Название: Gesammelte Werke von Dostojewski
Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204205
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»Oder vielleicht gibt man dir auch eine Tabatiere, wie? Gnadenbeweise sind an keine Regeln gebunden. Man wird dich aufmuntern wollen. Und wer weiß, vielleicht kommst du auch an den Hof«, fügte er flüsternd mit einem bedeutsamen Blick hinzu; »oder geht das nicht? Das ist wohl noch zu früh?«
»Na, am Ende gar an den Hof!« sagte Anna Andrejewna, wie wenn sie sich gekränkt fühlte.
»Es fehlt nicht viel, so werden Sie mich noch zum General befördern!« antwortete ich, herzlich lachend. Der Alte lachte ebenfalls. Er war außerordentlich zufrieden.
»Exzellenz, belieben Sie nicht zu speisen?« rief die übermütige Natascha, die unterdessen für uns das Abendbrot zurechtgemacht hatte.
Sie kicherte, lief zu ihrem Vater, umarmte ihn innig und streichelte ihn mit ihren heißen Händen. »Gutes, gutes Papachen!«
Der Alte wurde gerührt.
»Nun, nun, laß nur gut sein, laß nur gut sein! Ich rede das ja alles nur so harmlos hin. Lassen wir den General beiseite und gehen wir zum Abendessen! Ach, was bist du für ein empfindsames Ding!« fügte er hinzu und klopfte seiner Natascha auf das gerötete Bäckchen, was er bei jeder passenden Gelegenheit zu tun pflegte. »Siehst du, Wanja, ich rede so, weil ich es gut mit dir meine. Na, wenn du auch kein General bist (bis dahin hast du es allerdings noch weit!), so bist du doch eine bekannte Persönlichkeit, ein Autor.«
»Heutzutage sagt man »Schriftsteller«, Papachen.«
»Nicht Autor? Das habe ich nicht gewußt. Na, meinetwegen auch ein Schriftsteller; aber was ich noch sagen wollte: zum Kammerherrn werden sie dich für deinen Roman freilich nicht befördern, daran ist nicht zu denken; aber Karriere kannst du trotzdem machen; du könntest zum Beispiel Attaché werden. Man kann dich ins Ausland schicken, nach Italien, zur Wiederherstellung deiner Gesundheit oder zur Vervollkommnung in den Wissenschaften, ja; man kann dir eine pekuniäre Beihilfe geben. Natürlich ist erforderlich, daß auch von deiner Seite alles anständig zugeht und daß du für deine Leistungen, für wirkliche Leistungen Geld und Ehren einerntest und nicht infolge von Protektion…«
»Und werde dann nur nicht stolz, Iwan Petrowitsch! fügte Anna Andrejewna lachend hinzu.
»Verleihe ihm nur recht schnell einen hohen Orden, Papachen; denn bloß Attaché ist doch ein bißchen wenig.«
Dabei kniff sie mich wieder in den Arm.
»Dieses Mädchen muß sich doch immer über mich lustig machen!« rief der Alte und blickte entzückt seine Natascha an, deren Bäckchen brannten und deren Äuglein wie zwei Sternchen lustig glänzten. »Ich bin, wie es scheint, wirklich etwas zu weit gegangen, Kinder; ich habe mich in die Wolken verstiegen; ich bin immer so gewesen… Aber weißt du, Wanja, sehe ich dich so an: was bist du für ein einfacher Mensch …«
»Ach, mein Gott! Wie soll er denn sein, Papachen?«
»Nein, nein, ich drücke mich falsch aus. Ich meine nur, Wanja, du hast so ein Gesicht… das heißt sozusagen ein ganz unpoetisches Gesicht. Weißt du, man sagt, die Dichter, das sind solche blassen Menschen, und sie haben solche Haare, und es liegt so etwas in ihren Augen. Weißt du, ich denke da an Goethe und andere; ich habe das im »Abbadona« gelesen. Aber wie ist’s? Habe ich da wieder etwas Dummes geschwatzt? Nun sieh einer die Schelmin; sie will sich ordentlich ausschütten vor Lachen über mich! Ich bin kein Gelehrter, meine Lieben: ich kann nur meinem Gefühl folgen. Na, lassen wir dein Gesicht; was man für ein Gesicht hat, das ist schließlich kein Unglück; mir ist deins hübsch genug, und es gefällt mir sehr. In dem Sinn habe ich es nicht gesagt. Sei nur ein ehrenhafter Mensch, Wanja, ein ehrenhafter Mensch, das ist die Hauptsache; lebe ehrenhaft; überhebe dich nicht! Du hast freie Bahn vor dir. Diene ehrenhaft deinem Beruf; das ist’s, was ich sagen wollte; das ist’s, was ich eigentlich sagen wollte!«
Es war eine wundervolle Zeit! Alle meine freien Stunden, alle Abende verlebte ich bei ihnen. Dem Alten brachte ich Nachrichten aus der literarischen Welt, über alle möglichen Schriftsteller; denn er hatte auf einmal aus nicht recht verständlichem Grund angefangen, sich für diese lebhaft zu interessieren; er hatte sogar angefangen, die kritischen Artikel B.s zu lesen, über den ich ihm vieles mitgeteilt hatte; er verstand sie fast gar nicht, lobte ihn aber begeistert und schalt grimmig auf seine Feinde, die in der »Nordischen Biene« schrieben. Die alte Frau hatte ein scharfes Auge auf mich und Natascha, konnte uns aber doch nicht immer beaufsichtigen! Wir hatten schon ein wichtiges kleines Gespräch miteinander gehabt, und ich hatte endlich gehört, wie Natascha mit gesenktem Köpfchen und nur halb geöffneten Lippen fast flüsternd zu mir »ja« sagte. Aber auch die Eltern erfuhren dies: sie errieten es, sie dachten es sich. Anna Andrejewna schüttelte lange den Kopf. Eine seltsame Bangigkeit überkam sie; sie setzte auf mich kein rechtes Vertrauen.
