Gesammelte Werke: Kriminalromane + Detektivgeschichten + Historische Romane. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Kriminalromane + Detektivgeschichten + Historische Romane - Arthur Conan Doyle страница 6

Название: Gesammelte Werke: Kriminalromane + Detektivgeschichten + Historische Romane

Автор: Arthur Conan Doyle

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026850861

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СКАЧАТЬ als Geschäftslokal benützen, die Leute sind meine Klienten.«

      Auch diese Gelegenheit, mir Aufschluß über sein Thun zu verschaffen, ließ ich aus Zartgefühl ungenützt vorübergehen. Mir widerstand es, ein Vertrauen zu erzwingen, das er mir nicht von selbst entgegenbrachte, und schließlich bildete ich mir ein, er habe einen bestimmten Grund, mir sein Geschäft zu verheimlichen. Daß ich mich hierin getäuscht hatte, sollte ich indessen bald erfahren.

      Am vierten März – der Tag ist mir im Gedächtnis geblieben – war ich früher als gewöhnlich aufgestanden und fand Sherlock Holmes beim Frühstück. Mein Kaffee war noch nicht fertig, und ärgerlich, daß ich warten mußte, nahm ich ein Journal vom Tisch, um mir die Zeit zu vertreiben, während mein Gefährte schweigend seine gerösteten Brotschnitten verzehrte.

      Mein Blick fiel zuerst auf einen Artikel, der mit Blaustift angestrichen und ›Das Buch des Lebens‹ betitelt war. Der Verfasser versuchte darin auseinanderzusetzen, daß es für einen aufmerksamen Beobachter von Menschen und Dingen im alltäglichen Leben unendlich viel zu lernen gäbe, wenn er sich nur gewöhnen wollte, alles, was ihm in den Weg käme, genau und eingehend zu prüfen. Die Beweisführung war kurz und bündig, aber die Schlußfolgerungen schienen mir weit hergeholt und ungereimt, das Ganze eine Mischung von scharfsinnigen und abgeschmackten Behauptungen. Ein Mensch, der zu beobachten und zu analysieren verstand, mußte danach befähigt sein, die innersten Gedanken eines jeden zu lesen und zwar mit solcher Sicherheit, daß es dem Uneingeweihten förmlich wie Zauberei vorkam.

      »Das Leben ist eine große, gegliederte Kette von Ursachen und Wirkungen,« hieß es weiter; »an einem einzigen Gliede läßt sich das Wesen des Ganzen erkennen. Wie jede andere Wissenschaft, so fordert auch das Studium der Deduktion und Analyse viel Ausdauer und Geduld; ein kurzes Menschendasein genügt nicht, um es darin zur höchsten Vollkommenheit zu bringen. Der Anfänger wird immer gut thun, ehe er sich an die Lösung hoher geistiger und sittlicher Probleme wagt, welche die größten Schwierigkeiten bieten, sich auf einfachere Aufgaben zu beschränken. Zur Hebung möge er zum Beispiel bei der flüchtigen Begegnung mit einem Unbekannten den Versuch machen, auf den ersten Blick die Lebensgeschichte und Berufsart des Menschen zu bestimmen. Das schärft die Beobachtungsgabe und man lernt dabei richtig sehen und unterscheiden. An den Fingernägeln, dem Rockärmel, den Manschetten, den Stiefeln, den Hosenknieen, der Hornhaut an Daumen und Zeigefinger, dem Gesichtsausdruck und vielem andern, läßt sich die tägliche Beschäftigung eines Menschen deutlich erkennen. Daß ein urteilsfähiger Forscher, der die verschiedenen Anzeichen zu vereinigen weiß, nicht zu einem richtigen Schluß gelangen sollte, ist einfach undenkbar.«

      »Was für ein thörichtes Gewäsch,« rief ich, und warf das Journal auf den Tisch; »meiner Lebtag ist mir dergleichen nicht vorgekommen.«

      Sherlock Holmes sah mich fragend an.

      »Sie haben den Artikel angestrichen,« fuhr ich fort, »und müssen ihn also gelesen haben. Daß er geschickt abgefaßt ist, will ich nicht bestreiten. Mich ärgern aber solche widersinnige Theorien, die daheim im Lehnstuhl aufgestellt werden und dann an der Wirklichkeit elend scheitern. Der Herr Verfasser sollte nur einmal in einem Eisenbahnwagen dritter Klasse fahren und probieren, das Geschäft eines jeden seiner Mitreisenden an den Fingern herzuzählen. Ich wette tausend gegen eins, er wäre dazu nicht imstande.«

      »Sie würden Ihr Geld verlieren,« erwiderte Holmes ruhig. »Was übrigens den Artikel betrifft, so ist er von mir.«

      »Von Ihnen?«

      »Ja; ich habe ein besonderes Talent zur Beobachtung und Schlußfolgerung. Die Theorien, welche ich hier auseinandersetze und die Ihnen so ungereimt erscheinen, finden in der Praxis ihre volle Bestätigung, ja, was noch mehr ist – ich verdiene mir damit mein tägliches Brot.«

      »Wie ist das möglich?« fragte ich unwillkürlich.

