»Muß ich das?« fragte er mit einem Anflug von Schüchternheit, und als sowohl Herzlieb als Miß Herbert ihm lächelnd zunickten, nahm er sein kleines Herz in beide Hände und trat entschlossen einen Schritt vor. Aller Augen richteten sich auf ihn, und er stand da mit seinem schönen, unschuldigen Kindergesicht, das einen rührenden Ausdruck von Tapferkeit trug, und begann, so laut er konnte, zu sprechen, so daß die hohe klare Stimme weithin vernehmbar war.
»Ich danke Ihnen so sehr! und ich hoffe, daß Sie an meinem Geburtstag recht vergnügt sind – weil ich auch so sehr vergnügt bin – und ich – ich freue mich auch sehr, daß ich Graf werden soll – im Anfang, da hab' ich mich nicht so gefreut – und ich – ich habe das Schloß so gern und das Dorf auch – es ist so schön hier – und – und – und wenn ich einmal Graf bin, will ich's versuchen, gerade so ein guter zu werden, wie mein Großvater.«
Unter donnerndem Jubelruf der begeisterten Menge trat er zurück, schob mit einem leisen Seufzer der Erleichterung seine Hand in die des Grafen und schmiegte sich mit einem fragenden Blick, ob er es so recht gemacht habe, an den alten Herrn.
Das wäre eigentlich das Ende meiner Geschichte, allein ich kann mich nicht enthalten, noch von einer höchst eigenartigen Erscheinung zu berichten, und diese ist, daß der stolze Republikaner Mr. Hobbs sich von Alt-Englands »'ristokraten« so angezogen fühlte und es so unmöglich fand, seinen jungen Freund ohne seine Aufsicht heranwachsen zu lassen, daß er den Eckladen in New York verkaufte und in Seiner Herrlichkeit Dorf Erleboro eine gemischte Warenhandlung errichtete, die bald sehr viele Kunden hatte – die Schloßherrschaft inbegriffen – und Mrs. Dibble viel Herzeleid bereitete. Und wenn auch das persönliche Verhältnis zwischen dem Grafen und ihm kein eigentlich intimes zu nennen war, so wurde der wackere Hobbs mit der Zeit doch »'ristokratischer« als Mylord selbst, studierte jeden Morgen die Hofzeitung und verfolgte die Thätigkeit des Oberhauses mit höchstem Interesse. Etwa nach zehn Jahren war's, daß Dick, der seine Studienzeit hinter sich hatte und den Bruder in Kalifornien besuchen wollte, an den würdigen Spezereikrämer die Frage richtete, ob er nicht Lust hätte, auch wieder nach Amerika zurückzukehren.
»Könnt's nicht aushalten dort drüben,« sagte er, bedächtig das Haupt schüttelnd. »Muß in der Nähe von ihm bleiben und nach dem Rechten sehen. Und das Land drüben – solange man jung ist und sich rühren mag, ist's ja schon gut, aber – es hat keine Traditionen – ja, ja, keine Traditionen!«
Weihnacht
(Karl May)
Einleitung
Welch ein liebes, liebes, inhaltsreiches Wort! Ich behaupte, daß es im Sprachschatze aller Völker und aller Zeiten ein zweites Wort von der ebenso tiefen wie beseligenden Bedeutung dieses einen weder je gegeben hat noch heute giebt. Dem gläubigen Christen ist es der Inbegriff der heißersehnten Erfüllung langen Hoffens auf die Erlösung aller Kreatur, und auch für den Zweifler bedeutet es eine alljährlich wiederkehrende Zeit allgemeiner Festlichkeit, der Familienfreude und der strahlenden Kinderaugen. Jenem leuchtet in der tiefsten Tiefe seines Herzens der Wahrspruch »Jesus Christus gestern und heut und derselbe in alle Ewigkeit!« und dieser stimmt wohl unwillkürlich auch mit ein oder läßt wenigstens seine Kinder einstimmen in den Frohgesang
»Welt ging verloren,
Christus ward geboren;
Freue dich, o Christenheit!«