»Solange du Erfolg hast, ist ja alles schön und gut, Wanja«, sagte sie. »Aber wenn nun eines Tages der Erfolg ausbleibt oder sonst etwas passiert, was dann? Wenn du doch irgendwo im Staatsdienst eine Anstellung hättest!«
»Hör mal zu, was ich dir sagen werde!« ließ sich der Alte nach einigem Nachdenken vernehmen. »Ich habe es auch selbst gesehen, es bemerkt und, offen gestanden, mich sogar darüber gefreut, daß du und Natascha… na, was ist da weiter zu sagen! Siehst du, Wanja, ihr seid beide noch sehr jung, und meine Anna Andrejewna hat ganz recht. Warten wir noch ein Weilchen! Du besitzt allerdings Talent, sogar ein bemerkenswertes Talent … na, ein Genie bist du nicht, wie die Leute zuerst schrien; du hast eben einfach Talent (ich habe da gerade heute eine Kritik über dich in der »Nordischen Biene« gelesen; da haben sie dir sehr übel mitgespielt; aber was ist das auch für ein Schandblatt!). Ja! Also siehst du: wenn man Talent hat, so hat man darum noch nicht ein hübsches Kapital bei der Bank; ihr seid beide arm. Warten wir noch so anderthalb Jahre oder wenigstens ein Jahr: wenn du deinen Weg machst und festen Ganges auf deiner Bahn vorwärtsschreitest, so ist Natascha die Deine; gelingt es dir nicht, so wirst du dir das Nötige selbst sagen! Du bist ein ehrenhafter Mensch; denk über die Sache nach!«
Dabei blieb es. Aber nach einem Jahr stand die Sache folgendermaßen:
Ja, es war fast genau ein Jahr darauf! Am Spätnachmittag eines hellen Septembertages kam ich, krank und voll tiefen Herzwehs, zu dem alten Ehepaar und sank beinah ohnmächtig auf einen Stuhl, so daß sie mich ganz erschrocken ansahen. Aber nicht deshalb war mir der Kopf so schwindlig und das Herz so beklommen, daß ich zehnmal an ihre Tür herangekommen und zehnmal wieder umgekehrt war, nicht deshalb, weil meine Karriere mir nicht geglückt war und ich immer noch weder Ruhm noch Geld besaß; nicht deshalb, weil ich noch nicht »Attaché« geworden war und viel daran fehlte, daß man mich zur Wiederherstellung meiner Gesundheit nach Italien geschickt hätte; sondern deshalb, weil man in einem einzigen Jahr zehn Jahre durchleben kann und meine Natascha wirklich in diesem einen Jahr zehn Jahre durchlebt hatte. Ein unendlicher Raum lag zwischen uns. Und so saß ich denn damals dem alten Ichmenew gegenüber, schwieg und zerknickte in meiner Zerstreuung mit der Hand die Krempe meines Hutes, die auch ohnehin schon arg zerbrochen war; ich saß da und wartete, ohne zu wissen warum, darauf, daß Natascha hereinkäme. Mein Anzug war kläglich und saß mir schlecht; im Gesicht war ich mager und gelb geworden, war aber dennoch einem Dichter nicht im entferntesten ähnlich, und in meinen Augen lag nichts Großartiges, worüber sich der gute Nikolai Sergejewitsch einstmals seine Sorgen gemacht hatte. Die alte Frau sah mich mit unverhohlenem und gar zu eiligem Mitleid an und dachte im stillen:
»Und der wäre beinah Nataschas Bräutigam geworden! Gott behüte und bewahre uns!«
»Wie ist’s, Iwan Petrowitsch?« sagte sie. »Willst du nicht Tee trinken?« (Der siedende Samowar stand auf dem Tisch.) »Wie ist denn dein Befinden, СКАЧАТЬ