Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 7

СКАЧАТЬ jetzt steigst du noch ein wenig auf dem Schutt herum, daß es dir am Morgen nicht mehr so schrecklich ist. Ich hole mir die Schlüssel beim Förster, denn die Tore stehen ja noch. Der hat eine große Freude und tut mächtig geheimnisvoll. Es knarrt das alte Tor mit dem Ton, den ich so oft im Traum gehört, es ist ganz wie ehemals. Einen Augenblick muß ich noch die Augen zumachen und die Zähne zusammenbeißen vor dem, was kommt, denn jetzt müßte dort die Palaswand aufsteigen, die beiden Hunde hervorstürzen, ich müßte des Vaters Stock hören. Aber wie ich aufschaue, ist's doch wieder ganz anders als ich gedacht. Der Wald hat schon wieder ein wenig Besitz genommen, dort an der Mauerwand rauscht noch unversehrt der Brunnen, ein später Amselschlag hat sich darin verfangen, und er klingt und klingt. Ein wilder Rosenstrauch hängt über dem Brunnen, und eine der Linden lebt auch noch, ohne Krone zwar, an einer Seite kahl, aber die andere hat die treue, gute mit tausend gelben Büschlein behängt. Und es riecht nach Heimat. Der Förster führt mich durch einen Steinwall, den er selbst geschichtet hat, zu einer Stelle, wo herabgestürzte, halb verkohlte Balken ein Dach gebildet haben. Eine rohe Bretterwand, dahinter eine Tür. Die Hofstube tut sich auf. Dort saßen in früheren Zeiten die Knechte, und der ganze große und hohe Raum mit seinen vier tiefen Fensternischen ist unversehrt. Die Fenster verdeckt freilich der Schuttberg. Damals, jetzt nicht mehr. Der grüne Kachelofen steht noch da, der Tisch, die langen Bänke, altes Zinnwerk. Daneben ist noch eine Kammer, wo in früheren Zeiten der Knecht, der die Feuerwache hatte, sich aufhielt. Und da stand noch ein uraltes Bett und ein grünglasiertes Waschbecken. Davon habe ich zuerst Besitz ergriffen, habe mir das am singenden Brunnen gefüllt und mit seinem Wasser mir viel, sehr viel vom Herzen gespült. Und obgleich der Förster, der dies alles im letzten Winter, als er einer Fuchsspur nachging, entdeckt und geheim gehalten hatte, es nicht dulden will, so bin ich die Nacht dageblieben.«

      »O, ich will den singenden Brunnen hören. Nimm mich mit zu dir.«

      »Ja, hast du denn das alles gehört, Seelchen, nun, dann hör auch auf mein Geheimnis. Ich dachte, du schliefest. Wenn es die Leute hörten, wie würden sie über den verrückten Ruinengrafen lachen. In der ersten Nacht schon, wie ich da auf dem alten Knechtsbett lag, habe ich's gewußt. Wer eine solche Heimat hat wie ich, die so vielen lebendigen Herzen einst das Höchste war, um die sie geblutet haben in vielen Schlachten, in deren Frieden ihre Kindlein spielten, in deren Schatten sie sich zur letzten Ruhe legten, der darf sie nicht verlassen, ihr nicht untreu werden, muß an seinem Teil und so gut er es kann, sorgen, daß die, die nach ihm kommen, das köstliche Gut bekommen, das ihm die Alten hinterlassen. Der Thorsteiner, der vor achthundert Jahren mit seinen Bauern die Steine zu dem festen Haus zusammentrug, hat es auch hart gehabt. Vielleicht nicht so hart wie der letzte, der da auf dem Knechtsschragen liegt. Vielleicht. Und wenn er jetzt da hereinschritte, durch die Türe, mit seinem harten braunen Gesicht unter der eisernen Sturmhaube, möcht ich mich nicht unter seinem Blick winden müssen. Und darum ist mir nicht eine Stunde wohl geworden in meiner Haut, von da an, wo ich wußte, daß die Dohlen und Turmkrähen über ihren zerstörten Nestern herumflattern. Sie haben nach mir verlangt, die Väter, und mir keine Ruhe gelassen, und sind hinter mir drein auf der Ebene geritten, wo die Wolken so tief herabhängen. Und wenn ich zwischen den Vorortbahnen und ihren hundert Lichtern und dem Menschengewühl der armen Heimatlosen im Berliner Norden herumstieg, haben sie an mein Herz gestoßen, daß es mir klar wurde, warum die so ruhelos sind, so verbittert, so unstät, so pflichtlos oft. Weil das deutsche Herz nach einer Heimat schreit. Hat es keine mehr, an der noch die Sitten, die Taten, die Leiden der Alten hängen, so muß es suchen gehen und wird unruhig und füllt sich mit allerhand, was es hin und her reißt und nimmer satt werden läßt.