      »Mein Handwerk beruht darauf. Ich bin beratender Geheimpolizist – wenn Sie verstehen, was das heißt – vielleicht bin ich der einzige meiner Art. Es giebt hier in London Detektivs die Menge, welche teils im Dienst der Regierung stehen, teils von Privatpersonen gebraucht werden. Wenn diese Herren nicht mehr aus noch ein wissen, kommen sie zu mir, und ich helfe ihnen auf die richtige Fährte. Sie bringen mir das ganze Beweismaterial, und ich bin meist imstande, ihnen mit Hilfe meiner Kenntnis der Geschichte des Verbrechens den rechten Weg zu weisen. Die Missethaten der Menschen haben im allgemeinen eine starke Familienähnlichkeit unter einander und wenn man alle Einzelheiten von tausend Verbrechen im Kopfe hat, so müßte es wunderbar zugehen, vermöchte man das tausend und erste nicht zu enträtseln. Lestrade ist ein bekannter Detektiv. Er hat sich kürzlich mit einer Falschmünzergeschichte herumgequält und mich deshalb so häufig aufgesucht.«

      »Und die andern Leute?«

      »Sie kamen meist auf Veranlassung von Privatleuten. Jeder von ihnen hat irgend eine Sorge auf dem Herzen und holt sich Rat bei mir. Sie erzählen mir ihre Geschichte und hören auf meine erklärenden Bemerkungen und dann streiche ich mein Honorar ein.«

      »Können Sie wirklich, während Sie ruhig auf Ihrem Zimmer bleiben, die verwickelten Knoten lösen, welche die andern nicht zu entwirren vermögen, selbst, wenn sie mit eigenen Augen gesehen haben, wo sich alles zugetragen hat?«

      »Das habe ich oft gethan; es ist bei mir eine Art innerer Eingebung. Liegt ein besonders schwieriger Fall vor, so besehe ich mir den Schauplatz der That wohl auch einmal selbst. Ich habe so mancherlei Kenntnisse, die mir die Arbeit wesentlich erleichtern. Meine große Uebung in der Schlußfolgerung, wie sie jener Artikel darlegt, ist für mich zum Beispiel von hohem praktischem Wert. Mir ist die Beobachtung zur zweiten Natur geworden. Als ich Ihnen bei unserer ersten Begegnung sagte, Sie kämen aus Afghanistan, schienen Sie sich darüber zu verwundern.«

      »Irgend jemand muß es Ihnen gesagt haben.«

      »Bewahre; ich wußte es ganz von selbst. Da mein Gedankengang meist sehr schnell ist, kommen mir die Schlüsse in ihrer Reihenfolge kaum zum Bewußtsein. Und doch steht alles in logischem Zusammenhang. Ich folgerte etwa so: Der Herr sieht aus wie ein Mediziner und hat dabei eine soldatische Haltung. Er muß Militärarzt sein. Die dunkle Gesichtsfarbe hat er nicht von Natur, denn am Handgelenk ist seine Haut weiß, also kommt er geradeswegs aus den Tropen. Daß er allerlei Beschwerden durchgemacht hat, zeigen seine abgezehrten Wangen; sein linker Arm muß verwundet gewesen sein, er hält ihn unnatürlich steif. In welcher Gegend der Tropen kann ein englischer Militärarzt sich Wunden und Krankheit geholt haben? – Versteht sich in Afghanistan. – In weniger als einer Sekunde war ich zu dem Schluß gelangt, der Sie in Erstaunen setzte.«

      »Wie Sie die Sache erklären, scheint sie sehr einfach. In Büchern liest man wohl von solchen Dingen, aber daß sie in Wirklichkeit vorkämen, hätte ich nicht gedacht.«

      »Wenn es nur noch Verbrechen gäbe, zu deren Entdeckung man besonderen Scharfsinn braucht,« fuhr Holmes mißmutig fort. »Ich weiß, es fehlt mir nicht an Begabung, um meinen Namen berühmt zu machen. Kein Mensch auf Erden hat jemals so viel natürliche Anlage für mein Fach besessen oder ein so tiefes Studium darauf verwendet. Aber was nützt mir das alles? Die Missethäter sind sämtlich solche Stümper und ihre Zwecke so durchsichtig, daß der gewöhnliche Polizeibeamte sie mit Leichtigkeit zu ergründen vermag.«

      Es verdroß mich, ihn mit solcher Selbstüberschätzung reden zu hören. Um der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben, trat ich ans Fenster.

      »Was mag wohl der Mann da drüben suchen?« fragte ich, auf einen einfach gekleideten, stämmigen Menschen deutend, welcher sämtliche Häusernummern auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu mustern schien. Er hielt einen großen, blauen Umschlag in der Hand und hatte offenbar eine Botschaft auszurichten.

      »Sie СКАЧАТЬ