Unter Palmen ging der längst erwartete Zweig Isais, des Bethlehemiten, auf, und über Bethlehem strahlte der Stern, welcher die Weisen aus dem Morgenlande zu der Weihnachtskrippe leitete. »Ehre sei Gott in der Höhe!« sangen die himmlischen Heerscharen über diese Stadt, von welcher ein Strahl des Lichtes ausgangen ist, der alle Welt erleuchten und beglücken soll. »Friede auf Erden!« erklang es nach dem himmlischen Gloria, und der Friede, dessen Sinnbild noch heut die Palmen sind, hat sich von dorther ausgebreitet über alle Länder und in alle Herzen, welche seinem Einzuge offen standen. Und wo im Norden keine Palmen wehen, da haben ihre Wedel sich in Tannenzweige verwandelt, welche Sterne und Lichter tragen in der schönen seligen Zeit, welcher die Worte des Propheten gelten: »Mache dich auf, und werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht über dir auf!« Da glänzt der Weihnachtsbaum im Palaste und in der Hütte; da schallen Glockenklänge, um die Geburt des Erlösers zu verkünden, durch die stille Nacht, und von allen Kanzeln und Altären, von Mund zu Mund erklingt der Engelsruf: »Siehe, ich verkündige Euch große Freude, die allen Nationen widerfahren wird, denn Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Davidsstadt!«
Zwei Bibelworte sind es vorzugsweise, welche, als ich noch ein kleiner Knabe war, aus dem Munde der alten, frommen Großmutter einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf mich machten. Lag es an der Erzählerin oder an dem Inhalte dieser Worte selbst, ich weiß es nicht, aber Thatsache ist, daß diese Verse noch heut zu meinen Lieblingsbibelsprüchen zählen. Der eine Spruch lautet Hiob 19,25: »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird mich aus dem Grabe auferwecken«, und der zweite ist eben die Verkündigung des Engels: »Siehe, ich verkündige Euch große Freude – – denn Euch ist heute der Heiland geboren – –«. Der Eindruck dieser Stellen auf mich war ein solcher, daß ich – in noch ganz unreifem Alter – beide komponiert und über die zweite auch noch ein Gedicht – fast möchte ich sagen, verbrochen habe.
Daß ich dies hier nicht etwa erwähne, um mich zu brüsten, habe ich durch die Altersangabe und das Wort »verbrochen« bewiesen, vielmehr werden meine lieben Leserinnen und Leser bald bemerken, daß diese Erwähnung einen ganz andern und zwar bessern Zweck verfolgt. Einstweilen sei nur gesagt, daß die Worte »Ich verkündige Euch große Freude« mir damals auch in ganz besonderer Beziehung zu einer wahren Weihnachtsbotschaft wurden.
Ich, der ärmste unter den Schülern meiner Klasse, liebte die Musik glühend und nahm außer dem gewöhnlichen Unterrichte noch Privatstunden in der Harmonielehre u.s.w., was mich auf trockenes Brot setzte, denn ich ernährte mich durch Unterrichtgeben à Stunde 50 Pfennige und mußte also die Stunde Harmonielehre zu einem Thaler mit sechs Stunden meiner Privatzeit bezahlen. Das that ich aber gern, und der Hunger von damals hat mir bis heute noch nichts geschadet.
In der Theorie – nicht etwa praktischen Komposition – bei der Motette angelangt, setzte ich mich eines Tages mit der nur durch meine Jugend zu entschuldigenden Idee hin, über das Lieblingsthema »Ich verkündige Euch große Freude« eine Weihnachtsmotette zu komponieren. Wie gedacht, so gethan! Das opus operatum sollte freilich tiefes Geheimnis bleiben, war aber schon bald nach seiner Vollendung aus meinem Kasten verschwunden. Später erfuhr ich, daß ein mir übelwollender Mitschüler es СКАЧАТЬ