Название: Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert)
Автор: Walter Benjamin
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788075834935
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Der Geist blieb vor einer Geschäftstür stehen und fragte Scrooge, ob er sie kenne.
»Ob ich sie kenne?« meinte Scrooge. »Habe ich hier nicht gelernt?«
Sie gingen hinein. Beim Anblick eines alten Herrn mit einer französischen Perücke, der hinter einem so hochragendem Pulte saß, daß er mit dem Kopfe hätte an die Decke stoßen müssen, wenn er zwei Zoll größer gewesen wäre, rief Scrooge in großer Munterkeit: »Ach, das ist ja der alte Fezziwig; bei Gott, es ist Fezziwig, wie er leibt und lebt!«
Der alte Fezziwig legte seine Feder hin und sah nach der Uhr, deren Zeiger auf Sieben wies. Er rieb die Hände; zog seine umfangreiche Weste in Ordnung, lachte über und über, von den Fußspitzen zur wohlwollend klingenden Kehle, und rief mit einer komfortablen, voll und doch mild tönenden, heiteren Stimme: »Heissa dort! Ebenezer! Dick!«
Scrooges früheres Selbst, jetzt zu einem Jüngling geworden, trat dienstbeflissen herein, begleitet von seinem Mitlehrling.
»Dick Wilkins, wahrhaftig!« sagte Scrooge zu dem Geist. »Wahrhaftig, er ist es. Er war mir sehr verbunden, der Dick. Der arme Dick! Gott, Gott!«
»Heissa, Burschen«, sagte Fezziwig. »Feierabend heute. Weihnachten, Dick! Weihnachten Ebenezer! Schluß machen«, rief der alte Fezziwig, munter die Hände zusammenklatschend, »ehe einer sagen kann: Jack Robinson.«
Schluß machen! Man hätte nicht glauben sollen, wie frisch die beiden Jungen Schluß machten. In einer Minute war’s geschehen. Sie liefen mit den Fensterladen hinaus – eins, zwei drei – hatten sie sie eingehängt – vier, fünf, sechs – sie zugezogen und verriegelt – sieben, acht, neun – und kamen zurück, ehe man bis zwölf zählen konnte, außer Atem, wie Rennpferde.
»Heissa hallo!« rief der alte Fezziwig, mit wunderbarer Behendigkeit von seinem hohen Sessel herunterspringend, »räumt die Bude leer, Jungens, und schafft Platz! Hussaho, Dick! Hallo Ebenezer!«
Aufräumen! Sie würden alles weggeräumt haben und konnten alles wegräumen, während Fezziwig zuschaute. Im Handumdrehen war’s getan. Alle« was nicht niet-und nagelfest war, wurde in die Ecke geschoben, als wenn es für immer aus dem offiziellen Dasein verabschiedet sei; der Flur wurde gefegt und gesprengt, die Lampen geputzt, Kohlen auf das Feuer geschüttet! und der Geschäftsraum war so behaglich und warm und hell, wie ein Ballsaal, wie man ihn sich nur an einem Winterabend wünschen kann.
Jetzt trat ein Geiger mit einem Notenbuch herein und erkletterte Fezziwigs hohen Stuhl, um dort sein Orchester aufzuschlagen, und fiedelte dort für fünfzig. Dann trat Mrs. Fezziwig ein. Dann kamen die drei Misses Fezziwig, freudeglänzend und liebenswürdig. Dann nahten sich die sechs Jünglinge, deren Herzen sie knickten. Dann kamen die Burschen und Mädchen, die im Hause beschäftigt waren. Das Hausmädchen mit ihrem Vetter, dem Bäcker, die Köchin mit ihres Bruders vertrautem Freunde, dem Milchmann. Dann kam der Laufbursche von gegenüber, von dem man sagte, er habe bei seinem Herrn knappe Kost. Er versuchte, sich hinter dem Mädchen aus dem Nachbarhause zu verstecken, der man bewies, sie sei von ihrer Herrschaft ausgescholten worden. Sie kamen alle, einer nach dem andern; einige verlegen, andere keck, einige mit Geschick, andere blöderer Art, diese zerrend und jene stoßend. Dann ging es los, zwanzig Paare auf einmal, eine halbe Runde hin und zurück, dann die Mitte des Zimmers hinauf und wieder herab, dann in verschiedenen Kreisen sich drehend; das alte erste Paar blieb immer an der falschen Stelle stehen, das neue erste Paar fuhr immer wieder fort, wenn es stehenbleiben sollte. Schließlich standen alle Paare als erste da und kein einziges mehr als letztes. Als das Resultat erreicht war, klatschte der alte Fezziwig in die Hände, um den Tanz zu beenden, und rief »Bravo!« und der Geiger tauchte sein heißes Gesicht in einen Krug Porter, der besonders zu diesem Zwecke neben ihm stand. Aber kaum war er wieder daraus aufgetaucht, so fing er schon wieder an aufzuspielen, obgleich noch keine Tänzer wieder bereit waren. Es war, als wenn der eine Geiger erschöpft auf einer Bahre heimgetragen worden sei, und er ein ganz frisch importierter sei, entschlossen, ihn auszustechen oder zu vernichten.
