Название: Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten
Автор: Stefan Zweig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027208203
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Und magisch flutet alles, was er je versucht und gewollt hat, in gereinigteren, erhobeneren Formen heran, alles beschwichtigt von diesem Gefühl letzter Verbundenheit und Versöhnung. Alle Leidenschaften seiner dreißig Jahre sind plötzlich gestaltet da, aber nicht mehr herrscherisch und übertreibend, sondern gesänftigt und geklärt. Guiskards toll aufgereckter Ehrgeiz hat eines Jünglings reine tatselige Feurigkeit in dem jungen Helden Homburg gewonnen, der mordgierige, keulenschwingende, barbarische Patriotismus der »Hermannsschlacht« ist gemildert und vermännlicht zu einem wortlos-ernsten Vaterlandsgefühl, Kohlhaasens Rechthaberei und juridischer Starrsinn vermenschlicht zu klarer Wahrung des Gesetzes in der Gestalt des Kurfürsten, der Zauberapparat des Käthchens blaut nur wie ein süßer Mondschein über der sommerlichen Gartenszene, wo der Tod wie ein Duft vom Jenseits herweht, und Penthesileas Brünstigkeit, die aufgeraste Lebensgier verebbt zu still sehnsüchtigem Gefühl. Zum erstenmal schwellt durch ein Werk Kleistens ein ganz verborgener Ton von Güte, ein Hauch von milder Menschlichkeit und von Verstehen: auch diese letzte Saite, die silberne, an die er nie gerührt, nun klagt sie die düstere Melodie harfend hinein. Alles ist plötzlich versammelt, was einen Menschen bewegt, und wie man von Sterbenden erzählt, daß in ihren letzten Minuten ihr ganzes Leben gedrängt wiederkehre, so rauscht die ganze Vergangenheit, das scheinbar falsch gelebte Leben an dieses letzte Werk heran: alle Fehler, alle Irrtümer, alle Versäumnisse, alles was sinnlos und vergeblich schien, bekommt in dieser Gestaltung mit einmal einen Sinn. Die Kantische Philosophie, mit der sich der Zwanzigjährige das Herz zerquält, die ihn als »Lebensplan« fast erstickte – jetzt formuliert sie dem Kurfürsten die Worte und steigert die bloß monarchische Gestalt ins Geistige. Die Kadettenjahre, die militärische Erziehung, tausendmal verflucht – nun ersteht sie in dem prachtvollen Fresko der Armee, diesem Hymnus auf die Solidarität der Gemeinschaft. All dem er sich entrungen, die Tradition, die Zucht, die Zeit, nun steht es wie ein Himmel über seinem Werk, zum erstenmal schafft er aus einer innern Heimat, aus der Blutbestimmtheit seines Wesens. Zum erstenmal ist die Luft entschwült, die Spannungen nicht mehr quälend und nervenvibrierend, zum erstenmal rollen die Verse klar, zwängen und drängen sich nicht, zum erstenmal ertönt Musik. Die Geisterwelt, sonst dämonischer Aufschwall der Tiefe, schwebt nur wie eine Dämmerung über dem irdischen Spiel, ein Klang von der Süße der letzten Shakespeareschen Dramen, jenes heiteren Erkennens und Erlösens, senkt den Vorhang über eine harmonische Welt.
Der »Prinz von Homburg« ist Kleistens wahrstes Drama, weil es sein ganzes Leben enthält. Alle Überkreuzungen und Überschneidungen seines Wesens sind darin, die Lebensliebe und die Todesnot, die Zucht und der Überschwang, das Ererbte und das Erlernte: nur hier, wo er sich ganz erschöpft, wird er ganz wahr über sein eigenes Wissen hinaus. Darum auch dieser geheimnisvoll prophetische Klang in der Sterbeszene, der Rausch des Freitodes, die Angst vor dem Schicksal – vorausgedichtete Stunden seines Todes und gleichzeitig Zurückleben des ganzen früheren Lebens. Nur Todgeweihte haben dieses höchste Wissen, diesen Doppelblick ins Vergangene und Zukünftige, nur der »Homburg« und der »Empedokles« von allen deutschen Dramen schenken uns diese geisterhafte Musik, die schon selbst wie ein Überklang ins Unendliche ist. Denn nur letzte Not vermag die Seele ganz aufzuschmelzen, nur die reinste Resignation die Sphäre zu erreichen, wo die Leidenschaft sich längst ermüdet; was es dem Gierigen und seinem zornigen Ansprang beharrlich versagte, schenkt Kleisten das Schicksal gerade in jener Stunde, da er nichts mehr erhofft: die Vollendung.
Todesleidenschaft
Das Äußerste, das Menschenkräfte leisten, Hab ich getan – Unmöglichstes versucht. Mein alles hab ich an den Wurf gesetzt. Der Würfel, der entscheidet, liegt, er liegt. Begreifen muß ichs – und, daß ich verlor.
