Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band) - Joachim Ringelnatz страница 56

Название: Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203710

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СКАЧАТЬ sie mich einkleiden. Seewehr zwo.«

      »Freust du dich gar nicht darauf, Soldat zu werden?«

      Der andere lachte wie über eine törichte Frage. »Man muß doch. Es dienen jetzt doch alle.«

      »Gewiß, gewiß!« Und der Lange tastete die Kisten ab nach dem Paket, das er entfaltete. Er tastete den Umfang des Brotes und der Wurst ab und begann in derben Bissen zu schlingen. Dabei war es ihm nicht einmal möglich, seinen Oberkörper vollständig aufzurichten.

      Der norwegische Dampfer tutete. Ein Sirenenheulen wand sich empor. Das Quirlen der Schraube setzte ein und erschütterte den schwimmenden Eisenbau. »Hurra!« jauchzte der Lange, indem er den Nachbar knuffte. »Jetzt sind wir frei.«

      »Was hast du dem Steward für die Überfahrt gezahlt?« fragte dieser.

      »Hundert Peseten.«

      »Ja so, du bist von feinen Eltern.« Das war ohne Spott gesagt.

      »Ich besitze nur selbstverdientes Geld, aber ziemlich reichlich, und kann dir daher die weitere Heimreise mit Vergnügen bezahlen.«

      »Dazu gibt mir der Konsul in Genua Geld. Auch hier bekam ich täglich Unterstützung. Warst du denn nicht beim deutschen Konsul?«

      »Nein.«

      »Also hast du wohl auch keinen Paß?«

      »Nee.«

      »Das ist windig. Ich komme mit meinem Paß durch, aber du darfst dich beim Landen nicht kitschen lassen, sonst schicken sie dich gleich wieder zurück. Wenn wir also morgens einlaufen, dann laß uns ruhig noch bis abends in diesem Loch bleiben, bis die Schauerleute ausscheiden; und dann sehen wir zu, wie wir uns am Wachtmann vorbeikreuzen.«

      »Wir«, wiederholte der Lange gerührt; »Landsmann, nichts für ungut; ich habe dich anfangs für unliebenswürdig und gefühllos gehalten, weil du so schweigsam –«

      »Ja, ich kann nicht so reden wie du«, fiel ihm der andere ins Wort.

      »Du bist ein braver Kerl; laß uns gute Freundschaft halten.«

      »Schön!« sagte der Fremde und drückte mit ehernen Fingern die Hand, die nach der seinen tastete. Aus seiner Antwort war zu entnehmen, daß er amüsiert lächelte.

      »Wie heißt du eigentlich? – Wie? – Heinrich Klein? – – Ich? Ach, ich! – Ich heiße – mein Name ist Tilger, Rein – Reuhard Tilger.«

      In diesem Augenblick legte sich das Schiff stark nach Steuerbord über, so daß sie beide mit den Köpfen gegen die vordere Kistenwand schlugen. Damit fing es an, aufs heftigste zu stampfen und zu rollen. Sie mußten sich mit Rücken, Armen und Zehen feststemmen, um nicht hin und her geworfen zu werden. An Schlaf war vollends nicht mehr zu denken. So kämpften sie stundenlang mit erlahmender Muskelkraft gegen den zunehmenden Seegang an, stöhnten, fluchten, gähnten und schwiegen oder schwatzten eine Weile in schleppenden Sätzen über ihre Seefahrten, ihre nächste und fernere Zukunft, über Kleins ländliche Braut, über Krieg, Engländer und den lieben Gott. Dazwischen rechneten sie und taxierten, wie spät es ungefähr sei, und schwiegen wieder oder jammerten, hin und her rutschend, leise vor sich hin.

      Plötzlich brachen sie ein Gespräch ab.

      »Nun?« fragte der Lange.

      »Die Maschine stoppt?« fragte Klein.

      Im ersten Moment hat es für den Dampfermatrosen stets etwas Beängstigendes, wenn der permanente Rhythmus der Maschine unversehens aussetzt, wenn ihr Atem stockt. Für die Deutschen war besonderer Grund vorhanden, besorgt zu sein. Reuhard Tilger sprach es aus: »Die Franzosen!«

      »Kriegszone?« meinte Klein unsicher. »Nein, unmöglich.«

      Sie horchten verhaltenen Atems, ohne Bestimmteres zu ergründen. »Vielleicht Maschinenschaden.«

      »Mann über Bord?« So rieten sie hin und her, bis die Maschine wieder ansprang.