Dann folgten noch mehrere Tänze und Pfänderspiele und wieder Tänze. Dann kam Kuchen und Negus und ein großes Stück kaltes Roastbeef, Fleischpasteten und Bier in Überfluß. Aber der Höhepunkt des Abends setzte ein nach dem Rindfleisch, als der Geiger (ein pfiffiger Kopf; er kannte sein Geschäft besser, als du, verehrter Leser, oder ich es ihn hätte lehren können) anhob »Sir Reger de Coverley« zu spielen. Da stellte sich der alte Fezziwig mit Mrs. Fezziwig an, und zwar als das erste Paar. Sie hatten allerhand zu leisten, drei-oder vierundzwanzig Paare tanzten mit, Leute, mit denen nicht zu spaßen war, Leute, die tanzen wollten und doch kaum richtig gehen konnten.
Aber wenn es doppelt, ja viermal soviel gewesen wären, hätte es der alte Fezziwig mit ihnen aufgenommen und auch Mrs. Fezziwig. Was sie betraf, so war sie im vollen Sinne des Wortes würdig, seine Tänzerin zu sein. Wenn das kein großes Lob ist, so nennt mir ein größeres, und ich will es verkünden. Fezziwigs Waden schienen wirklich zu leuchten. Sie glänzten bei jedem Teil des Tanzes wie ein Paar Monde. Ihr hättet zu keinem Augenblick voraussagen können, was aus ihnen im nächsten werden würde. Und als der alte Fezziwig und Mrs. Fezziwig sich in allen Touren des Tanzes produziert hatten: in Vorwärts und Rückwärts, im Hin-und Herschwenken, Kompliment und Verbeugung, Umeinandertanzen, Sich-um-sich-selbst-Drehen, Zurücktanzen zum Standquartier, sprang zum Schluß Fezziwig so herzhaft in die Lüfte, daß er mit den Beinen zu winken schien, und kam dann, ohne zu wanken, wieder auf die Füße.
Als die Glocke elf schlug, war dieser häusliche Ball zu Ende. Mrs. und Mr. Fezziwig stellten sich zu beiden Seiten der Tür auf, schüttelten jedem einzelnen der Gäste die Hand zum Abschied und wünschten ihm oder ihr fröhliche Weihnacht.
Als alle, außer den zwei Lehrlingen, fort waren, wünschten sie diesen das gleiche. So verging der vergnügliche Lärm, und die Burschen gingen in ihre Betten, die sich unter einem Ladentisch in der hintersten Niederlage befanden.
Während dieser ganzen Zeit hatte sich Scrooge wie närrisch gebärdet. Sein Herz und seine Seele waren bei dem Ball und seinem ehemaligen Selbst. Er erkannte alles wieder, erinnerte sich an alles, freute sich über alles und befand sich in der merkwürdigsten Aufregung. Nicht eher, als bis die fröhlichen Gesichter seines ehemaligen Selbst und Dicks verschwunden waren, fiel es ihm ein, daß der Geist neben ihm stehe und ihn betrachtete, indessen das Licht auf seinem Haupt in voller Klarheit brannte.
»Eine Bagatelle genügt«, sagte der Geist, »um diese närrischen Leute so dankerfüllt zu machen.«
»Eine Bagatelle«, gab Scrooge zurück.
Der Geist gab ihm ein Zeichen, den beiden Lehrlingen zuzuhören, die ihr Herz in Lobpreisungen auf Fezziwig erleichterten; und als Scrooge das getan hatte, meinte der Geist: »Nun, ist es nicht so? Er hat nur ein paar Pfund Eures irdischen Geldes hingegeben; vielleicht drei oder vier. Macht das soviel aus, daß er deshalb Lob verdient?«
»Das ist’s nicht«, sagte Scrooge, durch diese Bemerkung gereizt, und wie sein früheres, nicht wie sein jetziges Selbst sprechend. »Das ist es nicht, Geist. Er hat die Macht, uns glücklich oder unglücklich, unsern Dienst zu einer Last oder zu einer Bürde, zu einer Freude oder zu einem dauernden Schmerz zu machen. Du kannst sagen, seine Macht liege in Worten und in Blicken, in so unbedeutenden und kleinen Dingen, daß es unmöglich ist, sie herzuzählen. Was schadet das? Das Glück, das er bereitet, ist so groß, als ob es sein ganzes Vermögen gekostet hätte.
Er fühlte des Geistes Blick und schwieg.
»Was ist los?« fragte der СКАЧАТЬ