Penthesilea
Auf der höchsten Höhe seiner Kunst, im Jahr des »Homburg«, erreicht Kleist verhängnisvollerweise auch die höchste Stufe seiner Einsamkeit. Nie war er weltvergessener, zielverlorener in seiner Zeit, in seiner Heimat: das Amt hat er weggeworfen, seine Zeitschrift ist ihm verboten worden, seine innere Mission, Preußen an die Seite Österreichs in den Krieg zu reißen, bleibt vergeblich. Sein Urfeind Napoleon hält Europa als gedemütigte Beute in Händen, der König von Preußen wird sein Verbündeter, nachdem er sein Vasall geworden ist, Kleistens Stücke wandern unerledigt von Bühne zu Bühne, werden verhöhnt vom Publikum oder vom Direktor lässig abgetan, seine Bücher finden keinen Verleger, er selbst nicht das niederste Amt; Goethe hat sich von ihm abgewandt, die andern kennen ihn kaum und achten ihn nicht, die Protektoren haben ihn fallenlassen, die Freunde ihn vergessen: als letzte verläßt ihn noch die Treueste, die einst so »pyladisch gesinnte Schwester« Ulrike. Jede Karte, auf die er gesetzt, ist verloren, und die letzte, die höchste, die er noch in Händen hat, das Manuskript seines Meisterwerkes »Prinz Friedrich von Homburg«, kann er nicht mehr ausspielen: er sitzt an niemandes Tisch mehr, und keiner traut seinem Einsatz. Da versucht er es noch einmal, aus monatelanger Verschollenheit auftauchend, mit der Familie: noch einmal fährt er hinüber nach Frankfurt an der Oder zu den Seinen, sich die Seele zu letzen an einer Handvoll Liebe, aber sie streuen ihm Salz in die Wunden und Galle auf die Lippen. Jene Mittagsstunde im Kreise der Kleiste, die auf den entlassenen Beamten, den verkrachten Zeitungsherausgeber, den mißglückten Dramatiker wie auf einen ihrer Familie Unwürdigen hochmütig herabblicken, bricht ihm das Rückgrat: »Wollte ich doch lieber zehnmal den Tod erleiden, als noch einmal wieder erleben«, schreibt er verzweifelt, »was ich das letztemal in Frankfurt an der Mittagstafel empfunden habe.« Er ist ausgestoßen von den Seinen, zurückgestoßen in sich selbst, in die Hölle seiner eigenen Brust: mit verdüsterter Seele, beschämt und erniedrigt bis unter die Haut, taumelt er nach Berlin zurück. Ein paar Monate schleicht er in abgetragenen Schuhen und defekten Kleidern dort herum, petitioniert in den Ämtern um ein Amt, bietet (vergeblich) seinen Roman, seinen »Homburg«, seine »Hermannsschlacht« den Buchhändlern an, verdüstert seine Freunde mit seinem Anblick: schließlich wird alles seiner müde, so wie er alles Suchens müde ist. »Meine Seele ist so wund«, klagt er erschütternd in jenen Tagen, »daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir daraufschimmert.« Alle seine Leidenschaften sind zu Ende, alle Kraft vertan, alle Hoffnung verbraucht, denn:
Machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr, Und wie er flatternd das Panier der Zeiten Sich weiterpflanzen sieht von Tor zu Tor, Schließt er sein Lied; er wünscht mit ihm zu enden Und legt die Leier tränend aus den Händen.
Da in diesem ungeheuersten Schweigen, das jemals (vielleicht nur bei Nietzsche) um einen Genius stand – rührt eine dunkle Stimme an sein Herz, ein Ruf, der ihn immer sein ganzes Leben lang in den Augenblicken der Entmutigung, der Verzweiflung angeklungen: der Todesgedanke. Von frühester Jugend begleitet ihn diese Idee des Freitodes, und so wie er, ein halber Knabe noch, sich einen Lebensplan gefertigt, so war auch der Todesplan längst vorgedacht: immer wird der Gedanke mächtig in den Stunden der Unmacht, dann taucht er wie ein dunkler Fels, wenn die Flut der Leidenschaft, der aufgischtende Schwall der Hoffnung zurückebbt, in seiner Seele auf. Nicht zu zählen sind in Kleistens Briefen und Begegnungen diese fast brünstigen Schreie nach dem Ende, ja man könnte fast die Paradoxie wagen, zu sagen: er konnte das Leben überhaupt nur dadurch so lange ertragen, daß er stündlich bereit war, es wegzuwerfen. Immer will er sterben, und wenn er so lange zögert, ist es nicht aus Furcht, sondern aus dem Übertreiblichen, aus dem Exzessiven seiner Natur, denn auch den Tod will Kleist in Riesenmaßen, in einer Exaltation, einem Überschwang: er will nicht klein, nicht erbärmlich, nicht feige sich töten, er begehrt, wie er in jenem Briefe an Ulrike schreibt, »einen herrlichen Tod« – selbst dieser finsterste, abgründigste Gedanke hat bei Kleist noch eine Lustbetonung, eine rauschhafte Wollüstigkeit. Er will sich in den Tod stürzen wie in ein ungeheures Brautbett, und in merkwürdigster Verschränkung träumt er sich den Tod als zweiseligen Untergang. Irgendeine Urangst – er hat sie unsterblich gemacht in der Szene des Prinzen von Homburg – läßt ihn, den Einsamsten, СКАЧАТЬ