      »Lotse!« triumphierte Tilger.

      »Nein«, sagte Klein bestimmt.

      Wieder stieg und stürzte der Boden unter ihnen und mit ihnen. Schwere Brecher prallten gegen die Bordwand. Irgendwo rollte donnernd ein Balken vorwärts und rückwärts über Eisen. Da verursachte ein Rasseln neue Spannung. In die Finsternis der Höhle Schossen zwei Strahlen gebrochenen Taglichtes, ein feiner und ein stärkerer. Der feine brach seitlich zwischen den Mehlfässern herein, der stärkere fiel aus einem Spalt von oben und traf Heinrich Klein mitten ins Gesicht.

      Auf dieses Gesicht warf Reuhard unverzüglich einen raschen, unbescheidenen Blick, dann einen zweiten auf seine Taschenuhr, während er mit kalter Angst vernahm, wie jemand die Leiter herabklomm. Ein Gegenstand wurde durch den oberen Spalt herabgeschoben; eine Stimme rief leise auf Englisch:

      »Ein Bissen Speck! He, da unten! Alles klar?«

      »Allright«, gab Klein zurück, »warum stoppen wir?«

      »Maschine heiß gelaufen. Bleibt und schweigt!«

      Damit entfernte sich der Steward wieder, und indem er, an Deck angelangt, die Luke zuschlug, tötete er die zwei Strahlen himmlischen Lichtes.

      »Klein, du bist nun bald achtundvierzig Stunden in dieser Box«, sagte Tilger; dann dachte er über das grobe, knochige Gesicht nach. Es hatte durch eine platte Nase, eine senkrechte Stirn, sowie durch struppiges Kinn- und Barthaar etwas Pinscherhaftes. Aber unter den ausgewucherten Brauen blinkten aus weit entblößter Augenweiße blaue Siegel der Ehrlichkeit.

      Klein knitterte mit Papier. »Speck und Schokolade!« sagte er trocken. Sie teilten und aßen, während sie immer einen Arm gebrauchten, sich festzuklemmen. Ihre Hände, ihre Haut, ihre Kleider klebten von Schmutz und Schweiß. Ihre Nasenlöcher waren von Staub verstopft. Sie empfanden Schmerzen im Leib, im Genick, im Gesäß, und Klein lamentierte über Wadenkrämpfe. Die Luft in dem Loche verschlechterte sich unerträglich.

      Einmal täglich brachte der Steward etwas Nahrung. Am zweiten Tage ließ er eine Tüte voll Wasser durch den Spalt, ihr Inhalt ging jedoch zum größten Teil verloren.

      Noch immer schüttelte das Unwetter die Flüchtlinge wie Käfer in einer Schachtel herum; sie leisteten nur mehr schwachen Widerstand.

      Auch stoppte die Maschine abermals eines Schadens wegen. Es kletterten zwei Heizer in den Proviantraum und machten sich dort – Klein beobachtete es durch den seitlichen Spalt – mit Schlosserwerkzeug in einem Winkel zu schaffen.

      »Wenn das Schiff absäuft«, sagte der Lange nachdenklich, nachdem die ahnungslosen Heizer den Raum wieder verlassen hatten, »würde kein Mensch je erfahren, wo wir abgeblieben sind.«

      Der Dampfer nahm seine Fahrt von neuem auf. Ermattet schwiegen die Deutschen. Die Gedanken verschwammen ihnen. Immer gleichgültiger überließen sie sich dem Schiff und dem Schicksal. Mehrmals überfiel sie eine schlafähnliche Schwäche, in der sie für kurze Dauer ihre Schmerzen und ihre Sorgen vergaßen. Allmählich mäßigten sich die Schwankungen des Schiffes.

      Es geschah am dritten Tage, daß wiederum die Maschine verstummte und Klein und Tilger aus ihrer Lethargie jäh aufschraken. Ein quietschendes Rollen, dann hohles Aufschlagen an der Bordwand bewies ihnen, СКАЧАТЬ