand einer blinden Wohltat neben ein blindes Unglück gestellt. Da, wo es Kretinen gibt, glaubt die Bevölkerung, dass die Gegenwart eines Wesens dieser Art Glück bringend für die Familie sei. Dieser Glaube dient dazu, ein Leben angenehm zu machen, das inmitten der Städte zu den Härten einer falschen Philanthropie und einer Hospitaldisziplin verdammt sein würde. Im oberen Iseretale, wo sie sehr häufig sind, leben die Kretinen mit den Herden, die zu hüten man sie abgerichtet hat, im Freien. Wenigstens sind sie frei und werden respektiert, wie es das Unglück sein muss.
Seit einem Augenblick läutete die ferne Dorfglocke in regelmäßigen Intervallen, um den Gläubigen den Tod eines von ihnen mitzuteilen. Den Raum durcheilend, gelangte dieser religiöse Gedanke abgeschwächt zu der Hütte, wo er eine sanfte Schwermut verbreitete. Zahlreiche Schritte ließen sich auf dem Wege vernehmen und kündigten das Nahen einer Menge, aber einer schweigenden Menge an. Dann fiel plötzlich detonierender Kirchengesang ein und erweckte jene wirren Gedanken, die sich der ungläubigsten Seelen bemächtigen und sie zwingen, sich den ergreifenden Harmonien der menschlichen Stimme zu überlassen. Die Kirche kam diesem Geschöpf, das sie nicht kannte, zu Hilfe. Der Pfarrer, dem ein von einem Chorknaben gehaltenes Kreuz vorangetragen wurde, erschien im Gefolge des den Weihwasserkessel haltenden Sakristans und von etwa fünfzig Frauen, Greisen und Kindern, die alle gekommen waren, um ihre Gebete mit denen der Kirche zu vereinigen. Der Arzt und der Militär blickten sich schweigend an und zogen sich in einen Winkel zurück, um der Menge Platz zu machen, die in und außerhalb der Hütte niederkniete. Während der trostreichen Zeremonie der letzten Wegzehrung, die für jenes Wesen begangen wurde, das niemals gesündigt hatte, dem aber die Christenwelt Lebewohl sagte, zeigten die meisten dieser groben Gesichter aufrichtige Rührung. Einige Tränen rannen über raue, durch die Sonne rissig gewordene und von den Arbeiten in freier Luft gebräunte Backen. Dieses Gefühl freiwilliger Verwandtschaft war ganz schlicht. Niemanden gab es in der Gemeinde, der dies arme Wesen nicht beklagt, der ihm nicht sein tägliches Brot gereicht hätte; war ihm nicht ein Vater in jedem kleinen Jungen, in dem lustigsten kleinen Mädchen nicht eine Mutter begegnet?
»Er ist gestorben,« sagte der Pfarrer.
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