      Und ich baue sie wieder auf, meine Heimat. Manchen Kampf darob habe ich mit dem alten Herrn gehabt. Denn zuerst da sollte es wieder werden, wie es gewesen ist mit seinem Turm und Wall und Ecken und Winkeln. Aber der alte Herr unter seinem eisernen Sturmdach lacht mich grimmig aus. Von der Million, die ich dazu brauchte, und ob ich die mit Tapetenzeichnen zu verdienen gedenke, redet er nicht. Brauchst du denn eine Festung? Bilde dir nicht ein, daß du könntest mit allen Rissen und Plänen, die du machen magst, – was wir konnten. Wir bauten, weil wir nicht anders konnten. Und gegen wen willst du in deinen Wällen Geschütz auffahren? Gegen die Hollacher? Da versank der schöne Traum, und ich habe ihm auf meinem Schragen wie ein Bub nachheulen müssen. So wird's nun eben ein festes gutes Haus. Und wenn ich mich darum mein Lebtag nicht besser betten kann als auf dem Knechtsschragen. Und zuerst habe ich mit meinen zwei Händen angefangen und dabei das Berliner Elend hinausgeschwitzt. Der erste Herr von Thorstein wird auch seine Schultern angestemmt haben, wenn ein gar zu schwerer Stein das letzte Eck am Schloßberg heraufkam. Woher wären denn die meinen so breit? Und heutzutage, wo die Kinder schon mit dem Rundreisebillett im Steckkissen ankommen, muß es auch noch Leute geben, die wissen, wo sie hingehören und für was sie leben und vielleicht sterben müssen.«

      »Aber du baust dein Dach wieder dorthin, wo der Himmel so leer ist zwischen den Bäumen, daß du wieder hinsehen magst,« flüstert ein halbträumendes Stimmchen.

      Er erschrickt fast, so gut hat sie aufgemerkt. Nun, bis morgen wird sie alles vergessen haben.

      Und jetzt blinkt plötzlich ein goldenes Licht durch das weiße Gegitter eines Holunders. Der lange Thorsteiner klopft an einen Fensterladen, ein Frauenkopf fährt heraus. Von ihrer ungeheuren Nachricht ist die Gute so bedrängt, daß sie es sofort, eh sie noch weiß, was er will, weitergeben muß.

      »Wissen Sie's schon, Herr Graf, drüben die Prinzessin, das Arme, das nicht so recht im Kopf ist, ist ertrunken im Wach. Seit vier Uhr suchen sie's mit Stangen und Fackeln.«

      »Unsinn, Frau Scheiterlein, schnell packe Sie Peterles Strümpfe und Sonntagsschuhe in einen Korb und komme Sie zu mir, aber schnell.«

      Und schon ist er mit seinen langen Schritten weiter. Wieder eine Reihe hoher Bäume, dann eine Mauer. Und nun kommt's. Dem Kinde, das sich vor der Stimme der Frau ganz in seine Hüllen verkrochen hat, klopft das Herz. Denn nun kracht und brummt und stöhnt das Tor.

      »Der singende Brunnen, du!«

      Aber der schläft. Durch graues Gestein, ein Lichtlein schimmert, ein hoher großer Raum tut sich auf, aus dem eine wohlige Wärme und ein köstlicher Duft ihnen entgegenschlägt. Ein herrlicher, großer Tannenbaum auf einem Aufbau von Moos und Steinen, und darunter etwas Wunderbares, das das Kinderherz höher schlagen macht.

      Nun läßt er sie heruntergleiten. Ein langer Kaliban steht vor seinem Herrn, den er ansieht wie ein treuer Hund, der jede Bewegung vorauszuberechnen scheint. Zwei Schriftstücke bedeckt der Haus- und Schloßherr mit langen, eiligen Zügen.

      »Wenn du's gewinnen kannst, vor acht Uhr, Märt!«

      Und mit eiligen Schritten verschwindet der Bursche und läßt gerade noch die Frau Scheiterlein mit Peterles Strümpfen ein.

      »Nun, Frau Scheiterlein, wie fühlt Sie sich als dame d'honneur?«

      Die Frau macht eine wilde Armbewegung, und mit einem Schwall von ihm unverständlichen Worten wird das Kind in den Salon geleitet, der in einer der vier Fensternischen bequem Platz hat, wo sie mit vielem Protest zwar – weil sie voll Stacheln seien – Peterles Strümpfe anziehen muß, während er im Nebenraum seine Toilette macht. Sie wird nicht eleganter dadurch. Peterles Schuhe erweisen sich als zu drückend und werden unnötig erfunden, Peterles Strümpfe stehen von selbst.

      Und nun erhebt sich die schwierige Frage: »Frau Scheiterlein, was kann Sie kochen?«

      Ein Zündhölzchen flammt und unter einer Teemaschine hüpft ein blaues Flämmchen. Frau Scheiterlein kann vielerlei kochen, Pfannkuchen, Eierschmarren; aber sie empfiehlt einen guten, festen Kindlesbrei als in allen schwierigen Lebenslagen das beste für hoch und nieder. Bei hoch macht sie einen kleinen Knix. Dann geht sie ab, und man hört bald draußen ein Feuer knistern.

      Aus dem braunen Tuch, das zum Verlüften hinausbefördert СКАЧАТЬ